: Streit um Unabhängigkeit wird heftiger
■ Abalkin: Separatismus läuft der Marktwirtschaft zuwider
Berlin (taz) - Der Streit um die Unabhängigkeit Litauens und anderer Sowjetrepubliken ist jetzt mit der Diskussion um den Übergang zur Marktwirtschaft verknüpft worden, und zwar auf eine unerwartete Weise. Der für Wirtschaftsreform zuständige stellvertretende Ministerpräsident Abalkin sagte am Montag, die größte Gefahr für die geplanten Reformen bestünde in den wachsenden Eigeninteressen der Republiken, die sich zunehmend voneinander abschotteten. Die Moskauer Bürokratie sei dagegen vergleichsweise harmlos. Gleichzeitig forderte er mehr Kompetenzen für die Regierung, um den „schnellen Übergang auf breiter Front zur regulierten Marktwirtschaft“ durchzuführen, ohne das von ihr verlangt wird, „jeden Schritt ihrer Reform vor dem Obersten Sowjet rechtfertigen zu müssen“. Die neue Wirtschaftspolitik wird zunächst „sehr unangenehm werden“, kündigte er an.
Damit wird die Einführung des Kapitalismus politisch von einer Zustimmung der Konservativen abhängig gemacht. Was das bedeuten könnte, hat Gorbatschows Wirtschaftsberater Petrakow unlängst in einem Interview klargemacht, in dem er die Reformen mit dem Argument verteidigte, er wolle auch gerne Aktien erwerben können. Wird die Nomenklatura des Sozialismus zur Kapitalistenschicht in der neuen Sowjetunion? Jedenfalls erklärte Abalkin, daß die Bildung von Aktiengesellschaften ohne vorherige Zustimmung des Obersten Sowjets erlaubt wird. Eine Übergangsregelung würde geschaffen, da der parlamentarische Weg zu lange dauere.
Am Samstag wird der Präsidialrat zusammen mit dem Föderationsrat gemeinsam die ersten konkreten Maßnahmen verabschieden, sagte Gorbatschow am Dienstag dazu. Es wird eine kontrollierte Freigabe der Preise erwartet. Die zunächst erwartete Geldreform wird wohl zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt.
In diesem Licht findet der Separatismus der Baltenrepubliken immer weniger Unterstützung. Der Moskauer Präsidialrat erklärte am Montag, die litauische Antwort auf Gorbatschows Forderung nach Aufhebung der Unabhängigkeit sei „nicht konstruktiv“. Landsbergis fiel dazu nicht Besseres ein, als zu behaupten: „Moskau ist nicht nur gegen Verhandlungen, sondern sogar gegen Vorkontakte“. Premierministerin Prunskiene bestätigte dagegen, daß die Kontakte zu Moskau fortgesetzt würden. Militärische und wirtschaftliche Fragen würden weiter beraten.
In der Ukraine sind derweil gegen 50 Personen wegen Vorbereitung von Versammlungen zur Unterstützung Litauens Strafverfahren eingeleitet worden.
D.J.
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