piwik no script img

Zwei zu eins für Meckel

■ Die Sozialdemokraten sitzen um des puren Machtstrebens in einer großen Koalition

Der Gewinner des Herbstes 1989, der friedlichen Revolution in der DDR, heißt Peter Michael Diestel und ist Generalsekretär der DSU. Die rechtskonservative Splitterpartei, die DDR-weit grade mal sechs Prozent der Wählerstimmen erreichen konnte, hat die Schlüsselpositionen der neuen Regierung besetzen können. Diestel wird Innenminister und damit der verantwortliche für die Auflösung der Stasi. Er wird oberster Dienstherr der Volkspolizei und der Grenztruppen. Und er wird als stellvertretender Ministerpräsident die „Chefsache“ Deutschlandpolitik und Wiedervereinigung in die Hand nehmen. Die Bewältigung der Vergangenheit und die Gestaltung der Zukunft sind somit in die Hände der rechtskonservativen Waigelschen Satellitenpartei gelegt. Das hat das Wahlvolk der DDR sicher nicht gewollt.

Zu verantworten haben dies einzig und allein die Sozialdemokraten. Sie werden sich nicht nur von ihrer Parteibasis fragen lassen müssen, wieso sie einer Ressortverteilung zugestimmt haben, in der ihre Minister auf marginalen, zukünftig von bundesdeutschem Regelwerk überstülpten Posten sitzen. Die Antwort ist brutal und simpel. Es ging um Posten und um Eitelkeiten. Sprich: Markus Meckel, amtierender Parteivorsitzender, wollte Außenminister werden - um jeden Preis. Und es ist ihm gelungen. Mit Unterstützung aus Bonn, mit einer gehörigen Portion Skrupellosigkeit und billigen Versprechungen hat er sich seine Seilschaft herangezogen. Unerfahrenheit der Fraktion und der Zeitdruck taten ihr übriges.

Dabei hätte es durchaus anders kommen können. Noch am Anfang der Woche wäre die CDU bereit gewesen, den Sozialdemokraten das Innenressort zur überlassen. Auch der Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten hätte ihnen zufallen können, wenn sich die Sozialdemokraten mit sechs Ministerposten zufrieden gegeben und auf das Außenministerium verzichtet hätten. Selbst der Name des zukünftigen Innenministers stand schon fest: Dankward Brinksmeier, vom Runden Tisch dem Noch-Innenminister als Stasi-Fachmann zur Seite gestellt.

Markus Meckel wurde der Sessel des stellvertretenden Ministerpräsidenten versprochen und ein weiteres Ressort. Doch der stellte sich quer. Das Außenministerium sollte es sein. Den Bonnern war ihr Zögling Meckel aus dem Geschirr gehüpft. Selbst der offizielle Beauftragte, der Berliner SPD -Bundestagsabgeordnete Dietrich Stobbe, konnte die Geisterfahrt nicht mehr aufhalten. Er saß im „Haus der Parlamentarier“ in den Fraktionsräumen und konnte die Entscheidung der Verhandlungsdelegation nur noch zur Kenntnis nehmen. Die „junge Demokratie“ in der DDR hat verdorrte Blüten getrieben.

Als am Abend der Wahl der Parteivorsitzende Ibrahim Böhme mit Selbstachtung für sich und seine Partei das Wahlergebnis als Auftrag zur Opposition interpretierte, präsentierten sich die Sozialdemokraten als selbstbewußte Partei. Ihr Versprechen, mit dem Leipziger Ableger der bundesdeutschen CSU keine Koalition einzugehen, war eine der wenigen Aussagen, die die Identität und Programmatik der Partei zumindest symbolisch verdeutlichte. „Nicht mit der DSU“ stand für Toleranz, soziale Absicherung und Widerstand gegen Einverleibung und Ausverkauf des Landes.

Jetzt müssen sich die Sozialdemokraten nicht nur für diesen „Wahlbetrug“ verantworten und erklären, warum sie sich mit ihren Gegnern gemeinsam auf die Regierungsbank setzen. Sie müssen auch erklären, warum sie eines der zentralen Ressorts, eines der wenigen, in dem noch DDR-Eigenes ge- und bearbeitet werden kann, abgegeben haben. Warum sie die Chance, über den Innenministerposten das politische Klima im Land mitzuprägen, die Frage des Verfassungsschutzes, der Ausrüstung der Polizei und nicht zuletzt die Verfügung über die Akten der Staatssicherheit aus der Hand gegeben haben. Der „starke Mann“ im Land - neben einem schwachen Ministerpräsidenten de Maiziere - derjenige, der die Verhandlungen mit der Bundesregierung über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion führen wird, hätte ein Sozialdemokrat sein können. Statt dessen versorgte sich eine machtgierige selbstzufriedene Clique unter Führung von Markus Meckel mit Pöstchen, die nicht viel mehr bringen als ihnen selbst Ministerpensionen.

Dazu paßt auch die Geheimdiplomatie, mit der die Verhandlungen geführt wurden. Es ist nicht nur undemokratisch und ein übler Auswuchs des parlamentarischen Gebarens, die Absprachen über Inhalte und Personalien einer zukünftigen Regierung unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen, es ist auch dumm. Grade für die Sozialdemokraten. Wenn sie nicht im grauen Schatten der Allianz verschwimmen wollen, werden sie in der Regierung ein messerscharfes Profil brauchen. Eines, von dem ihre zukünftigen Mitglieder und Wähler auch Kenntnis haben sollten. Schaffen sie das nicht, ereilt sie das Geschick vieler kleiner Regierungsparteien - man „kennt“ sie nicht mehr. Doch die SPD, so scheint's, braucht das Volk nicht mehr und will auch keine Wahl mehr gewinnen.

Brigitte Fehrle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen