: Rote Nelken und Aktivistennadeln
■ 40 Jahre Erziehung zur Unterordnung haben den Frauen in der DDR ihren Stempel aufgedrückt. Neben Erwerbsarbeit, Kinder und Haushalt blieb keine Zeit mehr für die Frage nach eigenen Bedürfnissen und Wünschen. Eine Frauenbewegung gab es in der DDR nie, doch die „Wende“ hat neue Horizonte eröffnet. Aber die Differenzen zwischen Ost und West dürfen nicht euphorisch zugekleistert werden
Freya Klier
Die Frauen der DDR haben sich nie zu einer Bewegung formiert. Das scheint zunächst ungewöhnlich, bedenkt man, daß andere grenzübergreifende Probleme stets auch in der DDR ihren Widerhall finden und daß der große Frauenaufbruch der siebziger Jahre westseits der Elbe auch am anderen Ufer keineswegs übersehen wird.
Zwar gibt es immer wieder hie und da Frauengrüppchen, später auch eine schmale lesbische Randszene... frau (in der DDR stets ans vertraute „man“ gekuschelt) kennt sich und trifft sich, doch eine Bewegung wird daraus nie. Das Thema bleibt während der achtziger Jahre auch in der Alternativbewegung auffällig unterbelichtet.
Nicht, daß es in der DDR keine spezifischen Frauenprobleme gäbe - allein die Scheidungsquote von mehr als 40 Prozent schreit geradezu nach „Glasnost“. Auch mache ich während meiner Frauenbefragung eine hohe Dunkelziffer an Alkoholismus aus, die sich wohl mittlerweile kaum verringert haben dürfte. Es gibt Überbelastung und Einsamkeit, Brutalität und Vergewaltigung (in und außerhalb der Ehe), an Themen mangelt es also nicht.
Die Schwerfälligkeit im Umgang mit dem Thema hat andere Ursachen. Zunächst einmal sind auch die Frauen der DDR Produkte einer vierzigjährigen Erziehung zur Unterordnung. Auch für sie hieß es stets: Klassenauftrag ohne Widerspruch ausführen, den jeweiligen Kampfplatz füllen, sich anpassen. Informationen fließen spärlich und dazu verfälscht - das eigene Denken, systematisch abtrainiert, verkümmert allmählich. Man wurstelt sich durch. Über sich weiß man eine Staatsmacht, die jeden kriminalisiert und abstraft, der aus der Reihe tanzt. Dieses Wissen schleift sich ein - und die Vorsicht erhöht sich durch Verantwortung für die Kinder.
Die anerzogene Unterordnung bricht also jeweils nur dort auf, wo der Druck derart zunimmt, daß selbst das Risiko einer Bestrafung nicht mehr abschreckt.
Der Druck des Staates war stets unerträglich, doch es war nie ein Druck auf die Frau als solche. Nie wurde sie von der Partei als Frau diskriminiert oder zum Objekt entwürdigt. Sie bekam einen Bauhelm auf den Kopf und wurde zur Mutti getuttelt, aber diskriminiert wurde sie nicht. So erleben die Frauen der DDR als ihren Hauptkonflikt nicht den zwischen Frau und Mann, sondern den zwischen Oben und Unten: Anpassung und Heuchelei werden gefördert, Aufrichtigkeit bestraft. Dieses Prinzip aber ist kein geschlechtsspezifisches... es gilt Frauen und Männern gleichermaßen.
Die vierzigjährige Erziehung hat jede Frauengeneration geprägt, doch jede auf besondere Art.
Unsere Großmütter zum Beispiel muckten überhaupt nicht auf. Der Gehorsam, auf den sie schon seit Kaisers Zeiten getrimmt worden waren, bot der Partei ein gutes Fundament, ihr eigenes Modell drauf zu errichten. Dem Manne untertan zu sein wie dem Staat - von dieser Prägung haben sie sich nie mehr erholt. Vom Manne emanzipieren sie sich nur vorübergehend, als sie während der Kriegs- und Nachkriegszeit deren Päckchen noch mitzutragen haben. Doch Verantwortung und Männerarbeit bei gleichzeitig reichem Kindersegen ist kein Akt des Bewußtseins, sondern der Not.
Vom Staat emanzipieren sie sich nie mehr. Dazu fehlten ihnen vorher die Voraussetzungen, und auch in der neuen Ordnung haben sie ausschließlich mitzuziehen. Fast scheint es sogar, als sei ihr Selbstbewußtsein unter der „Arbeitermacht“ noch gesunken: So grüßt beispielsweise meine (ansonsten unpolitische) Großmutter in all den Jahren der Naziherrschaft noch hartnäckig mit „Guten Tag“. Es ist kein bewußter Widerstand, sondern eher eine instinktive Verweigerung. Und doch ist sie in dieser Zeit nicht ungefährlich: Eines Tages, beim Betreten des Fleischerladens, wird sie von ihrer fünfzehnjährigen, bereits BDM-getrimmten Tochter laut ermahnt, die Begrüßung habe „Heil Hitler“ zu heißen. Daraufhin verpaßt sie ihrer Göre vor versammelter Kundschaft eine Schelle. Nur der Zufall der personellen Zusammensetzung im Laden und das noch nicht völlig abtrainierte Schamgefühl meiner Mutter verhindern letztlich eine Denunziation.
Später, in der Ulbricht-Zeit, wirkt die Einschüchterung durch ihre Dauer lähmend bis zur Gewohnheit. Nie mehr hätte meine Großmutter, die ihr Leben lang als Köchin im Schichtdienst gearbeitet und allein zwei Kinder großgezogen hat, später gewagt, sich über die 320 Mark Rente zu beschweren, die ihr die Partei nach einem solch harten Leben zugestand. Die alten DDR-Frauen sterben mit dem Bewußtsein, einer Abfall-Generation angehört zu haben, für die kein Geld mehr da ist, weil der „Überschuß“ in die Gebär-Generation gepumpt wird.
Unsere Großmütter waren stets von einer schmerzenden Bescheidenheit. Auch unsere Mütter sind die Erziehungsprodukte zweier Systeme, doch vor allem sind sie geprägt vom Ulbrichtschen Aufbauprogramm. Ihren BDM-Schwung hatte man ihnen rasch in FDJ-Schwung verwandelt. Jung und dynamisch, wie sie waren, ergriffen sie die ausgestreckte Hand der Partei. Sie waren durchaus noch lernfähig; relativ erfolgreich wurde ihnen das Bewußtsein der neuen Zeit anerzogen, das historische Bewußtsein auch der „Frau im Sozialismus“. Und deren Auftrag hieß Berufstätigkeit.
Die Frauen meiner Generation lassen sich wohl nur über sie begreifen - über ihren Aufbauschwung und den enormen Kraftaufwand, mit dem sie sich ihrer Doppelbelastung stellten. Wir reproduzierten im wesentlichen ihre Entwicklung und übernahmen durch sie die Werte, welche die Partei uns „sozialistischen Frauen“ setzte. Mittelstandszauber wie Mutter/Tochter-Konkurrenz entfiel, soweit mein Auge blickte. Wir waren im Pionier- oder FDJ -Trab, und die Mütter hatten ein solches Arbeitspensum zum bewältigen, daß das In-sich-hinein-Horchen als Luxus wegfiel und ihnen die physische Erschöpfung den Werktag beendete.
Von Zeit zu Zeit verglichen wir Kinder unsere Mütter diejenigen, die nur Mutter und Hausfrauen waren mit denjenigen, die zusätzlich noch im Betrieb ihren „Mann“ standen. Jedesmal wägten wir Vor- und Nachteile gegeneinander ab. Dabei verschob sich unser Blickwinkel im Laufe der Zeit: In den frühen Schuljahren beneideten wir jene Mitschüler am meisten, die mittags nach Hause gehen konnten, dort mit Mutterkuß und ihrem Lieblingsessen empfangen wurden - während wir, die Hortkinder, appetitlos den Einheitsfraß der Schulspeisung runterschlangen, den Schulhort meist bis zum Anschlag frequentierten und anschließend, im häuslichen Streß, noch ein minimales Haushaltsprogramm absolvieren mußten. So lagen wir Hortkinder zwar im „Timur-Wettbewerb“ (in dem es Punkte für Haushaltsfleiß gab) stets vorn. Doch hätten wir gern auf die Punkte verzichtet und die langweilige Hausarbeit unseren Müttern völlig überlassen. (Väter nahmen nur pro forma am Wettbewerb teil. Mit Ausnahme jener moralisch festen Genossen, denen Haushaltshilfe Parteiauftrag war, gaben sie sich paschafaul - dafür prangten sie öfter aus der Frauenzeitschrift... in Küchenschürze, der Mutti beim Abwasch helfend).
Langsam änderte sich die Bewertung: Mütter mit Auszeichnungen und roten Nelkensträußen gewannen an Bedeutung, stolz reichten wir ihre ersten Aktivistennadeln an den Abendbrottischen herum. Selbst die Nachteile der qualifikationsfreudigen Mütter erkannten wir langsam als Vorteil: Sie fanden weniger Zeit, uns zu überwachen als die Hausfrauen (deren Zahl im übrigen stetig abnahm).
Endgültig verlagerten sich die Sympathien während der Jugendzeit. Zwar befanden sich die qualifizierten Mütter noch immer im Dauerstreß - nun meist in einer mittleren Position und statt des Studiums von Sitzung zu Sitzung eilend - doch sie standen mit beiden Beinen im Leben und hatten gegenüber den Heimchen an Duckmäusertum verloren. Denen entglitt langsam ihre Hauptaufgabe: die Mutterrolle. Aus Angst vor eintretender Leere krallten sie sich an ihren Kindern fest und beschleunigten damit deren Fluchttrieb. Ihr Kuchen schmeckte stets phantastisch, doch Gespräche mit ihnen sackten oft ins Banale ab, während mit den „Emanzipierten“ (die Geschirr- und Wäscheberge selbstverständlich noch immer weitgehend allein bewältigten) schon mal ein Gespräch über Plan und Ziffer zustandekam.
Und noch aus einem anderen Grund verschoben sich die Stimmungslagen unserer Mütter - ein Grund, der den führenden und regionalen Genossen lange Zeit Kopfzerbrechen bereitete: der Seitensprung. Er war auch im „Sozialismus“ nicht nur noch immer an der Tagesordnung, er wurde durch die häufigen Brigadefeiern und -ausflüge noch regelrecht gefördert.
Und hier befanden sich nun die Berufstätigen erneut im Vorteil. Denn Seitensprünge mußte zwar sowohl die Hausfrau als auch die Werktätige hinnehmen (die eine, weil sie gepflegt, aber geistig verödet - die andere, weil sie hellwach, aber abgewirtschaftet war).
Doch wähend der Hausfrau ein eigener Kontaktkreis fehlte, ließen sich die berufstätigen Frauen mit neuem Selbstbewußtsein und ergiebigem Kollegenkreis nicht lumpen sie langten oftmals genauso hin wie ihre Männer. Vor ihren beruflichen Leistungen hatten wir großen Respekt. Wie sie wollten wir es machen, nur besser. Daß Arbeit und Kinder zusammengehen, hatten sie uns vorgelebt - so war das auch für uns keine Frage. Auf Ehe und Familie allerdings zeigten wir uns schon bedeutend weniger erpicht.
So hatten wir jüngeren DDR-Frauen also bald einen festen Standort. Von diesem aus bewerteten wir all das Unbekannte, das langsam aus der westlichen Frauenbewegung zu uns herüberdrang.
In den siebziger und Anfang der achtziger Jahre gab es häufig „Frauenbesuch“. Für uns Eingezäunte war solcher Besuch notwendig und erfrischend. Doch wurde er immer dann zum Problem, wenn erklärte Feministinnen anrückten. Mit Neugier, Furcht und einem Grundgefühl schwesterlicher Wärme erwarteten wir sie. Ihre Gangart war härter als die unsere, auch ballerten sie mit Begriffen durch den Alltag, die uns fremd waren. Und sie hatten Antworten parat auf Fragen, deren Lösung wir in näherer Zukunft für unwahrscheinlich hielten.
Beunruhigt hatten wir bereits hinter unserer Mauer verfolgt, wie sie (in einer Flut von Schriften) ihr Geheimstes auspackten - das schließlich auch unser Geheimstes war: ihre Sexualität. Uns schien es, als zerrten sie auch noch den letzten Rest an Unerklärlichem ans Licht. Wir waren in dieser Hinsicht zugeknöpfter und sahen uns gleich mit entblößt. Denn während sie bereits ein Tabu nach dem anderen köpften, begannen wir in der DDR gerade mal, an den Frotteehandtüchern herumzumäkeln, mit denen Frauen alljährlich am 8.März beglückt wurden.
Gegen ihre auf Männer klatschenden Tomaten nahm sich unser bescheiden formuliertes Unbehagen aus wie das Eiapopeia gegen den Bildersturm. Männer (die quasi über Nacht zu „Typen“ wurden), hatten bei ihnen überhaupt keine Chance. Sahen uns die Feministinnen beispielsweise Kaffee kochen, so verpaßten sie unseren Freunden (die selbstverständlich zu keinem Gespräch zugelassen waren), eine scharfe Note, weil nicht sie den Kaffee gekocht hatten. Klappte aber doch ein „Typ“ die Kaffeedose auf, so erhielt er eine scharfe Note, weil frau (wie unser argloses „man“ stets korrigiert wurde) einen herablassenden Zug um seinen Mundwinkel ausgemacht hatte.
In Gegenwart von Feministinnen wurden wir deshalb von einem heftigen Gluckeninstinkt erfaßt. Schützend stellten wir uns vor die Getadelten, betonten ihre Toleranz und ihren Haushaltsfleiß. Erst nachdem die Frauen gegangen waren, nahmen wir unser Nörgeln an männlicher Egozentrik wieder auf.
Uns störte, daß uns ein Tempo aufgedrückt wurde, das nicht unseres war. Dabei hatten wir die gleichen Probleme. Zwar gab es für uns DDR-Frauen die bessere Rechtsgrundlage, doch in der Praxis dominierten die alten Rollenmuster. Wir hangelten nach unserer Gleichstellung - im Alleingang und mit spärlichem Erfolg. Wie alle berufstätigen Frauen litten wir unter der Dreifachbelastung - doch wir schrien sie nicht hinaus, sondern schluckten sie. Wie alle Frauen hingen wir fest im Dilemma zwischen Kind und Selbstverwirklichung. Ihre radikalfeministische Lösung jedoch - Zerschlagen des Konfliktes durch völligen Kinderverzicht - gab nicht nur unseren Mutterherzen einen Stich, sondern schien uns zudem ein dem Konflikt ausweichender Rückschritt.
Wir wollten alles zugleich sein - Mutter, emanzipierte Frau, Geliebte und Genossin.
Nichts davon klappte richtig, etwas blieb immer auf der Strecke. Doch deutlich wie selten wurde uns nach solchen Ost/West-Begegnungen, daß eine andere Geschichte hinter uns lag, daß wir das staatliche Frauenprogramm längst verinnerlicht hatten. Fast kamen wir damit besser zurande als mit dem Feminismus, von dem wir uns überfahren fühlten.
Der Eindruck verstärkte sich durch die Wechselbäder, in die sie uns tauchten. So konnte es passieren, daß westliche Feministinnen uns maßregelten, weil wir zu viel mit unseren Kindern herumpempelten und diese Aufmerksamkeit dem anstehenden Frauenkampf verlorenging.
Wir protestierten heftig und verteidigten unsere Position. Doch langfristig wirkte die Kritik, wir dachten darüber nach. Wir behielten unsere Position, übernahmen aber zugleich einige uns wesentlich erscheinenden Momente der Feministinnen.
Ein Jahr später dann, beim neuerlichen deutsch-deutschen Frauentreff, gedachten wir, brav unsere Lernergebnisse vorzustellen. Und da erlebten wir mitunter eine herbe Überraschung: Die Feministinnen waren mit einer neuen Position angereist. Wenn wir Pech hatten, mit einer, die im diametralen Verhältnis zur vorherigen stand. Diese neue Position vertraten sie nun mit der gleichen Ausschließlichkeit wie die alte.
So erinnere ich mich zweier Frauen aus dem Raum Göttingen sie kamen aus einer Gruppe, die sich „Amazonen“ nannte. Mit flammend-feministischem Vokabular diktierten sie uns die Parole des Kampfes: Alle Macht den Frauen. Kinder kamen in diesem Kampf nicht vor.
Zwei Jahre später dann trauten wir unseren Augen nicht: Ihre Militanz war einer merkwürdigen Somnambulität gewichen. Sie teilten uns mit, daß sie inzwischen Anhängerinnen der „neuen Weiblichkeit“ seien. Mit einem Hauch in der Stimme, als hätten sie einen Ballen Samt verschluckt, schilderten sie uns blöde dreinschauenden Zonies dann, wie sie „La Luna“ für sich entdeckt hatten, die Mutter Erde - und die Menstruation. Wir verzogen säuerlich das Gesicht... und wandten uns, wie nach einer überstandenen Infektion, wieder unserem eigenen gesellschaftlichen Steinbruch zu.
Dieses Aufeinanderprallen einer westlichen (zur Übertreibung neigenden) und einer östlichen (zur Biederkeit neigenden) Position ließ das Bedürfnis nach reinen Frauenthemen in der DDR wohl zusätzlich absacken. So flanierten eine Zeitlang junge Frauen mit lila Windeln um den Hals durch diverses Kirchengelände - doch war es wirklich nur der Farbstoff, der ihnen ausging? Die lila Bewegung jedenfalls schaffte den Sprung von der Larve zum Schmetterling nicht.
Was bei Rüstung, Atomkraft oder Umwelt ohne Belang war, klaffte beim Thema „Frau“ beträchtlich: die unterschiedliche Erziehung, die verschiedenen Erfahrungswelten - sie klafften bis in die Sprache hinein. Das Thema hätte also zunächst einmal aus dem Gesamtzusammenhang unserer eigenen Gesellschaft heraus definiert werden müssen.
Das nun unterblieb völlig. Denn auch hier zeigte sich, wie weit die DDR-Gesellschaft bereits in unterschiedlich privilegierte Gruppen und Schichten zerfallen war:
Die Mehrheit der Frauen - die an der Basis - hielten überhaupt kein Ende des Fadens in der Hand. Hier, wo die Probleme oftmals wirklich akut waren, wurden die Betroffenen von der Bewältigung ihres täglichen Pensums derart in Schach gehalten, daß Nachdenken über die Rolle der Frau in der Gesellschaft ausschied. Auch war das schließlich nicht ihr Bier, sie verfügten noch nicht einmal über die mindeste Information. Über Informationen verfügten die etwa zwei Handvoll Wissenschaftlerinnen, die von Berufs wegen mit Frauen- und Familienfragen befaßt waren. Doch sie wiederum befanden sich im Parteigriff und ließen eigene kühne Schritte vermissen.
Sie litten unter jenem opportunistischen Schwächeanfall, der im Laufe der Jahre fast die gesamte Intelligenz heimsuchte. Verpuppt in ihre Intellektuellen-Nische, beglückwünschten sie einander, war es wieder mal gelungen, eine kritische Passage in einer Fachpublikation zu landen die aber fand ihren Weg gerademal zu Lesern aus dem Insiderkreis.
Und es gab im Land eine bedeutende Frauenliteratur. Sie war ein wenig lustfeindlich, doch handfest und von brillanter Sprache. Sie wurde mit großem Interesse gelesen, aber Folgen hatte sie nicht: Mit dem Lesen war der Akt des Aufbruchs beendet. Und während wir zusahen, wie sich die westliche Frauenbewegung ihrer als eine Art Leitstern bemächtigte, entstand zwischen den Autorinnen und einem großen Teil der DDR-Frauen eine merkwürdige Kluft. Wir kreideten ihnen an, daß sie über die Dialogangebote der Frauen aus dem eigenen Land ängstlich hinweggingen - sich aber dort als wagemutig feiern ließen, wo Wagemut nicht vonnöten war: auf der anderen Seite der Mauer, im Lager der Westschwestern. Auch sie demonstrierten uns den nur allzu geläufigen Bruch zwischen proklamiertem Anspruch und eigener ausbleibender Courage.
Mit Galionsfiguren haperte es also. Sich nun selbst und ganz ohne Pannier aufzurappeln, fehlte es in der Breite offenbar doch an Motivation. So gab es stets übers Land versprenkelte Selbsterfahrungsgrüppchen, doch die Hürde zur gesellschaftlichen Relevanz übersprangen sie nicht.
Dafür hätten sie zu einem Ganzen verschmelzen müssen, zu einer Bewegung. Eine nicht von der SED eingefädelte Bewegung jedoch gab es bis zur Wende in der DDR ausschließlich unter dem Dach der Kirche.
Pech für die Frauen! Denn Küche und Frau sind ein Brautpaar mit einer Schleppe aus Konstantinschem Blei: Die Exegeten der Jahrhunderte christlichen Abendlandes drückten dem Weib den Dauerstempel der Virginität auf oder den der duldend -schuldenden Rippe; schließlich galt es, die irdische Macht zu sichern. Sie hatten leichtes Spiel; die Bibel ist - trotz feministischer Durchsicht - eine patriarchalische Chronik, auf deren Fundament sich so leicht kein Frauenhaus zimmern läßt. Nein, die Frau war das Thema der Kirche nie - und wieso auch sollte der veritable Herrenverein (mit seinen wenigen weiblichen Einsprengseln) sich selbst ans Eingemachte gehen?
Bot also die Kirche (mehr oder minder blockend) immer wieder ein Forum für jene Reizthemen, die der Staat so gern unter den Teppich kehrte, so versanken die Brüder im Herrn beim Stichwort „Frau“ in einer Askese, die ahnen ließ, es handele sich hierbei auch für die Kirche um ein Reizthema. 1986 versuchten wir (eine Handvoll Frauen, darunter eine Pastorin), der Kirche ein seit langem leerstehendes Gebäude abzuringen. Es sollte die erste Zufluchtsstätte sein für mißhandelte Frauen und ihre Kinder. Ebensogut hätten wir den Bischofsstuhl fordern können! Gesichter verschlossen sich wie Türen... Monate folgten voller Rennerei, Anfrage, Ablehnung, Ignoranz. Am Ende die lähmende Erfahrung einer Totgeburt nach heftigen Preßwehen.
Auch die Kirche schied also als Plattform für eine Weibervolksversammlung aus. Den Frauen der DDR gelang es somit nicht, sich zu einer nennenswerten Größe aufzurappeln, sie blieben im Griff des Staates.
Die Wende nun riß endlich auch die Frauen aus der Lethargie. Initiativen, Cafes, gar ein unabhängiger Verband schossen aus dem Boden. Und während zusammenwuchert, was für viele längst nicht mehr zusammengehörte, wird deutlich: Nicht alles, was die Partei der Frau zusammenbraute, gehört gleich in den Gully der Vereinigung. Die Gesetzesmatte für die DDR-Frau war besser gepolstert als das Grundgesetz der Schwestern von nebenan. Der Rahmen war tauglich, sein Inhalt ein totalitärer Spuk. So belasten nicht die Kindergärten, sondern deren Programm und das Abwürgen jeder Alternative. So belastet nicht das Babyjahr, sondern seine forcierte Koppelung an die Frau. So ist der gesetzlich verankerte (und sich unter den Händen einer ihres Handwerks überdrüssigen Ärzteschaft) vollziehende Embryonen-Abtrieb ebensowenig das Omen von Gomorrha wie seine Verteufelung das Amen, sondern in seiner Quantität vor allem das Resultat einer von der SED verhinderten Umverteilung von Lasten innerhalb der Familie.
Der Aufbruch der DDR-Frauen im Herbst '89 ist ermutigend. Und doch werden bereits in der euphorischen Phase Bruchstellen sichtbar, die signalisieren, daß es ein „Wir Frauen“ noch längst nicht gibt. So wird ein Unabhängiger Frauenverband gegründet, gut. Doch wo bleibt die proklamierte Basis-Demokratie? Den wackeren Frauengrüppchen aus der Provinz, den tatsächlichen Vorkämpferinnen, sitzt plötzlich ein Vorstand von (Berliner) Frauen vor der Nase, deren Namen vor der Wende nie jemand gehört hatte. Das ist logisch, denn bis zum Umschwung zierte die heutige Frauenführung ausnahmslos den Karriereast der SED (Und so läßt denn der kühne Schwung, mit dem sie nun - in der risikoarmen Zeit der Nachwende - Frauen als mutig und stark preisen, ein wenig den Verdacht aufkommen, die eigene opportunistische Vergangenheit soll im Karacho aus der Erinnerung gestrichen werden.). In den Provinzen des Landes mosert es - ein Geräusch, das anschwellen könnte.
Und es lauern ärgere Gefahren: Der neu formulierte Anspruch rauscht derzeit an jenen Geschlechtsgenossinnen vorbei, die stets die Mehrheit der Frauen im Land bilden: jene, die in täglicher Erschöpfung hin- und herhasten, zwischen Haushalt, Betrieb, ihren Kindern und ihrem Macho. Gelingt es nicht, deren Nähe und Sprache zu finden, wird der Unabhängige Frauenverband bald zur unabhängigen Sekte schrumpfen.
Hier ist Behutsamkeit geboten, bis ins Wort hinein. „Feminismus“, die Gruselvokabel der „Schwestern von drüben“, ist die geeignetste Parole, um jede sich vorsichtig aufrappelnde DDR-Frau schnurstracks wieder hinter den Rücken ihres Mannes zu treiben.
Die Geschichte Ost und die Geschichte West sind in einem Ausmaß verschieden verlaufen, daß jedes noch so euphorische Zukleistern von Differenzen einen deutsch-deutschen Bumerang verspricht. Soll das restlose Absacken der DDR in eine technokratische Notgemeinschaft im Schlepptau Westeuropas verhindert werden, müssen wir den Frauen zwischen Oder und Elbe ein Geländer bauen, das sie beim ersten Aufrichten nicht nur fassen können, sondern auch fassen wollen - ein männliches Feindbild aber ist kein Geländer, sondern eine Krücke. Woran es uns mangelt? An der Phantasie, uns täglich von neuem in den miefigen Provinzalltag der meisten Frauen hineinzuversetzen.
Auch wir selbst brauchen den Mut zur Grenzüberschreitung. Die erste zu überschreitende Grenze ist unser Eingeständnis, daß wir keineswegs nur mutig und stark sind, sondern ebenso auch feige, passiv und denkfaul.
(stark gekürzte Fassung des Vortrags: Zwischen Kombi und Kreißsaal)
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