: Wortkarg beredt
■ „Verfolgte Wege“, ein Film von Uwe Janson
Ein kleiner Bahnhof mitten in wildromantischer Botanik, drei, vier obskure Typen, nur ein mittelschwerer psychischer Knacks fehlt da noch und fertig ist der Tender-und-Schienen -Plot. Ein paar knorrige Bäume, noch knorrigere Gesichter, dampfende Eisenbahnen in engen Schluchten, Erdfarben satt, und wir sind mitten drin im deutschen Dampflokthriller, mit psychologischem Tiefgang natürlich. Ein Genre, das in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen war, sieht man von „Wallers letzter Gang“ einmal ab.
Aber ein schwerblütiges Genre hat nicht notgedrungen schwerblütige Filme zur Folge. Verfolgte Wege zum Beispiel: Hermann wird 1946 aus einem Sanatorium entlassen; er saß dort, weil er es nicht verkraftet hatte, daß im Krieg ein Kind in seiner unmittelbaren Nähe versehentlich erschossen wurde. Sein Schuldgefühl wird zur Psychose, aber er wird als geheilt entlassen. Er bekommt einen Job auf einem kleinen Bahnhof in der Nähe von Frankfurt. Seine drei Kollegen halten sich mit Schwarzhandel über Wasser, und Karl überredet Hermann, in einen fahrenden Zug einzubrechen, um amerikanische Care-Pakete zu klauen. Hermann verliebt sich in Marie, die bei dem Zugüberfall hilft. Marie zieht zu ihm. Nachdem sie den Winter aufgrund der Vorräte gut überstanden haben, wird ihr geheimes Lager entdeckt, sie gehen nochmal los und brechen in einen Zug ein, aber diesmal geht es schief. Hermann flüchtet panisch beim Anblick der Soldaten, die den Zug bewachen, Marie stellt ihn zur Rede, er steht nur dumpf da, sagt kein Wort, das Happy-End scheint in weite Ferne zu rücken...
Hermann schweigt, und auch der Film redet nicht. Er tut das, was ein Film immer machen sollte, er zeigt. Er zeigt die Gesichter und Hände der Menschen, kleine Symbole, Blicke, Gesten, ein Lächeln, Landschaften. Aber da es sich um einen deutschen Autorenfilm handelt, fehlen dennoch die bedeutungsschwangeren Entgleisungen nicht, Kaliber „Das Leben kann weh tun“ oder „Du bist bei mir, und ich bin allein“. Zum Glück hält sich die Redseligkeit in Grenzen, vor allem Peter Cieslinski erreicht in seiner Darstellung des Hermann beinahe kaurismäkische Qualitäten. Sein durchfurchtes Gesicht schiebt sich fast wortlos durch den ganzen Film, selbst als Marie ihn verläßt, als sie nur auf ein Wort von ihm wartet, bleibt er stumm und schaut verlegen zu Boden.
Thomas Winkler
Uwe Janson, Verfolgte Wege, mit Peter Cieslinski, Barbara Auer, BRD 1989, 106 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen