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Frühjahrputz in Frankreichs Kapitale

Stadtregierung und Polizei ließen die ersten besetzten Häuser räumen: 300 Menschen stehen nun auf der Straße Ein Hauch von „commune“ weht in Menilmontant / Seit 1986 haben sich in Paris die Mieten verdoppelt  ■  Aus Paris Alexander Smoltczyk

Es war nur eine kleine Barrikade: einige Müllcontainer, ein paar Matratzen, schnell zusammengestellt unter den Kastanien der kreisrunden Place de la Reunion. Aber immerhin: Noch können die Bewohner von Menilmontant, dem Handwerkerviertel im Pariser Osten, Barrikaden bauen. Wie früher. Und als vorgestern abend die CRS-Kräfte den Platz umzingelten, waren auch die alten Reflexe wieder da, wurden Lebensmittel über die Behelmten geworfen, Wasserflaschen hineingereicht. Ein wenig commune, ein wenig Resistance...

Am frühen Mittwoch morgen hatte Monsieur Fofana wie jeden Tag sein Haus in der Rue des Vignoles verlassen und war zur Arbeit gegangen. Als er nachmittags zurückkehrte, fand er sein Haus - zugemauert; und seine Familie verschwunden. „Irgendwo in einem Hotel“ seien die hochschwangere Madame Fofana und die sechs Kinder untergebracht, meinte der CRS -Offizier. Zu genaueren Angaben sei er „leider“ nicht befugt. „Tja, wer keine Miete zahlen will...“

Monsieur Fofana kommt aus Mali und hat wie 48 andere Familien fünf Jahre lang in dem Haus No67 in der Rue des Vignoles gewohnt. Die meisten von ihnen hatten das leerstehende Haus besetzt, nachdem irgendwelche „Kriminelle“ ihnen das Immigrantenhotel über dem Kopf angesteckt hatten. „Sie haben eine Aufenthaltsberechtigung und Arbeit. Natürlich wollen sie Miete zahlen - aber wer vermietet heutzutage an eine afrikanische Familie mit sechs Kindern?“ fragt sich Joelande Yotaverat, Leiterin der örtlichen Rot -Kreuz-Station. Und die strammrechte Verwaltung des 20. Pariser Arrondissements vergebe Sozialwohnungen ohnehin nur noch an Franzosen - weiße Franzosen.

„Wir sind rechtlich nicht verpflichtet, die Familien mehr als drei Tage unterzubringen“, erläutert der zuständige Herr aus der mairie. Es handele sich - „leider“ - um eine rein privatrechtliche Angelegenheit. Ein Gericht habe schon 1986 die Räumung zugelassen. Jetzt hat die Polizei grünes Licht bekommen, denn mittlerweile ist es Frühling geworden in Paris, und im Frühling wird - das ist Recht und Brauch in Frankreichs Hauptstadt geräumt. Am Mittwoch waren es zwei squats mit 300 Menschen, bald werden es mehr sein, denn über 100 Häuser sind zur Zeit besetzt.

„Das Viertel La Reunion ist ein Musterbeispiel für Chiracsche Luxussanierung“, meint Didier Heinze, Anwohner, Architekt und Seele des Stadtteilkomitees. Sein Büro liegt in einem der niedriggebauten Handwerkerhäuschen, die Menilmontant zum städtischen Dorf machen. „Die Stadt sucht sich einen Straßenblock aus, der mitten in einem der noch verbliebenen Pariser Armeleuteviertel liegt. Dann werden die Bewohner angehört. Wenn die nicht saniert werden wollen, wie hier im Viertel, ändert das allerdings auch nichts. Ein Kommissar erklärt das Gebiet dann zur „konzertierten Bebauungszone“.

Der gesamte Block soll nun abgerissen werden, einschließlich der „Jungfrau von La Reunion“, jenes Hauses gegenüber dem squat, wo einst - die Concierge erinnert sich noch - die große Simone Signoret den Goldhelm von Zola drehte. Das Perfide der Methode: Rings um den Sanierungsblock haben Spekulanten damit begonnen, Wohnungen und Häuser systematisch aufzukaufen, so daß aus dem Block plötzlich ein ganzer Stadtteil wird, der sein Gesicht verliert.

„Ich wohne seit 20 Jahren in Paris“, meint Michel, ein Maler um die Ecke. „Erst im Marais, bis dort die Mieten stiegen. Dann im Faubourg Saint Antoine, solange bis die Schickimickioper an der Bastille gebaut wurde. Jetzt geht es hier auch schon los.“ Auch wer ein Recht auf Umquartierung hat, wie Michel, hat damit noch keinen Anspruch auf die gleiche Miethöhe. Das Wohngeld endet nach anderthalb Jahren. Und die Mieten in der Hauptstadt haben sich seit 1986 verdoppelt.

Rings um die Place de la Reunion stehen immer noch die CRS, mit Tränengasgewehren und grauen Transportern. Hinter der Barrikade aus den Müllcontainern kampieren einige Punks, Aktivisten des Komitees und die geräumten Familien aus Mali. Den Frauen in Batikkleidern und mit Schönheitsnarben auf der Stirn gewährt die Republik einen Platz im Foyer der Sozialhilfe. Die Männer kommen zu den Clochards ins Foyer von Chevaleret. So hat alles seine Ordnung, und Paris ist wieder ein Stück weltstädtischer geworden. Aus den umliegenden Häusern schauen die Leute. „Das wird euch auch passieren, Leute! An die Pflastersteine!“ brüllt eine Frau im Wildledermantel, muß aber selbst über sich lachen. Und so einigt man sich auf einen anderen, zeitgemäßeren Slogan: „Holt das Fernsehen her...“ Wie gesagt, es war nur eine kleine Barrikade, vorgestern in Menilmontant.

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