: Katja Leyrer
■ betr.: "Weibliche Gehorsamsübungen", taz vom 23.4.90
betr.: „Weibliche Gehorsamsübungen“, taz vom 23.4.90
Die taz schreibt einen Artikel über die Reaktionen zu einem Artikel über ein Buch. Dabei schwankt die meinungslose Autorin zwischen „mutig“ und „Mittäterin an einer äußerst sexistischen, lebensgefährlichen Propaganda“.
Wird die taz jemals ihre (frauengemachte?) Hilflosigkeit überwinden und selbsttätig in der überwiegend linken SM -Szene recherchieren können? Wird sie sich dann auch trauen, die Frauenbewegung mit der überwältigenden Zahl der männlichen Masochisten zu konfrontieren?
Interessierten empfehle ich am Freitag, den 4.5.1990 um 20.30 Uhr in der Schwulen- und Lesbenberatungsstelle, Kulmer Straße 20 a, (in Berlin-West, d.sin) das Gespräch zum Thema „Sadomasochismus - Faszination der Angst“.
Matthias Rosen, Berlin
(...) Unsere Kritikpunkte an Artikeln, wie dem des 'Stern‘ (Heft 10/90) sind:
1. Der Informationswert: Hier wird kein Tabu gebrochen, denn die uns Frauen zugewiesene Rolle in der Gesellschaft, uns unter die Wünsche des Mannes zu unterwerfen, ist Norm und wird lediglich ritualisiert. Sexueller Mißbrauch und die Drohung damit sind als ständiger Terror im Leben von Frauen präsent (offizielle Zahlen von jährlich 250.000 mißbrauchten Mädchen (können die auch „richtig sexuell gebraucht“ werden? d.sin) und 160.000 vom Ehemann vergewaltigten Frauen sind nur die Spitze des Eisbergs). Tatsache ist, daß weltweit Frauen rigiden Sexualpraktiken unterworfen sind und nicht öffentlich darüber sprechen - hier liegt das Tabu, geschweige jedweder deutlich gemachten Lust von Frauen, die sich gegen die Struktur Gewalt als Methode zur Erhaltung von Herrschaft stellt.
2. Weiterhin wird unter der Überschrift „Masochismus“ vorwiegend das Thema Hörigkeit und Unterwerfung abgehandelt. Dies geht auch aus zwei Interviews hervor, die wir mit zwei Frauen machten, die sich als Masochistinnen bekennen. Ein solcher Artikel sollte als verantwortungsvoll mit den Tatsachen umgehen und zugleich den Bezug zur gesellschaftlichen Situation nehmen.
3. Der 'Stern‘ jedoch hat auf verantwortunglose Weise die Aussagen zweier Frauen mit verallgemeinernden Floskeln zu einem Reißer verarbeitet. Daß dies nicht nur unsere Meinung ist, zeigt unsere Umfrage (30.3., Hamburg, Mönckebergstraße), wo fast alle, egal ob sie den Artikel ablehnten oder nicht, sich über diese Verallgemeinerungen empörten, ebenso wie unsere Unterschriftenlisten, die mittlerweile täglich zurückkommen, uns Rückmeldung geben.
4. Unser Kritikpunkt, daß Sina Geißler sich zur Masochistin entwickelte, da sie mit behutsamen Eltern geschlagen war, die ihr keine Ohrfeigen gaben, wurde ja erwähnt. Doch auch der zweite Punkt unserer Kritik, mit der wir uns speziell an Organisationen wendeten, die sich um Kinder oder mißhandelte Mädchen kümmern, fehlt - und zwar jener, wo die Vergewaltigung eines jungen Mädchen (gibt's auch alte Mädchen? Oder handelt es sich hierbei eher um eine junge Frau? d.sin) als „Eigenschuld„‘, da sie sich „in Szene gesetzt hatte“, dargestellt und zudem noch propagiert wird, da die zwar „gedemütigt, beschmutzt, zerrissen, aber überaus glücklich“ nach Hause ging.
Dieser Artikel ging weiter, als das schon „normal“ gewordene sexistische Titelblatt und weiter, als es im Rahmen eines verantwortlichen Journalismus erlaubt sein dürfte. Dies hat uns wohl die nötige Wut und damit Power gegeben, bis heute so aktiv zusammenzuarbeiten. Wir sind inzwischen ein eingetragener Verein mit dem Zweck, frauenfeindliche Berichterstattung in den Medien aufzudecken und die offene oder verdeckte Propagierung von Gewalt an Frauen in den Medien zu verhindern. Dies soll durch Öffentlichkeitsarbeit und Einflußnahme auf die Medien erreicht werden. Und dabei sind wir nun: Mit öffentlichen Aktionen, Presse, Radio, Umfrage in der Hamburger Innenstadt Mönckebergstraße, Unterschriftensammlung und Rundbriefen haben wir unseren Widerstand deutlich gemacht. Weitere Radiosendungen (zum Beispiel am 21.5. Radio St. Pauli) und eine Podiumsdiskussion zum Thema: Legitimierung der Frauenunterdrückung unter dem Deckmantel lustvoller Unterwerfung (voraussichtlicher Termin 30.5.90) sind in Vorbereitung.
Kontaktadresse: Klapperschlangen, Uta Segler, Holstenstr. 64, 2000 Hamburg 50, Spendenkonto: Bank für Gemeinwirtschaft BLZ 200 101 11, Konto-Nr. 123026 9300 (Klapperschlangen)
Man könnte ja fragen: „Was soll das?“ Aber ich will ja niemanden überstrapazieren. Aber Wahrheit sollte nun doch Wahrheit bleiben. Es hätte zwar allzugut ins Klischee und damit ausgezeichnet in den Artikel gepaßt, aber ich fühle mich so ganz und gar nicht vom bösen 'Stern‘ vermarktet und die Rolle der „koketten Naiven“ aus Angst vor Alice Schwarzer muß es ja auch nicht unbedingt sein.
Im übrigen war mir der Artikel von Frau Posche ('Stern‘) vor Abdruck bekannt und dadurch wenig dazu geeignet, mich ins Unglück zu stürtzen.
In einem Punkt möchte ich mich der Verfasserin des taz -Artikels ganz und gar anschließen: Es geht nicht nur um „den bösen 'Stern'“ oder eine „geistig verwirrte Zeitgeist -Verräterin“. Und so werde ich weiter bemüht sein, den Schaden reaktionärer Feminstinnen und eklatanter Frauenrecht(?)lerinnen wiedergutzumachen, die so wenig emanzipiert sind, daß sie gegen jegliche Abweichung ihrer selbstdogmatischen Norm mit Sprühdosen, militanten Sprüchen oder Gruppenbildung reagieren.
In der Tat: Von einer „freien Frauenexistenz“ sind wir weit entfernt.
Sina-Aline Geißler, Journalistin, Hamburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen