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Der Anblick im Spiegel

■ Ein Interview mit dem amerikanischen Regisseur Paul Masursky über seinen neuen Film „Feinde - Die Geschichte einer Liebe“

Gerhard Midding

Frage: Mr. Mazursky, „Feinde - Die Geschichte einer Liebe“ stellt in Ihrer Filmographie einen Sonderfall dar: Es ist die erste Literaturadaption. In „The Tempest“ (Der Sturm) und „Down and out in Beverly Hills“ (Zoff in Beverly Hills) haben Sie sich ja nur sehr frei an ihren Bühnenvorlagen inspiriert.

Mazursky: Mit dem Gedanken, Singers Roman zu verfilmen, habe ich schon 1972 gespielt, als er in englischer Sprache veröffentlicht wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber erst zwei Filme gemacht und fragte mich, ob ich nicht erst einmal fortfahren sollte, meine eigenen Drehbücher zu schreiben. Meine Gefühle waren da sehr ambivalent. Ehrlich gesagt, stand ich dem Gedanken an eine Verfilmung ebenso zwiespältig gegenüber wie Herman Broder, der Romanheld, dem Leben gegenübersteht. Immer dann, wenn ich die Rechte nicht bekommen konnte, fühlte ich mich erleichtert: „Gut, dann brauche ich den Film also nicht zu machen!“ Und dennoch zwang mich etwas, diesen Film zu machen. Dabei habe ich selbst überhaupt keine direkte Beziehung zum Holocaust, abgesehen von der Tatsache, daß ich Jude bin - aber ich bin ja nicht einmal religiös. Ich hatte auch keine Angehörigen, die in den Lagern starben, es war also nicht das Thema, das mich fesselte. Sondern eher die Tatsache, daß Singer es gewagt hatte, eine Farce über diese zutiefst tragische Situation zu machen. Ich betrachte diese Geschichte tatsächlich als Farce, auch wenn die Figuren nicht wie wild herumrennen und sich die Türen vor der Nase zuschlagen. Je ernster eine Farce ist, desto besser. Man muß an das glauben können, was in ihr geschieht, sonst läuft sie auf dem Trockenen.

Wenn es ganz offensichtlich nicht das Thema des Holocaust war, das sie an Singers Roman reizte, was war es dann?

Einer der Gründe war, daß ich zu dieser Zeit in New York aufgewachsen bin. Ich glaube, ich wollte ganz einfach nur dieses Leben in der jüdischen unteren Mittelklasse in dieser Stadt rekonstruieren. Denn da habe ich noch nie in einem Film gemacht, oder doch nur in einigen Szenen in „Next Stop, Greenwich Village“. Da gab es eine kurze in Brooklyn. Aber Coney Island und die Lower East Side habe ich noch nie gezeigt.

Der andere Grund war, daß mein Großvater 1905 aus der russischen Armee desertierte und nach Amerika kam. Das Emigrationsthema interessierte mich sehr stark: Jemand kommt in die Staaten, nachdem er eine furchtbare Zeit in Europa hat durchmachen müssen. Wenn man einen Film macht, gibt es da immer sehr feine emotionale Verknüpfungen, derer man sich nicht bewußt ist.

Paranoia ist in im Roman allumfassend, er fürchtet sich vor dem Finanzamt, vor der Polizei, vor allem. Weshalb haben Sie diese Paranoia im Film so stark konkretisiert?

Im Roman lassen sich all diese Informationen sehr leicht vermitteln: „Hermann hatte hiervor Angst, er hatte davor Angst.“ Der Zuschauer absorbiert diese Informationen also durch die Worte. Von dem Augenblick an, in dem man sich entscheidet, einen Roman zu verfilmen, muß man sich ständig überlegen, wie man dem Publikum etwas erzählen kann, ohne auf Worte zurückzugreifen! Ich wollte Hermanns Ängste spezifizieren, der Zuschauer sollte in jeder Situation ganz genau wissen, wovor Herman sich fürchtet! Im Film gibt es deshalb ständig die Szenen mit dem Rabbi, für den er arbeitet und den er fortwährend belügt und täuscht.

Einige Motive des Romans spart der Film völlig aus: beispielsweise Hermans obsessive, fast masochistische Beschäftigung mit deutschen Philosophen.

Ein sehr, sehr interessantes Thema, aber eins, das sich ganz schwer in einem Film darstellen läßt. Ich wüßte nicht, wie ich das dramatisieren könnte! Ich hatte es ja ohnehin schon mit einem relativ intellektuellen Stoff zu tun. Und ich habe keine Ahnung, wie das amerikanische Publikum auf ein solches Erzählmotiv reagiert hätte. Die kennen ja nicht einmal die Namen dieser Philosophen, die denken vielleicht, daß es sich dabei um Automobilmarken handelt: der neue Schopenhauer, der neue Nietzsche!

Hermans Besessenheit mit diesen sehr, sehr düsteren Philosophen ist ein extrem komplizierter Aspekt des Buches, und ich beschränkte mich darauf, zu zeigen, wie er einige Passagen des Talmud interpretiert.

Ich nehme an, die Anspielungen Singers auf den Stalinismus haben Sie aus dem gleichen Grund ausgelassen?

In erster Linie mußte es doch darum gehen, dem Publikum klar zu machen, was Herman so mürrisch, nervös und paranoid macht. Und das war im Kern die Tatsache, daß er während des Krieges von dieser polnischen Christin, Jadwiga, auf einem Heuboden versteckt wurde, aber nicht in einem Konzentrationslager war. Und Singer schreibt in seinem Vorwort: „Ich hatte nicht das Privileg, in den Lagern gewesen zu sein.“ Eine sehr ironische Formulierung! Und das gilt auch für Herman. Seine Frau und seine Kinder, davon muß er zumindest ausgehen, sind von den Nazis umgebracht worden. Aber er hat überlebt und ist Jadwiga ungeheuer dankbar. Und er fühlt sich ungeheuer schuldig.

Seine abgrundtiefe Paranoia wollte ich aber nicht mit den typischen Rückblenden motivieren. Ich habe genug Filme und Dokumentationen über den Holocaust gesehen. Ich wollte, daß man ihre Erfahrungen durch die Art wahrnimmt, wie die Figuren davon sprechen. Dieser Film handelt für mich in erster Linie von Emigranten, die 1949 in New York leben. Sie sind Opfer der Nazis, aber jetzt leben sie in einer neuen Welt. Und obwohl der Holocaust ein essentielles Thema dieses Films ist - er wäre ein völlig anderer Film ohne dieses Thema! - geht es um Figuren, die sich gerade jetzt in New York ein neues Leben erschließen wollen. Da habe ich gegenüber dem Roman viele Dinge hinzugefügt. Ich wollte das Publikum spüren lassen, daß diese Leute von damals vor allem ein gutes Leben führen wollten: mit viel Musik, Sex und Vergnügen, mit gutem Essen. Sie liefen nicht ständig herum und sprachen über die Nazis, sie lebten.

Und das gefiel mir an Singers Roman so gut: Statt der zu erwartenden Schwere gibt es ständig diese Ironie der Situation: Zu welcher der drei Frauen soll er nun gehen? Diese Ironie stammt von Singer, ich glaube, da folge ich dem Roman sehr genau.

Die Kameraarbeit verstärkt gegenüber der Vorlage ein Gefühl der Klaustrophobie.

Fred Murphy hat den Film brillant fotografiert. Diese Leute lebten einfach in sehr, sehr engen Apartements. Wenn drei Leute drin waren, war für einen vierten kein Platz mehr. Ich war gerade auf einem jüdischen Filmfestival in Moskau und mußte feststellen, daß die Leute dort genauso leben. Das Leben der Emigranten sah damals einfach so aus; nur wenn sie am Strand waren oder auf Coney Island, lernten sie ein Gefühl der Freiheit kennen. Deshalb schaut Herman auch so häufig aus dem Fenster. Er will aus seinem Käfig entkommen.

Dieses Bild entspricht aber auch einem anderen Motiv, das im Roman sehr explizit ist: Alle Welt sagt ihm, daß er sich noch immer auf dem Heuboden in Polen versteckt hält.

Ich muß Ihnen ehrlich sagen: So gern ich auch mit Ihnen über das Verhältnis des Films zu seiner Vorlage unterhalte, wäre es mir viel lieber, sie würden ihn zuerst einfach nur als Film beurteilen!

Dennoch lädt Ihr Film zu einer solchen Auseinandersetzung ein: Er ist eine sehr pragmatische Adaption. Allein, wenn ich daran denke, wie Sie die Figur der Mascha (Lena Olin) einführen: mit einer Großaufnahme ihrer Nummer aus dem KZ.

So konnte ich ganz direkt und ohne endlose Erklärungen zeigen: Diese Frau ist eine Überlebende! Der Zuschauer sieht es und muß nichts mehr erklärt haben, Film ist da wunderbar suggestiv. Und dann fängt der Zuschauer an, sich Fragen zu stellen: Was macht Herman bei ihr? Weshalb sind sie und ihre Mutter so vertraut mit ihm? Was geht da vor? Eben war er doch noch bei seiner Ehefrau!

Ich fand es interessant, daß Sie eben erwähnten, Sie hätten „Feinde“ schon im Anschluß an Ihren zweiten Film, „Alex in Wonderland“, verfilmen wollen. Beide Filme haben in meinen Augen eine Menge Gemeinsamheiten. Die Traumsequenzen zeigen in beiden Filmen eine Stadt im Belagerungszustand und beide Helden sind pahthologisch unentschlossen.

Die Stadt im Belagerungszustand war in „Alex“ für mich eine Metapher für Hollywood. Die Traumsequenzen bedeuteten für mich aber auch noch etwas anderes: Der Held des Films, der Regisseur ist, kann nicht in seinem eigenen Stil träumen, er träumt im Stil anderer Regisseure. Er besitzt noch keinen eigenen Stil, und das war für mich der Konflikt.

Ihm stehen in „Alex“ viele Möglichkeiten offen, aber er kann sich nicht entscheiden. Herman ergeht es in „Feinde“ ganz anders: Ihm stehen nicht so viele Möglichkeiten offen. Er fühlt sich Jadwiga viel zu sehr verpflichtet, als daß er sie verlassen könnte. Und gleichzeitig ist er hoffnungslos in Mascha verliebt. Ich glaube, er sieht sich als völlig hilflos: Er hat nicht die geringste Kontrolle über seine eigene Situation.

In der Figur des Herman lebt für mich ein kardinales Thema Ihres Kinos auf: die Frage der Wahrhaftigkeit der Figuren. Herman ist ein chronischer Lügner.

Er kann aber auch vollständig ehrlich sein! In der letzten Szene ist er Mascha gegenüber vollständig ehrlich: Er sagt, er müsse gehen, und als sie ihm entgegnet, er habe nur Angst, sich mit ihr zusammen umzubringen, gesteht er ihr das ein. „Ja, ich habe Angst vor Gott.“ Bis zu diesem Zeitpunkt hat er sich immer geweigert, Gefühle dieser Art zuzugeben.

Außerdem lügt er nicht unbedingt, er...spielt Spiele mit der Wahrheit. Immerzu und jedem gegenüber. Aber auch Tamara (Anjelica Huston) gegenüber ist er ehrlich, als er sie nach dem Ausflug mit Mascha besucht.

Sie ist aber auch ein Charakter, der danach verlangt!

Aber trotzdem: Er geht freiwillig zu ihr, sie zwingt ihn nicht dazu. Er klopft an ihre Tür und sagt: „Ich heirate wieder. Sie ist schwanger. Ich werde noch verrückt. Ich verliere den Verstand. Hilf mir! Was soll ich tun?“ Sie sagt: „Du hast vielleicht Nerven, zu mir damit zu kommen!“ und bittet ihn hinein. Dann fragt er sie aus, ob sie mit anderen Männern geschlafen hätte. Als ob er ein Recht dazu hätte! Aber anstatt auf ihn wütend zu sein, tut sie diese ungeheuer menschliche Sache, auf die nur Singer kommen konnte: Sie belügt ihn und dann schlafen sie miteinander. Erst danach sagt sie ihm die Wahrheit: daß es keine anderen Männer gegeben hat. Herman ist also nicht der einzige der lügt.

