Moskau läßt Einlenken erkennen

■ Der Kreml besteht nicht mehr auf Rücknahme, sondern nur noch auf Einfrieren der Unabhängigkeitserklärung Benzinrationierung in Estland und Lettland / Litauische Regierung eröffnet Konto für Gelder aus dem Westen

Moskau/Stockholm (dpa) - Im Konflikt zwischen Moskau und der baltischen Republik Litauen hat Moskau die Bereitschaft zum Einlenken erkennen lassen. Wie Gorbatschows Sprecher Arkadi Maslennikow am Montag vor der Presse in Moskau erklärte, besteht der Kreml nicht mehr auf einem Widerruf der Unabhängigkeitserklärung. Es genüge ein „Einfrieren“. Indessen ist erneut eine Parlamentsdelegation aus Vilnius in der sowjetischen Hauptstadt eingetroffen.

„Wir rufen (Litauen) dazu auf, auf den Weg der Verfassung, der Gesetze und der Menschenrechte zurückzukehren“, erklärte Maslennikow. „Ob dies in der Form eines Widerrufs oder Einfrierens (der Unabhängigkeitserklärung) geschieht, ist dann zweitrangig“, fügte er hinzu. Bisher hatte Moskau auf der Annullierung der Unabhängigkeitsdeklaration bestanden.

Maslennikow wollte „weder bestätigen, noch dementieren“, ob die litauische Delegation mit sowjetischen Gesprächspartnern zusammentreffen werde. Die vom stellvertretenden Vorsitzenden des Obersten Sowjets, Bronius Kuzmickas, geleitete Gruppe soll „Möglichkeiten für Konsultationen mit führenden Personen suchen“.

Litauens Präsident Vytautas Landsbergis kündigte am Montag vor dem Parlament „allgemeinen zivilen Ungehorsam“ für den Fall an, daß Moskau „eine Diktatur errichten“ wollte. Nach seinen Worten ist es das Ziel der „brutalen Wirtschaftsblockade“, soziale Unruhen auszulösen, um dann eine Diktatur zu errichten.

Die Sowjetunion hat nach Ansicht der von den privatwirtschaftlichen Kooperativen herausgegebenen Wochenzeitung 'Kommersant‘ ihre Mittel zur Blockade Litauens noch nicht ausgeschöpft: der nächste Schritt könne darin bestehen, die Baumwollieferungen aus Zentralasien einzustellen.

Die Blockade könne aber auch der UdSSR wirtschaftlichen Schaden zufügen, da Teile Weißrußlands und das Kaliningrader Gebiet (früher Königsberg) einen großen Teil ihres Stroms und petrochemischer Produkte über Litauen erhielten. In Erwartung einer ähnlichen Wirtschaftsblockade haben die beiden anderen baltischen Republiken Estland und Lettland am Montag eine Benzinrationierung verfügt: in Lettland werden an Autofahrer nur noch jeweils zehn Liter abgegeben, in Estland vierzig Liter.

Litauens Ministerpräsidentin Prunskiene hat zum Abschluß ihrer Skandinavien-Reise in Stockholm ein „unabhängiges Konto“ für Gelder aus dem Westen zur Unterstützung ihres Landes eröffnet. Als erste Einlage gab sie einen von der Amerikanisch-Europäischen Entwicklungsbank in Portland (USA) gestifteten Betrag von 100.000 Dollar bekannt.