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Jahrelang die Aufsichtspflicht für Giftmülldeponie verletzt ■ Von Jürgen Voges
Hannover (taz) - Für Schäden durch die einst privat betriebene Giftmülldeponie Münchehagen müssen die niedersächsischen Aufsichtsbehörden haften. In einem Schadensersatzprozeß hat das Oberlandesgericht Celle jetzt festgestellt, daß das Land Niedersachsen und der Landkreis Nienburg jahrelang ihre Aufsichtsplicht gegenüber dem Betreiber der Giftmüllkippe schuldhaft verletzt haben. Das Gericht erkannte daher einen Schadensersatzanspruch der 13 Kilometer von der Deponie entfernt gelegenen nordrhein -westfälischen Stadt Petershagen dem Grunde nach an.
Die Nachbargemeinde, die unter anderem wegen der gefährlichen Dioxin-Emission aus der Giftmülldeponie ein Wasserwerk stillegen mußte, hatte in dem Musterprozeß zunächst nur auf Erstattung der Kosten für Boden- und Wassergutachten geklagt. Doch die Grundsatzentscheidung des Gerichtes geht darüber hinaus. Der Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen, der die Stadt Petershagen vertreten hatte, erwartet jetzt weitere Schadensersatzverfahren, in denen auch andere betroffene Gemeinden und die Bauern in der Umgebung der Deponie ihre Ansprüche geltend machen werden. Auch der Sprecher des Landkreises Nienburg ging gestern davon aus, daß „in diesem ersten Verfahren nur die Spitze des Eisberges behandelt worden ist“.
Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle haben die niedersächsischen Aufsichtsbehörden in den Jahren 1978 bis 1983 ihre Pflichten gegenüber dem Deponiebetreiber schuldhaft verletzt. Verantwortlich für die Deponieaufsicht war seinerzeit der damalige Landwirtschaftsminister Glup. Die Behörden hätten „über Jahre erkennbare und erkannte systematische Verstöße gegen Umweltschutzbestimmungen nicht zur Kenntnis genommen oder allenfalls mit einer Schließungsandrohung beantwortet, der keinerlei Konsequenzen folgten“, heißt es in der Entscheidung. Bei dem Verhalten der Behörden handele es sich im Ergebnis um eine endlose Kette von Versäumnissen und Nachlässigkeiten, von denen jede für sich den Vorwurf des Verschuldens rechtfertige.
Mit der Celler Entscheidung hat nach Angaben des Berliner Rechtsanwalts Geulen erstmals ein Obergericht die Behörden für Versagen bei der Aufsicht von Großanlagen finanziell haftbar gemacht.
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