piwik no script img

Alle wollen plötzlich wieder Ostmark

Die DDR-Bürger stürmen die Sparkassen: Hoffnung auf besseren Schnitt durch Umverteilen ihrer Spareinlagen / Präsident des Sparkassenverbandes spricht von „Panikverhalten“ / Auch im Westen steht die Ostmark hoch im Kurs / Spekulation um Kursrelation 1:3  ■  Von CC. Malzahn

Ost-Berlin (taz/dpa) - Tausende von DDR-BürgerInnen stürmten in den vergangenen Tagen die Sparkassen ihrer Republik. Meterlange Menschenschlangen vor den Schaltern der Geldinstitute und tumultartige Szenen in den Wartehallen sind die Antwort der Bevölkerung auf die Ankündigung der Bundesregierung, Spareinlagen bis zu 4000 Mark im Verhältnis 1:1 zu tauschen. Die Hoffnung vieler DDR-BürgerInnen: Durch geschicktes Umverteilen ihres Guthabens auf die Konten von Familienmitgliedern und Freunden ab 1. Juli einen möglichst guten Umtauschschnitt zu machen.

Der Präsident des DDR-Sparkassenverbandes, Rainer Voigt, sprach denn auch von einem „Panikverhalten“ seiner Landsleute. Zeitweilig könne sogar das Geld in der einen oder anderen Zweigstelle knapp werden. Der Ansturm der BürgerInnen auf die 3.000 Filialen im Lande sei aber sinnlos: Schließlich könne die Regierung beschließen, den Stichtag für die Anerkennung von Sparguthaben in das vergangene Jahr zu verlegen. Sämtliche Geldtransferaktionen, die seit Montag getätigt werden, liefen mit so einer Regelung ins Leere.

Trotz der Beschwichtigungen von offizieller Seite wurden die Schlangen vor den Bankschaltern gestern nicht kleiner. Eine Sprecherin der Berliner Sparkasse erklärte, daß die Wartezeiten zum Teil bis zu zwei Stunden betragen würden. Normalerweise würde man „schnell bedient“. Sie gehe davon aus, daß sich die Lage bis zum Wochenende wieder beruhigen würde, deshalb sei ein zusätzlicher Einsatz von Personal auch nicht vorgesehen.

Die Stimmung in der Schalterhallen war zum Teil ausgesprochen aggressiv. In dem Gedränge hatten es vor allem Behinderte schwer, sich gegen andere KundInnen durchzusetzen. Die Umsätze der Kassen lagen zum Teil fünfmal so hoch wie an normalen Tagen. Schon im Januar hatte es in der DDR ähnliche Szenen gegeben. Damals kursierte das Gerücht, daß in der nächsten Zeit Sparguthaben bis zu 5000 Mark im Verhältnis 1:1 umgetauscht werden könnten. „Wenn die Leute so was hören, reagieren die blitzschnell!“ erklärte eine Angestellte des Geldinstituts.

Während sich die Menschenmassen in den 91 Ostberliner Sparkassen drängelten, herrschte am Geldschwarzmarkt Bahnhof Zoo im Westteil der Stadt plötzlich gähnende Leere. Dort hatten DDR-BürgerInnen, PolInnen und VietnamesInnen in den vergangenen Monaten Ostmark im Verhältnis 4:1 angeboten. Das bisher einträchtige finanzielle Geschäft bringt nun keinen Gewinn mehr, da man in zwei Monaten dasselbe Geld in den Wechselstuben der DDR in einem günstigeren Verhältnis tauschen kann. Auch vor den Ostberliner Geldschwarzmärkten am Kaufhaus Zentrum und vor dem Hauptbahnhof waren Tauschgeschäfte gestern die große Ausnahme: Wer Ostmark hat, behält sie im Moment für sich.

Auch im Westen ist die Nachfrage nach den Scheinen mit dem Kopf von Karl Marx sprunghaft angestiegen. Im Frankfurter Geldhandel wurden am Mittwoch Kaufkurse von 29 bis 31 DM genannt, die für 100 DDR-Mark zu bezahlen waren. Vor Ostern hatte dieser Kurs etwa 24 DM und im letzten Herbst - kurz nach der Maueröffnung - sogar nur sieben DM betragen.

„Die Nachfrage ist gut, die Ware sehr schwer zu beschaffen“, hieß es am Mittwoch bei der Commerzbank. Die Deutsche Verkehrs- und Kreditbank mit ihren Wechselstuben in den Bahnhöfen sprach von „größerer Nachfrage“. Andere Händler bezeichneten den Markt als „eng“ oder „leergefegt“.

Dabei hieß es, daß die restlichen Bargeldbestände zum Kurs von 1:3 nach Einführung der D-Mark in der DDR getauscht würden. Dies entspricht in etwa der derzeitigen Kursrelation im Handel. Deshalb dürften sich nach Einschätzung der Händler die Kurse nicht weiter nach oben bewegen. Die Geldexperten vermuten darüber hinaus, daß einige DDR -Schuldner sich mit Ostmark eindecken wollen, um ihre Schulden zu begleichen. Für die Schulden ist eine Kursrelation von 1:2 vorgesehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen