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Am hundertsten 1. Mai war vieles anders

■ In Deutschland stand der Feiertag ganz im Zeichen der Vereinigung und des Kampfs um die 35-Stunden-Woche / Zusammenstöße in Leipzig / In China gab es weder Kundgebungen noch Paraden

Frankfurt/Moskau (ap) - Hundert Jahre nach dem ersten Maifaiertag ist der Tag der Arbeit am Dienstag weltweit anders begangen worden als gewohnt. Stand er in der Bundesrepublik und der DDR ganz im Zeichen der deutschen Vereinigung wie auch des Tarifkonflikts um die 35-Stunden -Woche, blieben im ehemaligen Ostblock die bisher üblichen Militärparaden aus. In Moskau verließ Staatspräsident Michail Gorbatschow sogar erstmals unter Pfiffen von Demonstranten die Ehrentribüne am Lenin-Mausoleum.

Die gemeinsame Feier des 1. Mai ist nach den Worten des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Hermann Lutz, „wohl das schönste Geburtstagsgeschenk für die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik und in der DDR“. Bei einer Maikundgebung in seiner Heimatstadt Erfurt plädierte Lutz vor rund 4.000 Teilnehmern für das Prinzip der Einheitsgewerkschaft auch in der DDR. Auch in anderen Städten der DDR fanden erstmals nicht von der SED organisierte Maikundgebungen statt, an denen sich laut Nachrichtenagentur ADN Tausende beteiligten.

Zu Auseinandersetzungen zwischen jungen Linken und Rechten kam es nach einer Meldung der Ostberliner Nachrichtanegentur ADN am Dienstag nachmittag auf dem Alten Markt in Leipzig. Mit DDR-Fahnen um den Hals, Sprechchören und dem Gesang der Internationale hätten hunderte linksgerichteter Jugendlicher Anhänger der mitteldeutschen Nationaldemokraten empfangen. Diese hätten per Plakat eine Kundgebung auf dem Platz angekündigt. Bereitschaftspolizisten schoben sich dem Bericht zufolge zwischen die beiden Fronten und hielten einen Korridor frei. Sprüche wie „Nazis raus“ und „Rot ist tot“ hätten sich abgewechselt, Flaschen und Büchsen seien geflogen.

In den meisten Staaten Osteuropas wurde der Tag der Arbeit nach den politischen Veränderungen der vergangenen Monate erstmals in neuer, zwangloser Form gefeiert. So zogen in Budapest Tausende von Menschen zu einem von der Gewerkschaft veranstalteten Picknick in den Stadtpark.

In Prag jubelten Menschenmengen dem amerikanischen Dichter Allen Ginsberg zu, der nach dem „Prager Frühling“ 1968 von tschechoslowakischen Jugendlichen zum „König des Mai“ gewählt, aber kurz darauf von den Behörden des Landes verwiesen worden war. An einer Kundgebung der Kommunistischen Partei nahmen 20.000 Menschen teil. An einer Maidemonstration des polnischen Gewerkschaftsbundes OPZZ in Warschau beteiligten sich rund 10.000 Menschen, darunter auch führende Vertreter der früheren kommunistischen Partei. Führer der Gewerkschaft Solidarität besuchten unterdessen eine Messe.

Der albanische KP-Chef Ramiz Alia bekräftigte auf der offiziellen Maikundgebung die Ablehnung von Reformen. In China gab es weder Kundgebungen noch Paraden, die meisten Geschäfte, Schulen und Büros blieben geschlossen. Soldaten riegelten den Platz des himmlischen Friedens ab, um Demonstrationen zu verhindern.

Bei verbotenen Maikundgebungen in der Türkei wurden nach Angaben der Nachrichtenagentur Anatolia mindestens 400 Menschen festgenommen und zwei Personen verletzt. In Nepal beteiligten sich Tausende von Arbeitern an der ersten genehmigten Maikundgebung. Auf den Philippinen lieferten sich Polizisten und Demonstranten in mehreren Städten Straßenschlachten.

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