piwik no script img

STARSCHNITT FÜRS MUSEUM

■ „Zehn Jahre Einstürzende Neubauten“ - Eine Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien

Das Schöne an Musikern mit Kultstatus ist ja, daß sie so vermeintlich intim mit denen sind, die den Kult betreiben. Sie gründeten sich, als man begann, sich zu „sozialisieren“, lernten und probierten aus, als man selber lernte und ausprobierte. Immer waren sie auf Knopfdruck da, gaben Kraft und Geschwindigkeit und bestätigten in konzentrierter Aussage die eigene Weltsicht. Dann wird so eine Band plötzlich zehn Jahre alt, und gerne würde man gratulieren, nicht zuletzt sich selbst, weil da noch etwas aus der eigenen Jugend überlebt hat. Aber, und da ist der Haken der Stars, es machte wenig Sinn, denn die Intimität ist ganz einerseits.

Eine Dekade Einstürzende Neubauten ist komplett. „Zeit also, die Geschichte der Band in einer Ausstellung vorzustellen“, behaupten die Projektionisten Monika Döring und Gerhard Paproth. Es handelt sich aber weder um eine Geburtstagsüberraschung besonderer Art, denn die Idee sei von Blixa Bargeld selbst gekommen, noch geht es darum, den Mythos zu pflegen. Die Darstellung der sonst gern strapazierten geheimnisvollen Bezüge zwischen dem Einsturz der Kongreßhalle und der Gründung der Einstürzenden Neubauten am 1. April 1980 wird einem genauso erspart wie der Wink mit der prompten Öffnung der Mauer ostwärts einen Tag nach dem Auftritt der Neubauten im Wilhelm-Piek-Saal. Statt Mythen zu mutieren, betreiben Paproth und Döring tiefernste Avantgardeforschung auf dem Niveau eines Heimatmuseums.

Versteckt in dem kleinen Studio im zweiten Stock des Künstlerhauses Bethanien hängt ordentlich Rahmen mit silbernem Rand neben Rahmen mit silbernem Rand. Die Ausstellung ist von links nach rechts zu lesen. Dort ist der Untergrund in den Rahmen noch schwarz, da rot, hier mehr orange als gold - was auch des Guten gar zuviel gewesen wäre, egal, wie „deutsch“ die Neubauten nun sein mögen. Über ihnen pappen Schilder mit den Jahreszahlen der Epochengliederung: „1980-1982 antiästhetische Konzepte“, „1982-1984 Performances und Experimente“ usw.; darunter kleinere Schilder „1/2 Mensch I“, „1/2 Mensch II“, „1/2 Mensch III“. Vitrinen gibt es auch. Zum Drüberbeugen liegen darin unter anderem Eintrittskarten zu Neubauten-Konzerten in aller Welt und Ansteckknöpfe mit Neubauten-Männchen. Über die Gestaltung der ersten rührenden Tapes bis zum ausgefeilten Kunst cover mit Zitaten aus mehreren Jahrhunderten kultureller Tradition reihen sich dann Fotos, vor allem von Auftritten, und Spurpläne aus Tonstudios. Wer nichts über Studiotechnik weiß, wird auch nicht das Aufnahmekonzept der Neubauten verstehen. Und die genaue timetable für den Japanaufenthalt wird allenfalls versierten TourmanagerInnen Auskunft über die Effizienz der Neubautschen Zeiteinteilung geben.

Bleiben GermanistInnen die Entwürfe und Endfassungen der Texte für eine Paralipomena-Analyse. Sonst könnten sie nur Erinnerungen wecken an Zeiten, in denen dieses oder jenes Stück aus dem und dem Grund hundertmal gehört wurde. Das Aufblättern der eigenen Vergangenheit ist aber privat und kann nicht Sinn der Übung sein. In der Erlebnisaufsätzen der Musiker läßt sich dann zögerlich eine Privatheit der Band greifen. Kurz vor dem Auftritt ziehen sie noch begeistert los, um Instrumente auf der Straße zu sammeln: Schilder, Rohre, was sich an Klangkörpern so finden läßt. Einen simulierten Auftritt vor Fernsehkameras verweigern sie, weil sie ihre Energie für den eigentlichen Gig brauchen. Und in einer Niederschrift Blixa Bargelds, die durch Korrekturbemerkungen so herrlich authentisch wirkt, findet in der Beschreibung der inneren und äußeren Verfassung des Sängers vor einem Auftritt endlich die Droge Erwähnung, ohne die die Musik der Neubauten nicht möglich gewesen, die Rezeption anders verlaufen wäre. Oder wie soll ohne Speed das Ego gefüttert werden, bis alles ungeheuer wichtig ist?

Der umtriebigen Unruhe, der Schlaflosigkeit, dem Ekel vor dem Körper folgt die Paranoia, die das mühselig zusammengesetzte Konstrukt Welt in seine Bausteine zersplittern läßt. Das sind „Strukturen gegen Architekturen“: „Sehnsucht kommt aus dem Chaos, ist die einzige Energie. Meine Sucht, meine Sucht, meine Sehnsucht...“ Von hier aus bis zur Gratwanderung der brennenden Seele am Rand zum Abgrund ist es nicht weit: Dann krabbeln im Text Käfer über Gesicht, Finger und Wände. Beim Versuch, sie mit einem Messer zu entfernen, wird das Fleisch verletzt. Das Produkt, die Wunde, ist Musik, denn „ohne Gefahr keine Schönheit“ - oder „Negativ Nein - Doppelnein!“

Ein Bild zeigt, daß schon vor Eröffnung des „Hauses der Lüge“ Blixa Bargeld in einen Keller gestiegen ist, um dort für die „Zeichnungen des Patienten O.T.“ aufzunehmen, Wahnsinnsschreie, die der Frage folgen, ob die Vulkane noch tätig seien. Die Gesichter der fünf Männer im Wandel der Zeiten beginnen vor dem Hintergrund zu sprechen. Bloß - daß Musiker auch Menschen sind, ist eine Binsenweisheit. Über die Rezeption des Ganzen schließlich schweigt sich die Ausstellung entgegen ihrer Ankündigung gründlich aus.

Einzige optische Auflockerung der Bethanien-Zelle sind die absurd ethnologisch in die Mitte des Raumes plazierten Instrumente, die zum Ausprobieren verführen sollen. Die zaghaften Versuche, sie zum Klingen zu bringen, bleiben unbeholfener Krach. Erst als Mufti sich zu Demonstrationszwecken an die Metallteile stellte, kamen sie zum Leben und wollten die engen Wände sprengen. Unwahrscheinlich, daß sich der Meister der Schrotts für die Dauer der Ausstellung zur Verfügung stellen wird. So werden sie weiter dort schlafen und nur den Blick auf die Tafel mit der Chronik der Neubauten im interdisziplinär historisch -soziologischen Zusammenhang verstellen.

Sogenannte Erlebnisräume rücken normalerweise gern in die Nähe von Disneyland. Für eine Ausstellung Zehn Jahre Einstürzende Neubauten, wenn sie, warum nur, schon sein muß, wären sie zu wünschen gewesen, denn mit Pappschildchen läßt sich nicht nachvollziehen, was die Musik ausmacht und den Kult begründet hat. Leise lassen davon die Videos und Tapedecks mit Kopfhörern ahnen. Der Fernseher zeigt die Band bei ihrer Arbeit aus Blickwinkeln, die den normalen KonzertbesucherInnen verborgen bleiben. In der Reihe findet sich auch eine Aufnahme des Konzertes vom 21. Dezember, schlecht gemacht, aber immerhin mit Heiner Müller, der in die Künstlergarderobe des Pieck-Saales kommt, um nach der ersten Umarmung Blixa Bargelds gleich nach Zigaretten zu suchen.

Draußen auf dem Gang liegt (noch?) eine Fotomappe: Bargeld und Nick Cave balgen sich um eine Flasche „russischer Vitamine“, Bargeld und Döring, die Jungs und diverse Freunde und Freundinnen - ein schönes Erinnerungsalbum für die fünf auf der ewig nach oben offenen Richter-Skala und Anregung vielleicht für eine Dokumentation der eigenen letzten zehn Jahre unter dem Titel Kinder, wie die Zeit vergeht denn zumindest das ist „so sicher wie Falschgeld“.

Claudia Wahjudi

Bis 8.4. im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz, täglich 14-20 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen