: Offener Brief
Ihr Lieben!
Ich grüße das sonnige Dresden und seine sonnenbeschienenen Einwohner, insbesondere Euch.
Seit meinem letzten Brief hat sich ja einiges verkehrt, zum Beispiel der Lauf der Sonne. Jetzt geht sie im Westen auf, im Osten geht sie unter. Und daran hat das sonnige Sachsen keinen geringen Anteil. Ich meine das nachtschwarze Wahlergebnis. Nun schimpft mich bitte nicht einen blutroten Brandenburger, das wäre nämlich schon wieder eine Drohung.
Alles in allem haben wir eine gute Wahl getan, möchte ich sagen, die goldstrahlende Deutschmark zeigt uns, Tag und Tag (und Nacht) wo Westen, wo El Dorado, das sagenhafte Goldland, ist. Wir müssen nur aufpassen, daß uns die tropische Sonne, die uns so wahnsinnig auf den Kopf knallt, jetzt nicht in einer Wüstenei hinterläßt und uns ausdörrt. Ein Strohhut, sprich Sombrero, hilft nicht mehr. Mir hat der Strahlenball ganz schön zugesetzt, merkt ihr? Ich kann mich gar nicht mehr beherrschen.
Bald wird es, denke ich, im Süden der Ex-Republik DDR, heißt Sachsen, so warm wie irgendwo karibisch sein. Viele schöne, neue und moderne Industrie wird aufgebaut, damit die Sonne noch mehr scheine. Industrie bläst ihre Rauchwölkchen in den Himmel, ein Bild so herrlich, wie wenn Großvater gutbürgerlich an seinem Zigarrenstumpen schmapft und die netten Rauchkringel durch den Schwung seines Schaukelstuhls, darin er sitzt, ins vernebelte Zimmer schmaucht. Er hat seit mindestens 7 Tagen (eine Woche) nicht mehr gelüftet. Seine Gäste sieht er nicht mehr. Sie verhungern langsam und sterben am schleichenden Gifttod. Er, Großvater, ist sein Leben über Zigarren gewöhnt. Und lange hat er nicht mehr zu leben.
Viele schöne neue und moderne Industrie: Unsere Aatmosphäre erwärmt sich ein bißchen, wir bekommen ein tropisches Klima hier im Süden. Wir müssen nicht erst nach Italien fahren. Wir werden hier zu Negern. Die Ostsee wird bis kurz vor Halle/S. geflutet, besonders das rote Berlin muß weg, auch all die Preußen können ruhig ersaufen!
An diesem unserem Mittelmeer werden wir zu Negern verbrennen. Wer auf sich hält, arisch betrachtet, sonnt sich nicht. Diese dummen Neger - sind doch keine Menschen, stinken, nehmen uns die Arbeitsplätze weg, bumsen alle weißen Frauen. Gehen sollen sie. Weg mit dem Ungeziefer. Ist so bereits eng genug hier. Das Meer nimmt viel Platz. Wir brauchen Platz. Einen anderen Platz an der Sonne. Im Osten geht die Sonne auf.
Nehmt mir meinen kleinen Exkurs nicht übel. Ich bin derzeit etwas geladen. Immer an falscher Stelle entlade ich mich. Aber wer kann bei flimmernder Hitze schon
richtig zielen? Seid lieb gegrüßt und laßt von Euch hören!
Jens Pokora, Luckenwalde
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen