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„Nie wieder zweite Liga, nie wieder...“

■ Ein Freudenmädchen macht Karriere: Hertha wird definitiv erstklassig / Auch die Finanzen stimmen: Durch die Grenzöffnung kommen DDR-Fans, die zudem bald mit harter Mark bezahlen können / Neues Fan-Projekt soll die Hooligan-Probleme in den Griff kriegen

West-Berlin. Ein Mädchen sollte es sein! Diesen Wunsch erfüllten sich einige wohl nicht mehr ganz nüchterne Herren während einer Dampferfahrt über die Spree an einem Sommertag im Jahre des Herrn 1892. Und legten sich eine holde Weiblichkeit in die Wiege, deren Lebenslauf manche Emanze vor Neid und moralische Herren vor Fassungslosigkeit erblassen lassen würde.

Diese Dame hat im ehrwürdigen Alter von jetzt 98 zwei Dinge erreicht, die ihr wohl niemand mehr zugetraut hatte. Zum einen Luis Trenker überlebt, zum anderen frech und frisch, ohne Krücken und Gebrechen den Eintritt in die erlauchte Gesellschaft der ersten Bundesliga geschafft. War die Tatsache, daß eine Frau beim Fußball mitmischt, schon damals revolutionär, so erst recht deren Verhalten. Nach unauffälliger Pubertät und stetigem Reifen erreichte sie im Alter von fast 40 das erste Ziel: zwei deutsche Meisterschaften.

Doch statt sich ruhig auf das Rentenleben vorzubereiten, beschloß sie, die miefige und spießige Fußballszene ordentlich aufzumischen, erzählte Märchen, verkaufte sich, kaufte selber und schmiß, als richtige, durchgedrehte Lebedame, die verdienten Millionen eimerweise zum Fenster raus. Sie schmierte, bestach und beschiß bis zum Umfallen und verschuldete sich so derbe, daß mit dem Fall in die Amateurklasse auch der Sprung in die Kiste, die hölzerne, wg. ausgegangener Lebenslichter drohte.

Dann erst ließ sie die Finger von allen bösen Geldgeschäften und hüpfte jetzt völlig überraschend aus dem Sarg zurück in den großen Bolzzirkus. Na, immer noch keine Ahnung, wer sie ist? Letzter Tip: Sie mußte ertragen, nach ihrem Geburtsdampfer getauft zu werden, und bekam sogar dessen Farben aufgedrückt. Richtig, stimmt, genau: Ha-Ho-He, HERTHA BSC.

Sicherlich stellt sich der interessierte Leser oder gar die Leserin nun allerhand Fragen nach dem Wieso, Weshalb, Warum. Anläßlich der Feierlichkeit bieten wir heute die absolute, endgültige, messerscharfe und punktgenaue Analyse dieses Phänomens. Beginnen wir mit dem wichtigsten, natürlich den Finanzen. Vor fünf Jahren, Hertha war mit popeligen fünf Millionen verschuldet, trat endlich Wolfgang Holst ab, der den Verein 20 Jahre lang permanent ruiniert hatte. Ein älterer Geschäftsmann namens Heinz Roloff übernahm Präsidium und den Großteil der Schulden. Zwar ließ sich der peinliche Abgang in die Amateurklasse nicht mehr vermeiden, aber immerhin wurde der Verein finanziell saniert.

Mit dem Wiedererreichen der zweiten Liga kam die nächste sensationelle Neuerung: ein hauptberuflicher Manager übernahm die Geschäfte des Vereins. Horst Wolter heißt er, Ex-Nationaltorwart, fischte sogar einst für Hertha die Bälle aus dem Netz. Seine erste Glanztat: Er gründete nach Braunschweiger Vorbild einen „Klub 100“, in den Sponsoren mit mindestens 10.000 Mark eintreten konnten. Dann bog er das unterkühlte Verhältnis zum Deutschen Fußball-Bund wieder hin.

Langsam zeigten auch die Wirtschaftsbosse Interesse: Die „Klub 100„-Mitglieder vermehrten sich, und schließlich fand sich ein schwäbischer Fabrikant, die Berliner für 800.000 Mark jährlich als Werbeträger zu kaufen. Vorher spielten die Herthaner noch mit dem Bär auf der Brust.

Nun aber flattern die DM-Scheinchen zuhauf nach Charlottenburg. Zwei Spiele wurden verkauft, schon zur Saisonhälfte zählte man 300.000 Mark Gewinn. Der Zuschauerschnitt ist auf über 13.000 gestiegen, gegen Wattenscheid und Union war das Olympiastadion sogar fast voll. Finanziell so gesund wie lange nicht mehr, beträgt der Etat der Hertha für die Bundesliga 7,5 Millionen Mark. Ein Teil davon soll für neue Spieler ausgegeben werden.

Ebenso vorsichtig kalkulieren die Herthaner die kommenden Besucherzahlen, die mit 18.000 kaum höher veranschlagt werden als bisher, obwohl Hertha bisher in der ersten Liga vor durchschnittlich 55.000 Fans spielte. Eine feste Größe werden zudem die zahlreichen und schwer begeisterten Hertha -Fans aus dem Ostteil Berlins. Nur noch wenige werden sich zu Spielen wie FC Berlin gegen Bischofswerder verlaufen, wenn ein paar Straßen weiter Bayern München, Werder Bremen oder gar St. Pauli Hamburg spielt.

Doch nicht nur im finanziellen Bereich wird Bescheidenheit geübt, auch im sportlichen. Fast die gleiche Mannschaft, die letztes Jahr mit Hängen und Würgen den Klassenerhalt schaffte, hüpfte jetzt locker in die Oberklasse. Dabei hatten die Herthaner - unüblicherweise - billig eingekauft oder eigene Jugendspieler aufgebaut. Entscheidend verantwortlich dafür ist seit Oktober 88 Trainer Werner Fuchs. Der größte Teil der Mannschaft besteht heute aus jungen Männern, denen man zum Aufstieg den ersten Rasierapparat schenken sollte.

Gestützt wird Hertha allerdings von einigen Fußball-Opas. Es beginnt ganz hinten mit Ex-Bayer Walter Junghans, 31, (und noch mal der Sepp-Maier-Witz aus Walterchens Lehrzeit: „Bei mir wird der Junghans zum Althans“), früher als Fliegenfänger verspottet, jetzt in 12 von 15 Spielen der Rückrunde ohne Gegentor.

Der Jurist Dirk Greiser sorgt als Libero für Recht und Ordnung, tretkräftig unterstützt vom Norweger Jan Halvorsen, der mit Bremens Bratseth in der Nationalmannschaft kickt. Als Kopf des ganzen Spiels erlebt Wolfgang Patzke einen zweiten Frühling, Rackerer Theo Gries schießt auch mit ausgerenktem Arm Tore, und der Kindergarten im Angriff, Fred „vom Jupiter“, Klaus und Axel Kruse (geschmacklos als K.u.K. -Sturm bezeichnet) hat in zehn Spielen 14mal getroffen.

Daß der Erfolg so schnell kam und woher, „weiß keiner so genau“, wundert sich der Manager, „eigentlich wollten wir erst zum Hundertsten aufsteigen“. Jetzt gilt es erst einmal, die Klasse zu halten, zur Verstärkung sind erfahrene Spieler wie Schlegel und Wegmann im Gespräch, müssen aber in die Stimmung der Mannschaft passen, die so gut ist, daß sie sogar gemeinsam Urlaub machen wollen.

Ein großer Makel bleibt aber. Die Hertha-Frösche gehören zu den berüchtigten Fans im deutschen Fußball, rechtsradikale und nazistische Schreiereien sind bei jedem Hertha-Spiel zu hören. Um diese üblen Zustände zu beenden, ist ein neues Fan -Projekt vom Berliner Senat ins Leben gerufen worden, an dem sich die Herthaner mit 50.000 Mark pro Jahr beteiligen wollen. Also, schaun mer mal.

Schmiernik

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