Jadwiga lügt nicht, obwohl ich immer der Ansicht war, daß sie sich selbst belügt. Denn ich habe diese Frau immer für intelligenter gehalten, als sie erscheint. Ich denke, sie ist klug genug, zu ahnen, was Herman treibt, wenn er fort ist. Der witzigste Satz im Film - kein Satz, der einen großen Lacher erntet, aber trotzdem -, der witzigste Satz kommt für mich in der Szene, in der Hermans ersten beiden Ehefrauen aufeinandertreffen und er sagt: „Jetzt, wo ihr es beide wißt, könnten wir doch alle Freunde sein, und ich müßte nicht mehr so viel lügen!“

Die Spiegelszenen sind in Ihren Filmen immer bemerkenswert. Sind das Augenblicke, in denen die Figuren, die sich verändert haben, eine Bestandsaufnahme machen?

Schauen Sie ab und zu in den Spiegel?

Klar, jeden Morgen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht, aber mir passiert es vor dem Spiegel oft, daß ich mit mir selbst spreche. Im Leben hat man nicht so schrecklich viele Möglichkeiten, sich selbst anzuschauen. Für gewöhnlich werden wir nur von anderen gesehen, und dann aus deren ganz speziellem Blickwinkel. Sicher, der Anblick im Spiegel ist eine Bestandsaufnahme. Aber es ist auch ein plötzlicher privater Augenblick, der sich zwischen einer Person und ihren Gefühlen abspielt. Die zweite Szene, in der man Mascha in „Feinde“ vor dem Spiegel sieht, ist der einzige Moment im Film, in dem sie wirklich entspannt ist. Sie ist für ein, zwei Sekunden wirklich heiter und ruhig. Und es ist auch der einzige Moment, in dem sie allein ist.

Maschas Selbstmord ist in dieser Szene ebenso schockierend wie jeder andere Selbstmord in ihren Filmen, denn Ihre Charaktere sind für gewöhnlich unverwüstlich.

Aber ich glaube, Mascha ist müde. Der Tod der Mutter ist eine zu konkrete Realität. Und ihre Träume von Kalifornien und Florida, der Sex - all das hilft ihr nicht mehr. Sie erhofft sich von dieser Lösung den Frieden. Und ich glaube nicht, daß sie Angst hat.

Sie ist von allen Figuren sicher diejenige, die am stärksten vom Grauen der Judenvernichtung verfolgt wird. Am Ende trifft es sie stärker als alle anderen Charaktere.

In den 70er Jahren schrieb eine Kritikerin über Sie, Sie seien der einzige zeitgenössische Regisseur, der die Ehe noch für selbstverständlich hät. Stimmt das immer noch, vor allem im Bezug auf Ihren nächsten Film, „Scenes from a Mall“?

(lacht) „Scenes from a Mall“ wird die Idee der Ehe überprüfen, quasi vorausblickend auf die 90er Jahre, nicht rückblickend auf die 60er, 70er oder 80er. Mir geht es um eine neuerliche Überprüfung! Eine meiner Grundüberlegungen dabei ist, daß die Ehe im 19. Jahrhundert eine so eindeutig definierte Institution war, weil die Menschen nur eine Lebenserwartung von 40, 50 Jahren hatten. Heute kann man 75 oder 80 Jahre alt werden, da muß man mit dem gleichen Menschen viel, viel länger zusammenbleiben, vielleicht verdient es diese Institution also, daß man sie neu überdenkt.

Natürlich ist schon jeder auf den Film gespannt, weil Bette Midler und Woody Allen die Hauptrollen spielen: Wie werden die beiden zusammenpassen? Wird der Film interessant, wird er witzig? Man weiß nie genau, was die Leute an einem Film ansprechen wird. Das bekommt man meist erst viel später heraus. Und ich weiß auch selbst noch nicht genau, wie der Film werden wird. Ich weiß, wie meine eigenen Vorstellungen aussehen, aber ganz sicher weiß ich noch nicht, was aus denen im fertigen Film geworden sein wird.

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