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Mediale Gladiatorenkämpfe

■ RTL Plus probt eine „Andere Talkshow“ / Gäste müssen mit Beschimpfungen und Rauswurf rechnen Krawall als Feierabendunterhaltung? / Interview mit Talkmaster Axel Thorer

Morgen geht die Andere Talkshow von RTL Plus in die vierte Runde. Zu bester Sendezeit werden wieder Vertreter möglichst konträrer Ansichten in den Ring geschickt, um dort, vor laufender Kamera, übereinander herzufallen: Da treten Feministinnen an gegen Mädchenhändler, Obdachlose gegen Spekulanten, Kunstschaffende gegen Kunstkritiker: Je weiter die Kluft, je feindseliger die Kontrahenten, desto besser.

Das Ganze hat das Odium altrömischer Gladiatorenkämpfe: Konzentrisch angeordnete Metallgitter machen das Aufnahmestudio zum Löwenkäfig, in dem die Kämpfer aufeinander gehetzt werden. Das Publikum wird extra noch angeheizt, lautstarkt etwaiges Mißfallen zu bekunden. Wie im alten Rom wird sogar das Daumen-nach-unten-Urteil eingeübt, falls man einen Teilnehmer rauswerfen will. Martialisch aufgemachte Bodyguards, die an strategisch wichtigen Punkten im Studio verteilt sind, sorgen zusätzlich für animose Spannung: Es geht ganz ausdrücklich um „Schlagabtausch“ und dies keineswegs nur in übertragbarem Sinne.

Das Kürzel A.T. für Andere Talkshow ist zugleich auch Anagramm: Es steht initial für Axel Thorer, den Moderator des ganzen Szenarios. Thorer, ehedem Chefredakteur des Männermagazines 'Esquire‘, ist wie geschaffen für diese Rolle: In seinem Auftreten verbindet er den Charme des Smalltalkers mit der Bulligkeit eines Preisboxers.

Zehn Folgen hat RTL zunächst geplant; drei davon wurden aufgezeichnet, ab der vierten („Kunst oder Schrott“) ging man live ins Samstagabend-20.15 Uhr-Programm. Die dritte Ausgabe, die bereits Mitte März in München aufgezeichnet wurde, wird am 28.April ausgestrahlt.

Unter dem Motto „New Age in - Kirchen out?“ waren hierzu einige mehr oder minder prominente Vertreter der jeweiligen Fakultät eingeladen. Obleich das Thema natürlich sehr kontrovers zu diskutieren wäre, lief die Runde doch eher an der A.T.-Absicht des „Schlagabtausches“ vorbei: Die Protagonisten beschränkten sich distinguiert auf Selbstdarstellung und gerieten einander nur wenig ins Gehege. Zu sehr sind ja auch Kirche und New Age einander wesensverwandt: Eine Krähe hackt da der anderen kein Auge aus.

Daß es dann doch noch - wie geplant - zu Tumult und Aufruhr kam, lag an den Sonder-Provokateuren, die Thorer ins Spiel brachte: Beim überraschenden Auftritt eines Hellsehers, der live seine Handlesekünste vorführte, verlor die bislang smart vor sich hintalkende Theologin in der Runde völlig die Fassung: ihrerseits handauflegend versuchte sie, Thorer vor dessen diabolischen Kräften zu beschützen.

Ein weiterer Sondergast wurde vom Publikum gnadenlos aus dem Studio gebuht: ein Münchner Coiffeur, der die Haare seiner Kundinnen nach esoterisch-spirituellen Gesetzmäßigkeiten schneidet.

Die Stimmung im Studio wurde spürbar aggressiv. Mit dem abrupten Abgang Thorers nach exakt 60 Minuten Sendezeit endete die „Andere Talkshow“ dann - wie üblich - in allgemeinem Chaos und Unmut.

Colin Goldner interviewte Axel Thorer kurz nach seiner Sendung:

Herr Thorer, Sie haben sich mit Ihrer Sendung ein ganz bestimmtes Image geschaffen: Knallharter, kompromißloser Schlagabtausch, auch unter der Gürtellinie. Wem's nicht paßt, der fliegt raus.

Thorer: Ja, aber es wäre eher in meinem Sinne, zu sagen, das Image entspricht auch der tatsächlichen Persönlichkeit. Bei meiner Sendung muß ich immer im Hinterkopf haben, was der Fernsehzuschauer vor dem Bildschirm empfindet. Und da muß ich halt Dinge machen, die sich scheinbar gegen die Studiogäste richten. Das ist eben so.

Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie Ihre Themen aus?

In der Regel setzen wir uns hier in der Redaktion zusammen und überlegen uns die Themen. Oftmals ergibt sich dann, daß ein Thema nichts für uns ist, daß man es in einem ruhigeren Rahmen besser diskutieren kann als in der doch etwas schärferen und härteren Form dieser Talkshow.

Diese schärfere Gangart ist ja wohl wesentlicher Teil des Konzepts?

Ja, das ist so beabsichtigt. Wir haben ja mittlerweile um die 20 Talkshows im deutschen Fernsehen, und da muß man sich halt eine Nische aussuchen.

Krawall als Feierabendunterhaltung?

(Zögerlich) Ich meine, daß vieles, was in anderen Talkshows stattfindet, eine horrende Langeweile ausstrahlt. Üblich ist doch, daß der Schauspieler X aufgerufen wird: „Sie haben eben grade einen Film gemacht, erzählen Sie uns was davon“, oder der Schriftsteller Y, weil der eben ein Buch veröffentlicht hat. Das, so glaube ich, kann man dem Fernsehzuschauer nicht mehr zumuten. Selbst Leute von der B -Liste waren heute schon mindestens dreimal in irgendeiner Talkshow zu sehen. Wenn sie jemanden von der A-Liste nehmen, Oskar Lafontaine zum Beispiel, so war der mit Sicherheit schon zehn bis 20 mal in einer Talkshow, und da wurde ständig das gleiche geredet. Deshalb haben wir von Anfang an gesagt: Bei uns finden nicht in erster Linie Prominente statt, sondern Themen.

Ihnen sind sicherlich die einschlägigen Sendungen aus den USA bekannt, in denen man sich nicht nur anschreit und bespuckt, sondern in denen durchaus auch Handgreiflichkeiten vorkommen: Die berüchtigte Wally-George-Show etwa.

Das ist ganz was anderes. Bleiben wir in Deutschland.

Leisten Sie nicht Vorreiterdienste für derartige Unkultur?

Natürlich leiste ich solche Dienste. Ich habe aber eigentlich nicht die Absicht, so zu werden. Ich bin mir darüber klar: Je größer und lauter der Bomber ist, desto eher wird er abgeschossen.

Glauben Sie nicht auch, daß die Zuschauer von Sendung zu Sendung eine Steigerung des Krawalls erwarten? Und wenn's der Thorer nicht machen mag, wird sich bestimmt ein anderer finden, der's gerne noch doller treibt.

Solange es den nicht gibt, der es doller macht, habe ich keine Angst. Die Leute sagen ja auch nicht zum Thomas Gottschalk, sie möchten immer verrücktere Wetten haben.

Doch. Sie fordern lautstark, die Mädchen bei Tutti-Frutti sollen ihre Höschen runterziehen.

Ist doch klar. Da ertappe sogar ich mich, daß ich das sage. Aber ich denke, wir sollten eine Unterscheidung machen zwischen dem gesprochenen Wort und dem gezeigten Körper. (Was ist schon ein nackter Frauenkörper gegen ein gesprochenes Männerwort, wa? d.Äzzerin)

Sie haben in ihrer Show diese martialisch aufgemachten Bodyguards, die ja bestimmt nicht nur als Staffage gedacht sind, sondern auch als Schutzustaffel, wenn jemand einem Kontrahenten an die Gurgel springen will. So etwas liegt ja

-und dies durchaus beabsichtigt - ständig in der Atmosphäre.

Nein, beabsichtigt würde ich nicht sagen. Aber es wird auch nicht besonders vermieden. Ich glaube, daß wir für das deutsche Publikum ganz richtig liegen. Für das amerikanische wäre es zu wenig. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß das öffentlich-Rechtliche oder irgendein privater Sender eine noch krawalligere Sendung machen wird.

Vor gar nicht so langer Zeit war es auch noch nicht vorstellbar, daß blanke Busen über die Bildschirme flimmern.

Die Konkurrenz könnte nur aus dem eigenen Haus kommen. Welcher andere Sender außer RTL Plus traut sich schon, solche Dinge zu machen. Aber das ist auch gar nicht so sehr mein Problem: Ich bin ja nicht von dieser Show abhängig.

Provozierend oder schlicht geschmacklos? Am Samstag, den 28.4. um 20.15 Uhr kann Mann und Frau sich von Axel Thorers Talkmasterqualitäten überzeugen. Noch ein Tip für Fußballfans: Der bei A.T. auftretende Hellseher „Rasputin“ las aus Thorers Hand, Deutschland werde ganz eindeutig nicht Fußballweltmeister. (Das alles liegt in Thorers Hand? d.Äzzerin)

Colin Goldner

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