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Das romantische Leben

 ■  ENTREE GRATUITE - MINIATURMUSEEN IN PARIS

Ab heute bis Ostern stellt der Pariser Taz-Korrespondent Alexander Smoltczyk kleine Pariser Museen vor. Jeweils mittwochs und samstags.

Abseits von Montmartre, zwischen Rue Pigalle und Rue Blanche, liegt eine weiße linke Hand aus Gips. Mit deren Vorbild spielte einst der Herr Chopin. Und er trillerte und griff mit ihr so lang, bis sie so hager, lang und sehnig wurde wie ein abgenagtes Hühnchen.

Ein wenig weiter ruht ein angegilbter Unterarm, ein wenig patschig schon das Händchen, und gehörte George. George Sand natürlich. Die tätschelte mit ihrem Arm, als der noch warm war, das Hühnchen und beauftragte einen Künstler, die genialen Finger von Chopin in Gips zu gießen, mit einem Messingring daran, damit man sie auch aufhängen kann, zur Erbauung der Allgemeinheit.

Wir befinden uns im Museum des romantischen Lebens, einem von Brandmauern fast verdeckten ockerfarbenen Gartenhaus mit Wintergarten. Es riecht wie bei alten Leuten, elektrische Kandelaber flackern leise im Windhauch, um uns drapierte Vorhänge, marmorierte Anstriche und Kordeln - vor allem und überall Kordeln. Gemalt, geknüpft, gegipst hängen sie von den Stuckdecken herunter mit ihren üppigen Knoten und schwülstig baumelnden Fransen, tragen Pastellporträts oder ornamentieren schlicht und sehr erdrückend. Ein Netz von rosa- und burgunderroten Kordeln, in das sich ein Jahrhundert eingesponnen hat, und in dem sich gipserne Unterarme, Medaillons, Autographien und andere Souvenirs verfangen haben für immerdar.

Alles ist mit allem verknüpft in diesen Räumen. Ein Schnupftuch sehen wir in der Vitrine, zärtlich geklöppelt von Sylvanie, der schauspielernden Konkubine des Prinzen Napoleon, damit der Geliebte sich auch schneuzen könne auf dem Transatlantikdampfer; ein besticktes Matrosenband, das eben jener Prinz der verehrten George Sand schenkte, als sie ihn auf dem Dampfer begleitete, etc. pp.

Kein Ding steht für sich allein, ein jedes dient als Kondensfläche für die unendlich wabernden Schwaden der Erinnerungen. Die goldene Tabakdose dort ist durchaus ansehnlich, doch von Interesse allein dadurch, daß sie dem Marschall von Sachsen gehörte, dessen Maitresse wiederum die Urgroßmutter von George Sand war. Das unscheinbare Papiermesser? George trug ein solches, als sie Musset zum erstenmal begegnete. Assoziationen legen sich auf die Dinge, hängen wie klebrige Kordelfänge in den Räumen des 19. Jahrhunderts, so daß man sich in ihnen nur vorsichtig bewegen mag. Die romantische Welt suchte das Vergängliche schon, bevor es vergangen war. Chopins Linke war schon Gips, als sie noch spielte; Georges Locke, die Medaillons, Armbänder aus Kinderhaar, eine Portefeuille von La Fayette, Bleistiftzeichnungen aus dem Chateau de Nohant - alles, was in diesem Gartenhaus aufbewahrt wird, war bereits Museumsgegenstand, als es entstand. Das Museum des romantischen Lebens ist vielleicht das einzige Museum, das seine Gegenstände nicht aus ihrer Zeit herauszunehmen brauchte, weil sie nie eine Gegenwart besaßen. Mit einem Wort: ein völlig unromantisches Museum, dieses Haus der Kordeln in Montmartre.

Alexander Smoltczyk

Musee de la Vie Romantique. Maison Renan-Scheffer, 16, Rue Chaptal, 75 009 Paris. Geöffnet ist täglich außer montags, von 10 bis 17.40 Uhr.

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