: DDR wünscht Kohl zum 60. alles Gute
■ Der vorgeschlagene Umtauschkurs weckt auch in der Koalition Widerspruch: Zumindest in der Rentenfrage soll das letzte Wort noch nicht gesprochen sein / Lafontaine warnt Kohl vor „Wählerbetrug“ und konstatiert ein „unverantwortliches Chaos“ / Ost-CDU beharrt auf 1:1
Bonn (ap/dpa/afp) - Angesichts der entsetzten Reaktionen auf den vorgeschlagenen Umtauschkurs von 2:1 - vor allem in der DDR - hat Bundeskanzler Kohl alsbald beruhigende Geräusche von sich gegeben: Über den Umtauschkurs der DDR-Mark seien „bisher keinerlei Entscheidungen und Festlegungen getroffen worden“. Gleichzeitig bekannte er sich am Montag in Bonn ausdrücklich „zur Verantwortung gegenüber der Bevölkerung der DDR“. Er habe diese Solidaritätsverpflichtung im DDR -Wahlkampf unterstrichen und stehe dazu.
Kohl erklärte, die Bundesregierung werde die Empfehlung der Deutschen Bundesbank bei der Vorbereitung der Währungsunion sorgfältig prüfen. Die Vorbereitungsarbeiten in der Bundesregierung zur Einführung der Währungsunion seien aber noch nicht abgeschlossen. Ziel der Bundesregierung sei es, „in diesen wichtigen Fragen zu einer Übereinstimmung mit der Regierung der DDR zu kommen und die Währungsunion mit Wirtschafts- und Sozialgemeinschaft im Sommer des Jahres einzuführen“.
In einem am Montag veröffentlichten Interview der 'Financial Times‘ hatte Kohl sich allerdings deutlicher ausgedrückt: Die Renten und Löhne in der DDR sollten bei einer Währungsunion zu einem geringeren Kurs als eins zu eins in D-Mark umgetauscht werden. „Es führt zu nichts, wenn man für einen demonstrativ sozialen Kurs Beifall erhält und sechs Monate später einer katastrophalen Wirtschaftslage gegenübersteht“, sagte Kohl. Den Vorwurf des Bruchs von Wahlversprechen scheue er nicht. Inzwischen hat Kohl den Ex -Finanzstaatssekretär und jetzigen Bundesbankdirektor Tietmeyer als persönlichen Berater für die Vertragsverhandlungen mit der DDR angeheuert.
Widerspruch gegen den vom Zentralbankrat empfohlenen Umtauschkurs legten unterdessen auch Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Arbeitsminister Norbert Blüm ein: Über den tatsächlichen Umtauschkurs sei noch nicht das letzte Wort gesprochen. Genscher wandte sich im Deutschlandfunk ausdrücklich gegen einen Umtausch der DDR -Renten zu einem Kurs von zwei zu eins. Angesichts der Durchschnittsrente von 500 Mark sei das nicht akzeptabel. Blüm sagte, über den von der Bundesbank vorgeschlagenen generellen Kurs von zwei zu eins sei noch nicht entschieden; er wies darauf hin, in der DDR solle ein neues Rentensystem geschaffen werden.
FDP-Parteichef Otto Graf Lambsdorff will eine Begrenzung auf Kleinsparer beim Umtausch von DDR- auf D-Mark nicht akzeptieren. Nach einer Präsidiumssitzung erklärte er am Montag in Bonn: „Wenn man überhaupt über Grenzen diskutiert, dann müssen sie deutlich höher liegen.“ Lambsdorff nannte gestaffelte Verfügungsbeschränkungen notwendig. Dem Bundesbank-Vorschlag, zum Kurs 1:1 lediglich Sparguthaben bis zu 2.000 Mark pro Person umzutauschen, „werden wir, unter welchen Gegebenheiten auch immer, keinesfalls zustimmen“. Er befürchte, daß als Folge auch die Zinsen am Kapitalmarkt steigen werden. Die Löhne müssen nach den Worten Lambsdorffs nach Realisierung der Währungsunion von den Tarifpartnern neu ausgehandelt werden. Ein Umtauschsatz könne höchstens als „Hilfsgröße“ für eine Übergangszeit in Betracht kommen. Eine gesonderte Lösung sei bei den DDR -Renten notwendig.
Das Koalitionsgespräch über die Umtauschfrage wird nach Angaben Lambsdorffs nicht - wie ursprünglich vorgesehen - am Mittwoch stattfinden. Sowohl er als auch Genscher seien nicht in Bonn. Einen neuen Zeitpunkt gebe es noch nicht.
Aus der Versenkung ließ sich auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Späth hören: Sparguthaben von DDR-Bürgern sollten bis zu einer Grenze von 10.000 Mark im Verhältnis 1:1 umgetauscht werden. Späth mahnte, die „kleinen Rentner“ in der DDR jetzt nicht zu erschrecken. Die gegenwärtige Diskussion um einen Wechselkurs zerstöre „ein Stück Vertrauen“.
Für die SPD fand der designierte Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine harte Worte. Er warnte Bundeskanzler Kohl vor einem „dreisten Wählerbetrug“, wenn entgegen seinen im DDR -Wahlkampf gegebenen „Versprechungen“ Löhne und Renten zum Kurs von zwei zu eins umgetauscht werden sollten. Es sei unredlich, wenn Kohl jetzt behaupte, er habe nie einen Kurs von eins zu eins versprochen. „Kohl ist - und das wußte und wollte er - von den Bürgern in der DDR so verstanden worden.“
Lafontaine erneuerte seine Warnungen vor einer schnellen Verwirklichung der Währungsunion. Fortsetzung auf Seite 2
Siehe Tagesthema auf Seite 3
sowie Kommentar auf Seite 10
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Wenn das Währungsgebiet der D-Mark aber dennoch schnell auf die DDR ausgeweitet werde, müsse der Umtausch eins zu eins „ohne Einschränkung“ für Löhne und Renten gelten.
Zugleich warf Lafontaine der Regierung vor, bei den Fragen der Währungs- und Wirtschaftsunion und ihrer Finanzierung ein „unverantwortliches Chaos“ angerichtet zu haben. Die Bundesbürger wüßten, daß die Einheit nicht zum Nulltarif zu haben sei. Sie seien auch zu solidarischen Opfern bereit, wollten aber wissen, um welche Größenordnungen es gehe und wie es finanziert werden solle. Die deutsche Einigung würde dazu mißbraucht, die seit 1982 betriebene Politik der Umverteilung von unten nach oben auf
die Spitze zu treiben.
Der designierte DDR-Ministerpräsident und CDU-Parteichef Lothar de Maiziere hat vor einer neuen Umsiedlerwelle in die Bundesrepublik für den Fall gewarnt, daß bei einer Währungsunion ein Umtauschkurs von zwei zu eins von Ostmark zu D-Mark festgeschrieben werde.
De Maiziere sagte am Montag in Ost-Berlin nach einer Fraktionssitzung: „Wir werden dann die Leute nur noch mit Schwierigkeiten halten können.“ Die CDU, und damit auch eine von ihr angeführte Regierung, halte an dem Ziel eines Tauschverhältnisses von eins zu eins fest. „Wir stehen auf dem Standpunkt, daß wir klare Aussagen dazu vor der Wahl für unser Handeln getroffen haben, und stehen unseren Wählern gegenüber im Wort. Wir meinen nicht, daß es eine Möglichkeit geben kann, die die Löhne und Gehälter oder gar Renten im Verhältnis von zwei zu
eins behandelt.“
„Kampfmaßnahmen“ gegen den vom Zentralbankrat der Bundesbank empfohlenen Umtauschkurs von 1:2 bei der Schaffung einer deutschen Währungsunion wollen die Gewerkschaften der DDR vorbereiten. Wie die Vorsitzende des Geschäftsführenden Vorstands des FDGB, Helga Mausch, am Sonntag gegenüber der DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘ erklärte, werden die Gewerkschafter in den nächsten Tagen mit Protestresolutionen und Demonstrationen „ihr Recht einfordern“.
Die FDGB-Vorsitzende rief im Namen der 8,6 Millionen Mitglieder der 19 Einzelgewerkschaften des FDGB zur „Solidargemeinschaft zwischen Gewerkschaften in Ost und West“ auf und appellierte an die neugewählte Volkskammer, ihrer „immensen Verantwortung für die Werktätigen unter marktwirtschaft
lichen Bedingungen“ gerecht zu werden.
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