: MEIN VATER, DER HEILIGE TEUFEL
■ Von Maria Solovieff Rasputin
(Aus einem Gespräch)
Felix Felixowitsch Jussupoff kann mir nicht in die Augen sehen.
Wir begegnen einander oft, auf den Pariser Boulevards, beim Pferderennen und in den Cafes. Das letztemal glaube ich den Mörder meines Vaters anläßlich einer Revue-Premiere im Moulin Rouge bemerkt zu haben, er saß in einer Loge, inmitten geschniegelter Freunde und Frauen, lächelte und schien stolz, auf seinem Brillantine-Scheitel die Linsen sämtlicher Operngläser brennen zu fühlen. Am liebsten hätte er sich wohl nach allen Richtungen verbeugt und mit seiner ironischen Stimme laut gesagt: Sie irren nicht, ich bin's, der Töter Rasputins! Das Parfüm dieses lackierten Märtyrers reizte meine Nerven, ich wollte vom Stuhl springen, mit dem Zeigefinger nach ihm weisen und so lange schreien, bis die oben ihren amerikanischen Singsong gestoppt hätten: Fürst Jossupoff, lernen Sie kopfrechnen. Nicht einmal bis zehn können Sie zählen. Wozu haben Sie eigentlich Ihre manikürten Finger? Nur zum Morden? Wir sprechen uns bald wieder!
Eins und eins macht zwei, zwei und eins macht drei...
Jussupoff wird in Mathematik nicht versetzt. Er kann nicht rechnen. Sonst hätte er mit seinem Buch noch etwas gewartet. Es wird ihm viel Geld kosten. 1916 hat er meinen Vater gemordet. 1926 ist er, nach zehnjähriger Pause, straffrei. 1927 erscheint im 'Sunday Chronicle‘ seine Bekenntnis-Serie „How I Killed Rasputine“. Gut, gut, 1927 darf er ruhig den Mord zugeben, die Tat ist verjährt. Aber...
Aber er hat das französische Original im Herbst 1926 in Druck gegeben. Hat sich also noch vor den zehn Jahren als Mörder gestellt. Das wollte ich nur wissen. Im Februar vielleicht rollt der Prozeß, wahrscheinlich aber erst im Mai oder Juni. Denn Füst Jussupoff kämpft gegen seine Ausweisung aus Frankreich.
Mein Vater Grigorij Rasputin aß niemals Kuchen.
Drei Schokoladentörtchen und drei Mandelkuchen... sie sind mir Beweis genug, wie platt Jussupoffs Lügen sind, die er um den Mord meines Vaters gesponnen hat. Der polnische Arzt Dr. Lazowert soll Zyankali in den Kuchen gestreut haben, und zwar in solchen Mengen, daß jeder normale Mensch schon nach Genuß eines solchen Törtchens sterben müßte. Weit und breit besingt Jussupoff in seinen „Erinnerungen“ die Mord -Ouvertüre. Auf der Gitarre will er gespielt und Zigeunerlieder dazu gesungen haben. Die anderen Mordbeteiligten: Großfürst Dimitrij Pawlowitsch, Purischkiewitsch und Leutnant Suchtin spielten oben Grammophon, indes Jussupoff, im Zimmer unter ihnen, meinen Vater ohne viel Federlesens, als dieser sich die Schneeschuhe abstreifte, in den Rücken und über den Haufen schoß.
Sechs Kuchen, so werden Sie mich fragen, was tun die zur Sache? Und ich werde Ihnen antworten: Sehr viel! Fürst Jussupoff malt sein Heldenepos breit und minuziös aus. In diesen Kleinigkeiten beweist er gerade den Charakter, den er nicht hat, er ist ein Lügner, weil er nicht weiß, daß meinem Vater Süßes zuwider war. Er aß nur schwarzes, körniges Landbrot. Denn er war nicht in Petersburg zu Hause und nicht in Zarskoje Selo, er war ein Bauer aus Pokrovskoje. Der Weg aus diesem Dorf bis an den Zarenhof war weit und schwer. Und schlimm sein Ende.
Von der Mordnacht blieben nur Schatten.
Der 16. Dezember 1916, draußen der Schnee bis an die Fenster. Meine Schwester Varvara und ich kamen von einem Besuch nach Hause, in die Gorochowaja Nr.64. Vater lag weit ausgestreckt im Bett, er war angezogen und sagte uns, daß er noch einen Besuch machen wollte, bei Jussupoffs. Dann schickte er uns zu Bett. Nichts war uns an ihm aufgefallen. Zwar hatte ihn abends Minister Protopopoff aufgesucht und von Mordplänen gegen meinen Vater gesprochen, aber daraus machte sich mein Vater nichts, er kannte das Geschätz seiner Feinde und lachte nur darüber.
Am nächsten Morgen meldete uns das Dienstmädchen, daß Vater noch nicht nach Hause gekommen wäre. Eine in Pelz vermummte Person habe ihn um eins in der Nacht mit einem Auto abgeholt. Wir waren eigentlich gar nicht beunruhigt. Vater pflegte im Winter oft bei Bekannten, die er besuchte, zu übernachten. Langsam stellten sich Besucher ein, Patienten und Freunde meines Vaters, er war noch nicht da. Wir wurden durch Telefonanrufe verschiedener Ämter, die sich nach dem Vater erkundigten, nervös. Beamte kamen und gingen, Polizisten öffneten Vaters Schreibtisch, machten sich an seinen Briefschaften zu schaffen. Wir hofften immer noch... bis dann mittags Herren von der Kriminalpolizei ein Paar Schneeschuhe auf den Tisch legten. Einer fragte mich: „Kennen Sie diese zimnie batinki?“ Ich kannte sie, sie gehörten meinen Vater.
Zwei Tage später fand man unter der Eisdecke der Newa die Leiche meines Vaters. 16 Schüsse. Trotzdem hatten sie ihn noch lebend ins Wasser geworfen: die Lungen waren voll Wasser. Schneeschuhe und ein Pelzzipfel, der aus der Eisdecke hervorlugte, wiesen den Weg.
Fürst Jussupoff war nicht Patriot, er mordete aus niedrigsten Instinkten.
Lassen Sie sich nicht durch sein Heldenlied bluffen, er haßte den „Bauernlümmel“ aus anderen Motiven als aus denen, die er angibt, das „Wohl des Volkes“ war ihm wurst. Ich nehme an, daß die andern, die am Mordkomplott teilnahmen, Großfürst Dimitrij Pawlowitsch, Purischkiewitsch, Leutnant Suchtin und der Arzt Lazowert, tatsächlich politische Gegner meines Vaters waren. Fürst Jussupoff tötete ihn, weil er wußte, daß mein Vater Jussupoffs Homosexualität und seine Freundschaft mit dem Leutnant Dimitrij Pawlowitsch durchschaut und der Heirat Jussupoffs mit der Nichte des Zaren entgegengearbeitet hatte. Und zur Hälfte ging vielleicht der Mord auf das Konto eines sensationslüsternen Millionärsbuben, der aus Langerweile den Hahn seines Revolvers abdrückte. Ähnlich den Motiven der beiden amerikanischen Millionärssöhne, die in Chicago Morde verübten. Freilich, Jussupoff wollte populär morden, in Wildldederhandschuhen, und jemand sein, von dem man spricht. Wen mordete er? Den „heiligen Teufel“, den Bauern, dem alle Liebe Rußlands galt!
Was wußte er von meinem Vater?
Doch davon wußten auch wir Kinder wenig.
Er war ein Vater für uns, wie alle Kinder Väter haben: einer, dem wir die schweren Stiefel auszogen und die Pantoffeln hinstellten, für den wir Tabak holen mußten, und dessen Stirne wir Sonntag mittag nach der Kirche küßten; einer, der uns schlug und streichelte.
Man zeigte auf der Straße nach uns, wir waren die „Kinder des Wundermönches“ und wußten selbst nichts davon.
Er war nicht streng, eher ein „guter Kerl“. Kranke, Arme, Hilfsbedürftige, herrlich schöne Frauen gingen bei uns aus und ein. Für heilig hielten wir ihn nie. Nur sein Wille, den er durch stechende Blicke unterstützte, war uns heilig, denn seine Hand war wunderbar stahlhart und sauste unerbittlich bei den kleinsten Anlässen gegen unsere Popos.
Die Ohren, die Ohren!
Anastasia ist tot. Es gibt keine Zarentochter mehr. Sagen Sie allen „Anastasias“, denen Sie begegnen, daß sie Schwindlerinnen sind. Anastasia war meine Freundin, ich war mit ihr auf Zarskoje Selo. Sie hatte andere Ohren, ganz andere.
Ich lebe in Paris und tanze seit drei Monaten.
Mein Mann, der zaristische Offizier Boris Solovieff, flüchtete mit mir 1918 über Wladiwostok, Indien, Ägypten, Prag, Wien nach Paris. Er starb vor zwei Jahren an Lungenschwindsucht. Ich blieb allein mit zwei Kindern. Die gehen in Paris zur Schule, Leben kostet Geld. Ich suchte Arbeit. Wenn Mistinguett noch tanzt, warum sollte ich nicht auch tanzen. Ich glaube zwar, daß ich nicht die Pawlowa bin, aber das tut nichts. Es muß eben gehen, so gut man's kann.
Ein Pappkoffer genügt. Die Tournee kann beginnen. In ganz Europa wächst Sibirien aus den Kulissen, Petersburg, Moskau. Alles sieht so schrecklich russisch aus. Balalaika spielen, Troikas jagen, hinten glitzert Schnee auf der billigen Kreml -Kulisse, vielleicht riecht es sogar ein wenig nach unserer guten Borscht-Suppe. Ich aber tanze. Wie, das ist egal. Man sieht nicht nach meinen Beinen. Reißt nur sperrangelweit den Mund auf und flüstert dem Nachbarn ins Ohr: Himmelherrgott, die Tochter des heiligen Teufels!
Meinetwegen. Amen!
(Februar 1929)
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Ullstein Verlags Berlin
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