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Propagandasieg für die Gefangenen

Gespräch mit Stephen Shaw, „Gesellschaft für Gefängnisreform“  ■ I N T E R V I E W

In der vergangenen Woche ist es in 14 britischen Gefängnissen zu Revolten gegen unmenschliche Haftbedingungen gekommen. Im Strangeways-Gefängnis von Manchester dauert der Aufstand seit zehn Tagen an. Viele Medien und konservative Hinterbänkler fordern den Einsatz von Armee und Polizei. Eine Umfrage des britischen 'Independent‘ hat jedoch ergeben, daß die Mehrheit der Bevölkerung eine Strafrechtsreform befürwortet. 89 Prozent der Befragten glauben, daß die Gefängnisse überbelegt sind, und 54 Prozent sind der Meinung, daß zu viele Menschen in Gefängnisse gesteckt werden. Die „Gesellschaft für Gefängnisreform“ bezeichnete das Umfrageergebnis als ermutigend. Sie setzt sich für eine Verbesserung des Gefängnissystems ein. Die taz sprach mit ihrem Direktor Stephen Shaw.

taz: Was löste die Knastrevolten aus?

Stephen Shaw: In den vergangenen fünf Jahren kam es jedesmal im April oder Mai zu Revolten. Es sind diesmal zwar die schlimmsten Aufstände, aber auch bisher war keineswegs alles friedlich und problemlos. Im Frühling steigt die Wahrscheinlichkeit für Revolten sprunghaft an. Wer sitzt schon gerne in Schnee und Regen auf dem Dach. Die Gründe, die dahinter stecken, sind natürlich die Überbelegung und allgemein schlechte Haftbedingungen. An keine unabhängige Instanz können sich Gefangene wenden.

Großbritannien hat die höchste Gefängnisbevölkerung der EG. Woran liegt das?

Großbritannien ist viel mehr in Richtung Strafe orientiert als andere Länder. Britische Gerichte schicken mehr Menschen für längere Zeit in Gefängnisse. Die Kriminalitätsrate liegt dagegen im europäischen Durchschnitt. Das geht aus Statistiken des Innenministeriums von vor zwei Wochen hervor. Die Zahl der Gefangenen ist in elf Jahren Thatcher -Regierung um 8.000 gestiegen, also um ungefähr 20 Prozent.

Innenminister Waddington hat angekündigt, daß die sanitären Einrichtungen innerhalb von sieben Jahren verbessert werden sollen. 24 neue Gefängnisse werden gebaut. Reicht das?

Das Alter der Gebäude ist ja nicht das Problem, sondern die Tendenz der Gerichte, bei jeder Gelegenheit Gefängnisstrafen zu verhängen. Wir wollen, daß die Zahl der Gefangenen reduziert wird. Zwar ist die Zahl in den letzten 18 Monaten in Großbritannien gesunken, aber längst nicht genug. Die Modernisierung der Gefängnisse löst doch nur einen kleinen Teil des Problems.

Der Druck auf Armee und Polizei wächst, gewaltsam gegen die Gefangenen in Strangeways vorzugehen. Was halten Sie davon?

Es beunruhigt mich. Revolten lassen sich durchaus friedlich beenden. Die Gefangenen haben den Propagandakrieg bereits gewonnen. Die Meinungsumfragen beweisen, daß die meisten Menschen ein viel größeres Verständnis für Verbesserungen des Systems aufbringen, als Politiker glauben.

Zwar stehen Sexualstraftäter überall auf der untersten Stufe der Knasthierarchie, aber nur in England und Wales werden sie von Mitgefangenen massiv mißhandelt. Woran liegt das?

Die Zahl der verurteilten Sexualstraftäter hat sich in den achtziger Jahren verdoppelt oder sogar verdreifacht. Die Gefängnisbehörden entschuldigen die Mißhandlungen, und das Innenministerium nimmt das Problem nicht ernst. Statt gegen die Täter vorzugehen und sie zu isolieren, werden die Opfer isoliert. Das ist wohl Teil der englischen Gefängniskultur.

Interview: Ralf Sotscheck

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