: Offen revoltieren Tory-Hinterbänkler gegen ihre angeschlagene Chefin
Thatchers Abstimmungskanon voll schriller Dissonanzen: Vier Konservative stimmten für den Labour-Antrag, nach Einführung der „poll tax“ Ärmeren vorübergehend die Steuern zu ermäßigen ■ Von Ralf Sotscheck
Die Rebellion der Tory-Hinterbänkler gegen die britische Premierministerin Margaret Thatcher wird immer offener. Bei der Unterhausdebatte über die umstrittene Kopfsteuer stimmten in der Nacht zum Dienstag vier konservative Abgeordnete für den Antrag der Labour Party, den ärmeren Bevölkerungsschichten während einer Übergangszeit großzügigere Steuerermäßigungen zu gewähren. Mindestens 35 Tories enthielten sich der Stimme. Zwar wurde der Antrag dennoch abgelehnt, doch das Abstimmungsergebnis war ein deutlicher Warnschuß für Thatcher.
Die meisten Konservativen machen die Kopfsteuer für ihre erdrutschartige Niederlage bei der Nachwahl in Mid -Staffordshire am vergangenen Donnerstag verantwortlich. Der Finanzplan der Regierung zur Milderung der Steuerbelastung konnte die Gemüter nicht beruhigen. Der Plan sieht vor, daß die Erhöhung im Vergleich zum bisherigen Abgabensystem, das nach Hausbesitz berechnet wurde, auf drei Pfund (8,30 DM) pro Woche begrenzt sein soll. Diese Zahl trügt jedoch, da sich die Ermäßigung lediglich auf die Regierungsrichtlinien zur Festlegung der Steuer bezieht. Diese Richtlinien sind jedoch realitätsfremd und wurden von nahezu allen Verwaltungsbezirken weit überschritten. Die Differenz muß von der Bevölkerung voll getragen werden. Die Kopfsteuer, in Schottland seit einem Jahr in Kraft, wird am Montag in England und Wales eingeführt. Danach zahlen alle Bewohner eines Verwaltungsbezirkes dasselbe - der Schloßbesitzer genausoviel wie sein Gärtner.
Bereits vor der Hinterbänkler-Rebellion gegen die Kopfsteuer hatte der ehemalige Finanzminister Nigel Lawson am Montag Salz in offene Wunden gerieben. In seiner ersten Unterhausrede seit Oktober, als er wegen unüberbrückbarer Differenzen mit Thatcher zurückgetreten war und dadurch eine Regierungskrise ausgelöst hatte, kritisierte Lawson die Weigerung Thatchers, dem Europäischen Währungssystem beizutreten. Dadurch seien „sämtliche Bemühungen der Regierung um Inflationskontrolle bedroht“. Das britische Pfund sei seit seinem Rücktritt bereits um fünf Prozent gegenüber der Mark gefallen, sagte Lawson. Für seine Rede erhielt er tosenden Applaus von der Opposition, während das Kabinett mit eisigem Schweigen reagierte.
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