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Das Erbe der Diktatur

Der Nationalitätenkonflikt zwischen Rumänen und Ungarn in Siebenbürgen  ■ D E B A T T E

Am 27.3.90 war an dieser Stelle ein Interview mit dem rumänien-ungarischen Philosophen Attila Ara-Kovacs erschienen. Der Dissident Ara-Kovacs, aus Siebenbürgen stammend und jetzt in Budapest lebend, hatte aus seiner Sicht die Ursprünge und Mechanismen der jetzt ausgebrochenen Nationalitätenkonflikte zwischen Ungarn und Rumänen erläutert. Ara-Kovacs zeigte sich „sehr pessimistisch für Rumänien und die Zukunft ganz Europas“, sah „jetzt den Beginn einer faschistischen Entwicklung in Rumänien“, sprach von Pogromen, die bereits dort stattfänden und folgerte: „Nach diesen Jahren der Diktatur zeigt es sich, daß man in Rumänien nicht in der Lage ist, sich nach Europa zu orientieren.“ Ara-Kovacs hielt es zwar einerseits für „richtig, die bestehenden Grenzen anzuerkennen, gerade in der jetzigen Situation“ und dies besonders im Hinblick auf Deutschland und Polen - hielt aber sogleich dagegen: „Rumänien kann nicht in seiner jetzigen Form exisiteren. Die Grenzen müssen verändert werden, oder es wird hunderttausend Opfer in einem Bürgerkrieg geben.“ „Wir wollen nicht über Grenzen sprechen, wir, die Oppositionellen, die jetzt das erste Mal hier in Ungarn an den Wahlen teilnehmen dürfen. Aber wir müssen. Denn die Leute hier in Ungarn werden darüber sprechen.„

Der seit 1987 in West-Berlin lebende rumänien-deutsche Schriftsteller Richard Wagner greift Stichworte des Interviews von Ara-Kovacs auf und erläutert aus seiner Sicht die Konflikte in Rumänien.

Keine einzige Grenze in Europa ist zu verändern. Auch die rumänisch-ungarische nicht. Die Veränderung einer einzigen Grenze führt zur Veränderung aller Grenzen in Europa. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen müssen so gestaltet werden, daß Grenzen keine repressive Rolle mehr spielen. Jede Bevölkerungsgruppe muß die Chance zu ihrer Selbstverwirklichung haben, wie jedes Individuum die Chance zur uneingeschränkten Selbstverwirklichung haben muß. In den Demokratisierungsprozeß der osteuropäischen Gesellschaften muß frühzeitig ein weitreichender Minderheitenschutz eingebaut sein.

Siebenbürgen war bis 1918 Teil der Habsburger Monarchie. Seit dem Ausgleich von 1867 zwischen Österreichern und Ungarn kam es unmittelbar unter Budapester Verwaltung, und diese war ausgesprochen minderheitenfeindlich. Gerade der ungarische Nationalismus und die Budapester nationalstaatlichen Ambitionen haben im 19.Jahrhundert wesentlich zur Komplizierung der Beziehungen zwischen den Völkern in Südosteuropa beigetragen. Siebenbürgen war seit vielen Jahrhunderten von mehreren Völkern besiedelt. Das gesellschaftliche Gleichgewicht bildeten drei Völker: die Rumänen, die Ungarn und die Siebenbürger Sachsen. Durch die Auswanderung der Siebenbürger Sachsen geht der ausgleichende Faktor verloren.

Ungarn und Rumänen trennt und verbindet ein Uralt-Konflikt, der sich bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Territorialfrage darstellte. Es war die Frage nach der staatlichen Zugehörigkeit Siebenbürgens. Dieses war in den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg Rumänien zugesprochen worden, und so geriet das bisherige Staatsvolk der Ungarn in die Situation einer nationalen Minderheit in Rumänien. Die Rollen waren nun vertauscht, und die Ungarn gewöhnten sich nur schwer an ihren neuen Status. 1940 wurde Siebenbürgen durch den Wiener Schiedsspruch geteilt, sein nördlicher Teil wurde Ungarn zugesprochen, was den Nationalismus auf beiden Seiten verstärkte. Die Friedensverträge nach dem Zweiten Weltkrieg sprachen das Territorium wieder in seiner Gesamtheit Rumänien zu.

Nationalistische Kampagnen

bereits unter Ceausescu

Die Ungarn haben sich erst spät mit ihrer Minderheitensituation abgefunden. In den fünfziger Jahren versuchten sie ihre kulturelle Eigenständigkeit zu bewahren, der ökonomischen waren durch die stalinistische Verstaatlichungspolitik die Grundlagen entzogen. Es gab für die ungarische Minderheit Schulen, bis hin zu Universitäten, und im Karpatenbogen, wo das kompakte Siedlungsgebiet der ungarischen Szekler liegt, eine autonome ungarische Region, deren Verwaltungs- und Kulturzentrum die Stadt Tirgu -Mures/Marosvasarhely war.

Seit dem Ende der fünfziger Jahre, als die rumänische KP einen vorsichtigen Abgrenzungskurs zur Sowjetunion begann und dabei die nationalen Themen wiederentdeckte, verstärkte sich auch der Druck auf die ungarische Minderheit. Die ungarische Bolyai-Universität in Klausenburg wurde 1959 unter maßgeblicher Beteiligung des damaligen ZK-Sekretärs Nicolae Ceausescu mit der rumänischen Babes-Universität zwangsvereinigt. 1968 löste der mittlerweile zum Generalsekretär avancierte Ceausescu durch eine Verwaltungsreform die ungarische autonome Region auf. Seit den siebziger Jahren wurden die Schulen der Minderheiten systematisch mit rumänischen zusammengelegt, es wurde offen eine Assimilationspolitik angestrebt.

Das Ceausescu-Regime führte bei zunehmender Krise regelmäßig nationalistische Kampagnen durch, die von den realen Problemen des Landes ablenken sollten. Die Ceausescu -Leute verstanden es, die berechtigten Forderungen der ungarischen Minderheit zu blockieren, indem sie diese propagandistisch mit der Territorialfrage verknüpften. Jede Verknüpfung des Minderheitenproblems mit der Territorialfrage ist für die ungarische Minderheit fatal. Die Siebenbürgenfrage hat in der rumänischen Bevölkerung die Kraft eines Mythos, und so gelang es dem Ceausescu-Regime, die Beziehungen zwischen den beiden Völkern zu vergiften. Diese Vergiftung hält an, und in ihrer Tradition sind Organisationen wie die jetzt auftretende „Vatra romaneasca“, zu deutsch „rumänische Heimstätte“, zu sehen. Faschistoide Äußerungs- und Darstellungsformen wurden unter Ceausescu gefördert. Ich erinnere nur an die „Jugendbewegung“ um den Dichter Adrian Paunescu, die als Literaturkreis auftrat.

Die rumänische Dezember-Revolution hat, dadurch daß der ungarische reformierte Pastor Tökes ihr Auslöser war, den Kern für eine Aussöhnung zwischen den beiden Völkern enthalten. Gleichzeitig hatte die Revolution in Rumänien einen ausgeprägt nationalistischen Zug. Es gab beim Ausbruch der Revolution keine gewachsene Opposition, so wurde der Nationalismus zum Ersatzwert, und die Armee mußte als einzige übriggebliebene nationale Institution für den Revolutionsmythos herhalten. Bald nach dem Ende der Ceausescus spaltete sich die rumänische Gesellschaft in auseinanderdriftende Interessenblöcke, deren Auseinandersetzungen sich noch durch die bevorstehenden Wahlen verstärken. In Rumänien buhlen gegenwärtig alle um die Gunst des Volkes.

Die Gelegenheit zur Aussöhnung zwischen Ungarn und Rumänen wurde verpaßt. Teile der rumänischen Bevölkerung empfinden ihre Existenz durch die Forderungen der ungarischen Minderheit, die ihre Institutionen wieder herstellen will, bedroht. Dabei stellen die Rumänen in Siebenbürgen die Mehrheit der Bevölkerung. Bedroht ist nicht ein Volk durch ein anderes, sondern beide durch die jeweilige Diktatur des einen. Das wäre die Lehre aus der Ceausescu-Herrschaft, die niemand gezogen hat. Es ist vielmehr ein anhaltender Autoritätsverfall zu beobachten, der die Bereitschaft zur Gewalt auf allen Seiten begünstigt. Die alte Nomenklatura und ihr aggressiver Arm, die Securitate, beteiligen sich am Verwirrspiel der wilden Gerüchte, das schon wieder das Land beherrscht und überall Angst und Mißtrauen erzeugt.

Rumänien befindet sich in einer tiefen Krise. Sie ist das Erbe der Diktatur. Daß sich in einer solchen Situation auch Leute zur „Eisernen Garde“, dem rumänischen Volksfaschismus, bekennen, ist ein Symptom dieser Krise. Daraus sollte kein zwingender Rückschluß auf die heutige Befindlichkeit der rumänischen Gesellschaft erfolgen. Auch in Ungarn hat es die „Pfeilkreuzler“ gegeben. Auch die diversen Faschisten in den diversen europäischen Ländern sind Teil unseres europäischen Selbst. Vielleicht sind sie der Rand unseres hochmütigen eurozentrischen Bewußtseins.

In Rumänien sind die Gefahren nicht anders als anderswo. Damit sie sich nicht vergrößern, sollten sich vielleicht die Intellektuellen des Landes, Rumänen und Ungarn, öffentlich zusammensetzen und den verfeindeten Menschen ein Beispiel geben.

Richard Wagner

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