: Kommt eine kurdische Intifada?
■ Die Aufstandsbewegung der kurdischen PKK in der Türkei findet wachsende Unterstützung / Allein am Wochenende 29 Tote / Militär warnt vor Eskalation / Özal kündigt „erbarmungslosen Kampf“ an
Ankara (dpa) - Bei zweitägigen Zusammenstößen zwischen der türkischen Armee und Guerillas der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Südosten der Türkei kamen am Wochenende 29 Menschen ums Leben. Die Zusammenstöße begannen in der Nähe des Dorfes Oymakaya in der Provinz Hakkari. Mit der Verstärkung der Guerilla-Aktivitäten befaßte sich am selben Tag eine außerordentliche Kabinettssitzung in Ankara.
Der Guerilla-Krieg der Kurden in der südöstlichen Türkei geht in sein siebtes Jahr, und eine Lösung des Konflikts scheint heute ferner denn je. Mehrere türkische Medien und die Opposition scheuen angesichts der immer neuen Opfer und der Ausweglosigkeit des Konflikts nicht mehr den Vergleich mit der „Intifada“ der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten. Der konservative Oppositionsführer Suleiman Demirel spricht ohne Umschweife sogar von einer „bürgerkriegsähnlichen Situation“, während die Regierung dies konstant leugnet.
Seit sechs Jahren führt die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) ihren erbitterten Kampf um einen unabhängigen Staat für die schätzungsweise rund neun Millionen Kurden in der Türkei. Obwohl die Kurden damit ein rundes Sechstel der Gesamtbevölkerung der Türkei stellen, sind sie dort bis heute nicht als ethnische Minderheit anerkannt.
Nach offiziellen Schätzungen hat die PKK in den elf südlichen Provinzen der Türkei insgesamt etwa 2.500 Mann unter Waffen. Diesen bekannt harten Guerilla-Kämpfern stehen Regierungstruppen von 40.000 Mann gegenüber, davon etwa 15.000 örtliche Sicherheitskräfte. Trotz dieser Übermacht scheint eine „militärische Lösung“ für die Regierung in weiter Ferne: zu unübersichtlich ist das gebirgige Gelände in den betroffenen Gebieten, zu nahe sind Syrien, der Irak und Iran, wo die Aufständischen leichte Zuflucht finden.
Trotz allem und selbst angesichts der wachsenden eigenen Verluste gab sich die Führung in Ankara bisher zuversichtlich, den Konflikt mit den Kurden durch eine verbesserte Mobilität und Ausrüstung ihrer Truppen schließlich doch siegreich bestehen zu können. Die Stimmung schwenkte um, als es der PKK mehr und mehr gelang, die bislang eher reservierte Bevölkerung zu überreden, die „Sache der Rebellen“ zu ihrer eigenen zu machen. Das geschah zuerst in der Provinz Mardin an der Grenze zu Syrien.
Auslöser der letzten Welle von Gewalt im März war das Einschreiten der Sicherheitskräfte beim Begräbnis eines von den Regierungstruppen getöteten Kämpfers in der Stadt Nusaybin. Bei den daraufhin um sich greifenden Ausschreitungen setzte die Regierung Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und Hubschrauber in den Städten Nusaybin und Cizre gegen Tausende von Kurden ein, die ihrerseits öffentliche Gebäude in Brand setzten und die Truppen mit Steinen und Feuerwaffen angriffen. Es folgten weitere Zusammenstöße im Abstand von etwa einer Woche, bei denen fünf Aufständische getötet und 15 weitere verwundet wurden. In mehreren Städten blieben die Geschäfte auf Anordnung der PKK geschlossen.
Der Generalstab soll in einer internen Unterrichtung die führenden Offiziere davor gewarnt haben, daß die PKK ihrem Kampf eine neue Dimension geben will und dabei vor allem auf Agitation in den dichter besiedelten Gebieten setzt. Dieser Agitation werde alsbald eine „strategische Offensive“ folgen. In großen Städten finden denn auch Aufrufe zu einer Anerkennung der kulturellen Rechte für die Kurden bereits offene Unterstützung durch radikale Studenten, die aus ihrer Sympathie für die dahinterstehende PKK keinen Hehl machen.
Nach jahrelangem Wegsehen ist die Regierung jetzt durch die neuerliche Eskalation aufgeschreckt worden. Einen „erbarmungslosen Kampf“ hat Präsident Turgut Özal im staatlichen Fernsehen angekündigt.
Resit Gürdilek
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