: Bodenlose Unverschämtheit-betr.: "EIne andere Sexualkultur", Leserbrief taz vom 12.3.90
betr.: „Eine andere Sexualkultur“, Leserbrief von Kurt Hartmann, taz vom 12.3.90
„Pädophilie“ oder Päderastie beinhalten immer die hierarchische Struktur zwischen den Beteiligten, nämlich dem erwachsenen Mann als vorantreibendem Subjekt und dem Kind als Objekt seiner Begierde. Ein einigermaßen egalitäres Verhältnis zwischen Erwachsenem und Kind, was für mich unabdingbare Voraussetzung für einvernehmliche Sexualität wäre, ist ausgeschlossen. Subjekt wie Objekt, MächtigeR und OhnmächtigeR, Täter und Opfer stehen von vornherein fest. Päderastie und „Pädophilie“ sind Formen sexueller Gewalt. Nichts anderes.
Die Behauptung, bislang fehle in der feministischen Diskussion jeder Ansatz „zu einer positiven Identifikation mit der sich entwickelnden Sexualität von Kindern und Jugendlichen (...)“, ist eine bodenlose Unverschämtheit. Diese Behauptung wird vorgeschoben um Eigeninteressen, nämlich die sexuelle Verfügbarkeit von Kindern zu legitimieren. Keine Feministin hat jemals antisexuelle Argumentationen in Bezug auf Kindersexualität verwandt. Es geht um die Bewertung dessen, daß 300.000 Kindern - davon 90 Prozent Mädchen - von MÄNNERN sexuelle Gewalt angetan wird. Wir ergreifen Partei für die Opfer und benennen die Täter. Die Diskussion, die Du, Kurt, hier versuchst einzumixen, verkleistert die Hirne! Sexuelles Selbstbestimmungsrecht für Schwule und Lesben wollen wir alle. Aber desgleichen sexuelles Selbstbestimmungsrecht für Kinder. Und genau das Empfinden dafür zerstören erwachsene Männer, die zu Tätern werden, wenn sie Grenzlinien überschreiten, die sexuelle Gewalt ausmachen. Laßt Kinder in Ruhe ihre Formen von selbstbestimmter Sexualität (vielleicht untereinander) erkunden. Sie benötigen die pädophilen Sexualmissionare nicht. Und hört bitte endlich mit dieser hundsgemeinen Vermischung von schwulen und „pädophilen“ angeblich gleichen Interessen auf. Diese Tätersolidarisierung befördert immer wieder die ganze Bewegung ins politische Aus.
Und noch eins: Wenn ich mich mit Menschen an einen runden Tisch setze, um „grundverschiedene Erfahrungen mit Sexualität und Unterdrückung auszutauschen und verstehen zu lernen (...), um daraus eine andere Sexualkultur zu entwickeln“, dann sind Vergewaltiger und Kindersexliebhaber die letzten, die dort was zu suchen haben. Ich denke, die gehören an einen eigenen Tisch, wo sie ihre persönlichen Erfahrungen mit ihrer Gewalt und deren Ursachen und ihrer persönlichen Verantwortung dafür aufarbeiten können. Ich stehe da als Therapeutin nicht zur Verfügung!
Marion Olthoff, Die Grünen - Frauenreferat, Hannover
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