piwik no script img

Widersprüchliche Nachrichten aus Moabiter Knast

■ Der Justizstaatssekretär Wolfgang Schomberg und der Al-Abgeordnete Albert Eckert zogen nach ihren Besuchen in der Moabiter Haftanstalt unterschiedliche Bilanzen / Schomberg stellte keine unruhige Stimmung fest / Eckert sprach davon, daß es im Haus II „brodelt“

Moabit: Der Staatssekretär für Justiz, Wolfgang Schomburg (SPD), und der Abgeordnete Albert Eckert (AL) haben sich unabhängig voneinander ein Bild über die Stimmung in der Moabiter Haftanstalt verschafft und sind dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Schomburg zog nach seinem Knastbesuch am Mittwoch das Fazit, daß in den Häusern I und II „keine konzentrierte Protestaktion“ stattfinde, teilte Justizsprecher Achhammer gestern mit. Kein einziger Gefangerer hungere, und die einzelnen Insassen, die gelegentlich die Annahme der Anstaltskost verweigerten, hätten in ihren Zellen Lebensmittel aus eigenem Einkauf gelagert. Die Stimmung in beiden Häusern habe Schomburg als „sehr ruhig“ empfunden, Unruhe käme erst auf, wenn die abendlichen Kundgebungen vor dem Knast stattfänden. Schomburg interpretierte das so, daß die Unruhe in der Anstalt „ganz offensichtlich von außen durch sogenannte autonome Kreise im Vorfeld des 1. Mai auf Kosten von Bediensteten und Inhaftierten geschürt“ werde, um diese „für ihre Ziele und Zwecke einzuspannen“. Berichte, in denen von Aufruhr und Hungerstreik im Knast die Rede seien, entbehrten jeder Grundlage und seien unverantwortlich.

Der AL-Abgeordnete Albert Eckert zog nach seinem gestrigen Besuch im Moabiter Knast das Fazit, daß die Stimmung im Haus I - in dem hauptsächlich U-Häftlinge untergebracht sind „verhältnismäßig ruhig“ sei. Dafür „brodele“ es aber im Haus II, in dem meist Strafgefangene einsitzen - um so mehr. Die Stimmung im Haus II unter den Gefangenen und den Beamten sei ausgesprochen „aggressiv und gereizt“. Einzelne Wortführer der Protestaktion hätten ihrer Befürchtung Ausdruck verliehen, daß sie von Beamten zusammengeschlagen würden, weil diese entsprechende Drohungen ausgestoßen hätten. Umgekehrt hätten aber auch Beamte Angst vor gewalttätigen Angriffen von Gefangenen geäußert. Eckert bestätigte, daß die Stimmung bei den abendlichen Kundgebungen besonders hochkocht. Der Krach und die Unruhe nerve jedoch nicht nur die Beamten, sondern auch manche Gefangene. Wieviele Gefangene hungerten oder nicht beziehungsweise die Annahme der Anstaltskost verweigerten oder nicht, fand Eckert unerheblich. Fakt sei, daß es sich um eine schleichende Protestbewegung handele, an der nicht die Autonomen-Gruppen schuld seien, sondern die Justizverwaltung, weil der 23 -Stunden-Einschluß im Haus II immer noch an der Tagesordnung sei. Im Gegensatz zum Haus I, in dem der 23-Stunden -Einschluß für die U-Häftlinge Anfang Mai abgeschafft werden soll, drohten die Insassen des Haus II auf der Strecke zu bleiben, weil es hier noch keine konkrete Planung gebe.

Nach Angaben des stellvertretenden Moabiter Anstaltsleiters Pohl sitzen im Haus II derzeit 303 Gefangene ein, in der Mehrzahl Strafgefangene. Dem Vollstreckungsplan zufolge sollten männliche Strafgefangene eigentlich im Tegeler Knast untergebracht werden. Die Ausnahme sind Gefangene, bei denen eine sogenannte „besondere Sicherheits- und Bedrohungssituation“ besteht oder es „aus Gründen des Arbeitseinsatzes“ in Moabit erforderlich erscheint. Aber selbst im als „Müllcontainer“ verschrienen schlimmsten Tegeler Haus II herrschen bessere Bedingungen als im Moabiter Haus II. Die Unterschiede wurden kürzlich in der Gefangenen-Zeitung 'Lichtblick‘ beschrieben: Im Tegeler Haus II gebe es zwar auch keinen Wohngruppenvollzug, aber die Gefangenen, die zur Arbeit gehen, könnten sich nach Feierabend in den Gruppenräumen oder bei Mitgefangenen in den Zellen treffen. Im Mobaiter Haus II hingegen würden die Arbeiter sofort nach Feierabend - in der Regel gegen 15 Uhr

-eingeschlossen. Nichtarbeiter könnten sich im Tegeler Haus II tagsüber im Gruppenraum aufhalten, in Moabit hingegen müßten sie 23 Stunden auf der Zelle bleiben.

Dazu erklärte der stellvertretende Moabiter Anstaltsleiter Pohl auf Nachfrage, nur sehr wenige Gefangenen im Moabiter Haus II seien von dem 23-Stunden-Einschluß betroffen. Pohl verwies darauf, daß es auch für diese Gefangenen „Freizeitangebote“ gebe, nannte sie aber nicht. Er konstatierte jedoch, daß es einen „großen Mangel“ an Gruppenräumen gebe: Hier müsse dringend Abhilfe geschaffen werden. Das ginge aber nur in einem anderen Klima als in der „gegenwärtigen Situation“, sagte Pohl, ohne näher auszuführen, was er damit meinte.

Der AL-Abgeordnete Eckert befürchtete, daß die Stimmung im Knast in den kommenden Wochen weiter eskaliert. Um dies zu verhindern, forderte er die Senatsverwaltung für Justiz erneut auf, sich mit den Gefangenen unter Hinzuziehung der Anstaltsleitung, des Personalrats und des Anstaltsbeirats an den „runden Tisch zu setzen“. Eckert glaubte allerdings auch, daß es für alle Beteiligten „leichter“ wäre, wenn die Protestaktionen aufhören. „Die Dramatik ist klargeworden“.

Plutonia Plarre

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen