: Tschernobyl - Die Katastrophe geht weiter
■ Tschernobyl vor dem Jahr fünf danach: Die Opfer verschaffen sich Gehör / Für heute werden in aller Welt Demonstrationen, Proteste und Hilfsaufrufe erwartet
Berlin (taz) - Vier Jahre nach dem Supergau von Tschernobyl nimmt die Katastrophe Gestalt an. Das tägliche Elend hunderttausender Menschen, Krankheit und Tod, auf unabsehbare Zeit verseuchte Landstriche und eine ungewisse Zukunft für Millionen - der Alltag in der Todeszone hat vorläufig alle gestoppt, die den Mantel des Vergessens über das größte Desaster der Atomwirtschaft legen wollten.
Mit Streiks, Demonstrationen und Kundgebungen an den Brennpunkten der Verseuchung wollen sich die alleingelassenen Menschen in der Ukraine, in Belorußland und der russischen Republik endlich Gehör verschaffen. In Kiew, 130 Kilometer von Tschernobyl, verlangen 50.000 AtomkraftgegnerInnen die sofortige Stillegung der immer noch weiterbetriebenen Reaktorblöcke in Tschernobyl. Die Menschen fordern saubere Nahrungsmittel, eine ausreichende medizinische Versorgung und vor allem endlich Offenheit. Die Zentralregierung in Moskau antwortet und kündigt Hilfsprogramme an. 16 Milliarden Rubel für Polikliniken, Umsiedlungen und „Schadensbegrenzung“ will der Ministerrat nach einem entsprechenden Beschluß des Obersten Sowjets bereitstellen. Ein Tropfen auf den heißen Stein, angesichts jüngster Schätzungen. Danach wird dieKatastrophe bis zur Jahrtausendwende die horrende Summe von 300 Milliarden Rubel verschlingen.
Die sowjetischen Medien berichten ausführlich über die lange vertuschten Folgen der „Havarie“, ohne allerdings die Atomenergienutzung grundsätzlich in Frage zu stellen. Journalisten und Ärzte machen sich auf die Suche nach den Verantwortlichen für die unglaublichen Fehlreaktionen der ersten Tage. Auch im Ausland beginnen die Menschen, sich des Gaus zu erinnern. Weltweit starten in diesen Tagen zahlreiche Initiativen, Hilfskampagnen für die „Kinder von Tschernobyl“. Vor vier Jahren waren sie viel zu spät evakuiert worden. Noch heute müssen zehntausende von ihnen in der Zone leben.
gero Tagesthema auf Seite 3
Kommentar von Robert Jungk S. 4
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