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Thatchers ins Dunkle Verbannte begehren auf

33 Häftlinge von „Long Lartin“ in Worcester rebellierten / Nach 13 Stunden aufgegeben / In Manchester befinden sich noch Dutzende im Aufstand / Großbritannien hat in Europa die höchste Inhaftiertenrate / Haftbedingungen fast überall erniedrigend / Situation ist „explosiv“  ■  Aus London Ralf Sotscheck

Nach der Knastrevolte in Manchester, die seit Sonntag andauert, kam es Montag nacht auch im Gefängnis „Long Lartin“ in Worcester zu einem Aufstand. 33 Häftlinge verbarrikadierten sich in einem Flügel des Gefängnisses. Ein Großteil der Gefangenen in Long Lartin ist wegen „terroristischer Straftaten“ verurteilt, darunter zwei der „Birmingham Six“, die trotz erdrückender Beweise für ihre Unschuld seit 15 Jahren inhaftiert sind, weil sie angeblich zwei Kneipen in Birmingham in die Luft gesprengt haben. Die Gefängnisverwaltung glaubt, daß die Revolte die Aufmerksamkeit von einem Ausbruchsversuch anderer Gefangener ablenken sollte. Die rebellierenden Häftlinge gaben gestern vormittag nach 13 Stunden auf. Im Strangeways-Gefängnis von Manchester hielten bei Redaktionsschluß noch immer 99 Gefangene fünf Blocks besetzt. Die Revolte gegen die unmenschlichen Knastbedingungen hatte am Sonntag während der Morgenandacht begonnen, als über tausend Insassen fast das gesamte Gefängnis in ihre Kontrolle brachten. Im Laufe des Montags gelang es jedoch Polizeieinheiten, einen Großteil des Gefängnisses zurückzuerobern. Inoffiziellen Berichten zufolge soll dabei auch die Sondertruppe SAS, das britische Äquivalent zur GSG 9, zum Einsatz gekommen sein. Das Gefängnis wurde bei der Revolte schwer beschädigt. Ivor Serle, der Vorsitzende der Gefängniswärter-Gewerkschaft in Strangeways: „Es sieht aus wie nach einem Bombenangriff. Das Gefängnis ist innen völlig zerstört.“ Gerüchte, wonach bis zu 20 Sexualstraftäter von ihren Mitgefangenen ermordet worden seien, beantworteten die rebellierenden Häftlinge mit einem großen Plakat, das sie aus einem Fenster hängten: „Keine Toten“. Nachdem gestern früh Verhandlungen aufgenommen wurden, luden die Gefangenen die Presse in den besetzten Teil des Gefängnisses ein, um sich selbst davon zu überzeugen, daß niemand getötet worden sei. Das Angebot wurde jedoch aus Angst vor Geiselnahmen abgelehnt. Fest steht, daß mindestens zehn Gefangene, die wegen Sexualdelikten einsaßen, schwer mißhandelt worden sind. Sexualstraftäter, die von Mitgefangenen abwertend „Nonces“ genannt werden, stehen in der Knasthierarchie auf der untersten Stufe. Die heftigen Aggressionen gegen sie beschränken sich jedoch auf England und Wales. In Schottland und in anderen europäischen Ländern sind die „Nonces“ in den Gefängnisalltag integriert, während sie in England und Wales zu ihrem eigenen Schutz in getrennten Flügeln untergebracht sind. Ein ehemaliger Gefangener sagte jedoch am Montag, daß die Abtrennung in Strangeways lediglich aus einer spanischen Wand bestehe. Der Anteil der Sexualstraftäter in britischen Gefängnissen ist zwischen 1982 und 1987 von 22 auf 37 Prozent gestiegen.

Die Bedingungen in fast allen britischen Knästen sind erniedrigend. Großbritannien hat die proportional höchste Gefangenenzahl in Europa. Die Gefängnisse sind überfüllt, die sanitären Einrichtungen völlig unzureichend. Besuche, Freistunden und Arbeitsplätze müssen aus Personalmangel eingeschränkt werden. In den vergangenen Jahren ist es zu mindestens acht größeren Revolten in Großbritannien gekommen - zuletzt im Januar, als 90 Gefangene in Dartmoor stundenlang randalierten, nachdem ein Fußballspiel abgesagt worden war. In Strangeways, einem viktorianischen Gefängnis aus dem Jahr 1868, ist die Situation besonders unerträglich. Ein Gefängniswärter sagte gestern: „Wenn man die Gefangenen wie Tiere behandelt, darf man sich nicht wundern, wenn sie sich wie Tiere benehmen.“ Die Wärter hatten in der vergangenen Woche Beratungen über einen Streik aufgenommen. Der Gewerkschaftsvorsitzende John Bartell sagte, daß seine Organisation die Regierung seit Jahren auf die Bedingungen in Strangeways hingewiesen und vor einer Revolte gewarnt habe. Er fügte hinzu, daß die Situation auch in anderen Gefängnissen äußerst explosiv sei. Bartell beschuldigte das Innenministerium der „kriminellen Vernachlässigung“.

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