: Bonner Drahtzieher und Zaungäste am Tag danach
Kohl sonnt sich im Erfolg der CDU-Ost / Zur Sicherheit empfiehlt er eine große Koalition mit der SPD / In der SPD-Baracke redet man darüber bisher sibyllinisch Ansonsten ist eine Niederlage eben eine Niederlage / Die Bundesgrünen sind sich nur einig, daß es eine „Angstwahl“ war: drei Sprecher - drei Stellungnahmen ■ Von unseren Korrespondenten
Bonn (taz) - „Gewählt worden ist Helmut Kohl.“ Ein Kanzlerberater sagt zu ein paar Journalisten, was er eigentlich nicht sagen darf. Doch es ist Sonntag abend gegen 21 Uhr, der haushohe Wahlsieg der konservativen „Allianz für Deutschland“ steht fest. Wen kümmert's da noch, daß formal nicht die CDU-West und auch nicht Helmut Kohl zur Wahl gestanden haben.
Gewählt worden ist Helmut Kohl, und das merkt man ihm an. Er marschiert Sonntag abend gegen halb 9 Uhr vor die Bonner Presse in der CDU-Zentrale. Er thront vor seinem Tisch und den Dutzenden von Kameras. So weit, so gewohnt. Doch dann präsentiert sich ein Helmut Kohl, wie man ihn, aus der letzten Zeit jedenfalls, nicht kennt: Vorsichtig in den Ankündungen, zurückhaltend in den Formulierungen, freundlich im Ton. Er lobt die Bürger der DDR, die sich gegen jede Form des Extremismus entschieden hätten, er schilt weder Opposition noch Presse, und er ergeht sich in Bescheidenheit: „Vielleicht hat auch die Sympathie zu dem einen oder anderen in der Bundesrepublik dazu beigetragen“, antwortet der CDU-Vorsitzende, so fein lächelnd, wie es ihm wohl nur möglich ist, auf die Frage nach Gründen für den haushohen Sieg der CDU-Ost.
Am Morgen danach ist alles ein bißchen anders. Der Sieger vom Sonntag will für die anstehende politische Entwicklung in der DDR nicht alleine verantwortlich sein und ruft die SPD an seine Seite. Hatte Kohl am Sonntag abend noch vorsichtig von einer „breiten parlamentarischen Mehrheit, die in der Lage ist, die politische Entwicklung gemeinsam zu gestalten“, gesprochen, so redete er gestern im Anschluß an eine Sitzung des CDU-Bundesvorstandes ganz offen einer großen Koalition mit der SPD das Wort: Sein Rat an die Allianz gehe „ganz klar in diese Richtung“. Ganz klar hatten wohl auch die Mitglieder des Bundesvorstandes gemacht, was sie vom Wahlergebnis halten: Erfreulich, aber nicht ohne Risiko. Man wisse, so war zu hören, daß nicht alles so einfach gehen könne, wie man dies zuweilen dargestellt habe. Man wisse aber auch, daß nun alles „schnell, schnell, schnell“ gehen müsse und dies sei eben nicht ohne die SPD zu schaffen. Für eine Verfassungsänderung sei eben eine Zweidrittelmehrheit notwendig, und dafür brauche man die geschlagenen Sozis. Den zweiten Grund formulierte ein CDUler so: „Wer die erste Wahl alleine gewinnt, kann die zweite verlieren.“ Allerdings: Entscheidende Bedingungen sollen die angefragten Sozialdemokraten nach dem Willen der Unionschristen nicht stellen dürfen: „Ich werde mich nicht einmischen“, antwortet Helmut Kohl zwar auf die Frage, ob Voraussetztung einer großen Koalition in der DDR das Placet der SPD zum Anschluß nach Artikel 23 Grundgesetz sein müsse. Im Parteivorstand soll man sich allerdings einig gewesen sein, daß die Sozialdemokraten - wie übrigens der Koalitionspartner FDP - zumindest einer Art Zwischenlösung zustimmen müßten: Etwa einem Anschluß mit eingebauten Mitbestimmungsregelungen.
Weshalb Helmut Kohl so selbstsicher an die Koalitionsfrage herangeht, wurde in der Bonner Pressekonfrenz auch noch anderer Stelle deutlich: „Hervorragende Wahlergebnisse“ erwarte er auch für gesamtdeutsche Wahlen, so der Kanzler sprich, Helmut Kohl glaubt, mehrheitsfähig auch nach den ersten deutsch-deutschen Wahlen zu sein.
Leicht getrübt war die Stimmung in einem nur noch sehr kleinen Lager der Union - dem der sogenannten Reformer um den ehemaligen Generalsekretär Geißler: „Nach dem Sieg wird der Kohl noch unkritischer“, war etwa aus dieser Ecke zu hören.
Bonns SPD:
Eine Niederlage
ist eine Niederlage
Taktischen Spitzfindigkeiten, sonst ein beliebtes Spiel der Sozialdemokraten, konnten die Mitarbeiter der Bonner Baracke am Sonntag abend kaum etwas abgewinnen. Ihre Stimmungslage: Eine Niederlage ist eben zuallererst eine Niederlage. Das gilt auch für jene, die vorher gemeint hatten, ein Sieg der Allianz in der DDR würde Bundeskanzler Kohl über den dann notwendigen D-Mark-Strom in Schwierigkeiten bringen und damit Lafontaines Wahlchancen erhöhen.
Zu deutlich wurde, daß die Sozialdemokraten die DDR-Wahl als Steilvorlage für die kommenden Aufgaben nehmen wollten und nun abrupt aus allen Träumen gerissen wurden. Der Schock war Sonntag nacht durch alle Stellungnahmen spürbar, er wirkte nach bis zur gestrigen Vorstandssitzung, bei der auch der Kandidat Oskar Lafontaine endlich offiziell ernannt werden sollte - auch dies ein Indiz, wie sehr die SPD vom eigenen Sieg überzeugt war. Statt der gut geplanten Weitergabe des Stafettenstabs der siegreichen DDR-Genossen an Oskar stand nun Sichtung des Scherbengerichts an.
„Da wurden Erwartungen gewählt“, versuchte sich die Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs in Motivsuche für die Gründe der Niederlage. Auch der niedersächsische SPD -Wahlkämpfer Schröder, der wohl ganz zufällig in Bonn weilte, um ein wenig Glanz vom eingeplanten Sieg der DDR-SPD zu erhaschen, mußte seine Rolle umstellen. Er übte sich trotzig in der Beschwörung der eigenen Erfolgschancen bei den Landtagswahlen am 13.Mai. Jetzt gehe es darum, die „soziale Ausgewogenheit beim Einigungsprozeß“ sicherzustellen, verteidigte er außerdem Lafontaines Linie.
SPD-Chef Vogel sah sich kritischen Fragen zur Person des Kanzlerkandidaten gegenüber. Er verneinte, daß die Aufgabenteilung - Brandt fürs nationale in der DDR und Lafontaine für die sozialen Ängste in der BRD - ein Grund für die Niederlage sei. Auch ein Negativtest für Lafontaine könne aus der DDR-Wahl nicht gemacht werden: Der Saarländer habe drüben nicht zur Wahl gestanden. Offen ließ Vogel, ob er für eine Beteiligung der DDR-SPD im Falle einer großen Koalition eintrete. Eine „breite Basis“ sei „nützlich und wünschenswert“, ließ er verlauten; weil man aber weder „Patron noch Vormund unser Schwesterpartei“ sei, könnten dies nur die DDR-Genossen entscheiden.
Erst zur Sitzung des Parteivorstands hatten die Genossen ihre Sprache wiedergefunden. Lafontaine sprach von einem „Pyrrhussieg“ des Bundeskanzlers, dessen Pläne aber nicht aufgehen würden. Getagt wurde ohne Teilnehme von DDR -Genossen; die Frage einer möglichen Beteiligung an einer großen Koalition - sofern von der siegreichen Allianz angeboten - stand dennoch im Mittelpunkt der Debatte. Und einzelne West-Genossen machten auch keinen Hehl daraus, was sie ihren Brüdern in der DDR empfehlen würden: bloß keine Beteiligung an einer großen Koalition; die Suppe solle der Kohl alleine auslöffeln.
Bei den Grünen:
Streit um PDS
Die bundesdeutschen Grünen machten gestern die von der Union geschürte „Angstwahl“ für das magere Ergebnis der DDR -Partner von Bündnis 90, den Grünen und der Frauenliste verantwortlich. Allerdings sei man auch „nicht enttäuscht“, sondern werte dies als „erfreuliche Basis“ für die Zukunft, sagte die zur Parteilinken zählende Vorstandssprecherin Verena Krieger vor der Presse. Insbesondere begrüßte sie die „starke Linksopposition“, zu der sie auch die PDS zählt. Die SPD sei dagegen Opfer ihrer eigenen Strategie geworden, auf die nationale Frage zu setzen, weil die DDR-Bürger „lieber das Original“ gewählt hätten.
Die Vorstandssprecherin Ruth Hammerbacher (Realos) sieht angesichts der Nichteinmischung der West-Grünen in den DDR -Wahlkampf das Abschneiden der DDR-Partner als „respektables Ergebnis“. Die wahre Stärke der Gruppen werde sich bei den Kommunalwahlen am 6.Mai zeigen, wenn es auf die Vernetzung vor Ort ankomme. Der dritte Vorstandssprecher Ralf Fücks sprach von einer „Selbstaufgabe“ der DDR-Wähler. Es komme nun darauf an, den „Prozeß der Einheit aus der Opposition heraus“ „umweltverträglich, friedensverträglich und demokratieverträglich“ zu gestalten. Fücks plädierte für eine verfassunggebende Versammlung, in die die DDR „viel einzubringen“ hätte.
Vor der Presse kam es zwischen Fücks und Krieger zu einem Streit über eine mögliche Zusammenarbeit mit der PDS. Fücks lehnte eine solche vehement ab und sprach von einer „Grenzlinie“. Die Grünen seien „keine Endmoräne für ein gescheitertes sozialistisches Projekt“. Die Erneuerung in der PDS nannte Fücks „oberflächlich“. Er drückte seine Hoffnung aus, daß diese Frage auf dem kommenden Parteitag in Hagen entschieden werde. Verena Krieger sah dagegen keinen Grund zu einer „Dämonisierung“ der PDS. Für eine Ausgrenzung gebe es „keine Grundlage“, sagte Frau Krieger. Gemeinsamkeiten könne sie sich nicht mit den „altstalinistischen Resten“ der ehemaligen SED vorstellen, wohl aber mit den Erneuerern um den PDS-Chef Gysi. Frau Krieger propagierte den Vorschlag einer gesamtdeutschen Oppositionskonferenz.
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