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La Paloma ohe

■ Krisenkongreß des DDR-Künstlerverbandes / Regionale Zersplitterung oder großdeutscher Einstieg? / Entscheidungen vertagt

Anderthalb Jahre nach dem letzten ordentlichen Kongreß des Verbandes Bildender Künstler der DDR im November 1988 im Palast der Republik, trafen sich die Delegierten des sechstausend Mitglieder starken Berufsverbandes zu einem Krisenkongreß, der - als außerordentlicher deklariert - über die Zukunft dieser Organisation entscheiden soll. In der Akademie der Künste, von den Medien kaum beachtet, trafen sich vor allem all jene Künstler und Kunsttheoretiker, die von der Wende in die Marktwirtschaft überrollt um ihre soziale Polsterung bangen. Keine großen Namen drängelten sich diesmal am kalten Buffet neben der wuchtigen Marx-Büste aus den Fünfzigern. Kein Womacka, kein Sitte, kein Heisig, kein Tübke. Die renommierten Staatskünstler verabschiedeten sich aus der Kulturpolitik genauso lautlos wie ihre politbürokratischen Über-Väter. Verhinderte im November '88 die Präsenz des Kulturkommissars Hager und seiner Marketenderin Rackwitz noch jegliche Öffentlichkeit für die im Künstlerverband diskutierten Zweifel an der Weisheit der greisen Führung, so wirkte diesmal das Fehlen der Altvorderen auf die Diskussion eher lähmend denn aktivierend. Mußte man in früheren Jahren durch Sublimität der Sprache klare politische Dissenzen kaschieren, fühlte man sich im Narrenkostüm des legitimierten Künstlers mutig genug, im Chor der verordneten Plattheiten zu hüsteln, gerät nun die überraschend gewonnene Freiheit nur zur Plattform einer sich in Agonie windenden Zunftgemeinschaft, die ihre politische Surrogatfunktion endgültig verloren hat.

Vergessen die flammenden Proteste des Oktobers; vergeblich versuchte der alte Präsident seinen Verbandsdampfer nachträglich zum Flaggschiff der Revolution umzutakeln. Ein Versuch, der, durch seine Person initiiert, ohnehin fragwürdig bleiben mußte. War es doch gerade der Schöpfer der Trabant-Karosse, der, frisch gewählt, noch vor Monaten den Querulanten mit Rausschmiß drohte und die Künstlerorganisation als ein „Machtinstrument der Arbeiterklasse“ bewahren wollte. Anders dagegen der ehrliche Versuch einer reflexiven Statusdefinition durch den Kunsthistoriker und Ex-Vizepräsidenten Hermann Raum (siehe Dokumentation).

Bestimmend waren aber für den Verlauf des Kongresses weder die Vergangenheitsbewältigungsansätze noch etwaige Grübeleien über den politischen Standort in der Zukunft. Seiner Subventionen beraubt, ohne Reisepaß-Hoheit und Berufszulassungsrecht, hat der VBK heute die Attraktivität eines Gesangsvereins, in den sich all jene drängen, deren Stimme jeden zahlenden Zuhörer prellt. Während die Großverdiener einsam dem Sturm des freien Marktes auf dem Floß des Kunsthandels trotzen, geht es den restlichen 5500 um die nackte Existenz. Schon steigen die Ateliermieten um ein Vielfaches, sind Krankenversicherung und Renten infrage gestellt. Doch anstatt sich offensiv den anstehenden Veränderungen in der Diskussion zu widmen, verzettelte sich der Kongreß in endlosen Geschäftsordnungsdebatten. Schließlich wählte man doch, in heute kaum noch geläufiger Einstimmigkeit einen Koordinationsausschuß, der den alten Zentralvorstand, den Präsidenten und den 1. Sekretär ablöst.

Dieses fünfzehnköpfige Organ setzt sich aus weitgehend unbekannten Künstlern und Verbandsfunktionären aller Bezirke zusammen und soll unter der Leitung seines ersten Sprechers Rolf Xago Schröder bis zur Einberufung eines Neu- bzw. Umgründungskongresses die Amtsgeschäfte führen und diverse Arbeitsgruppen zur Aufarbeitung der Verbandsvergangenheit und zur Ausarbeitung eines neuen, endgültigen Statuts einsetzen. Der neue Verband soll als Dachorganisation weitgehend autonomer regionaler und spartenspezifischer Gliederungen fungieren. Damit hat der außerordentliche Kongreß als Pausenzeichen die Gefahr einer drohenden Zersplitterung der Künstlerorganisation zwar verhindern, doch nicht die Manövrierfähigkeit des kopflos treibenden Narrenschiffes beenden können.

Der von den Existenzängsten der Künstler überschattete Kongreß blieb allerdings in der Frage der Zukunft der 161 festangestellten Mitarbeiter des einst mit 9,5 Mio Mark etatstarken Renommierverbandes eine klare Aussage schuldig.

Andre Meier

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