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Farnwedel und Chaos: Die Simulation der Welt

■ Prof. Mandelbrot, Schöpfer der Fraktalen Geometrie, eröffnet Chaos-Woche im KITO

Manches Mal hüpft der feiste Bauch, ein helles Glucksen und Schniefen entfährt ihm: Dann ist Benoit Mandelbrot nicht nur still und sowieso, sondern über die Maßen vergnügt, der dicke alte Bub und Mathe-Tüftler. Von seinem liebsten Tun, dem Umwälzen der Wissenschaft, hat er sich ein wenig beurlaubt, dem zweitliebsten zuliebe: sein liebstes Tun den Leuten zu erklären. Nun also, montags, im Alten Packhaus zu Vegesack, wohin er eigens geflogen kam, die Chaos-Woche des KITO zu eröffnen.

Mandelbrot, der eine Geome trie für alles und das Chaos geschaffen hat, Mandelbrot, der Berühmte: sonst, wenn er den Mund auftut, schreibt artig die Weltpresse mit, in Bremen aber, wenn er ein Gespräch gewährt, schickt der Weser-Kurier die Kollegin vom Vegesacker Beilege-Blättchen. Sonst kommt niemand.

Dem Forscher Mandelbrot ist solches nicht neu, er läßt ein, zwei Krabbenschnittchen hinter seinem Lächeln verschwinden und erzählt von der naturgemäßen Schönheit der Bilder, die von der Computergraphik hergestellt werden können, im Falle diese chaostheoretisch gerüstet ist. Um ihn herum hängen solche Bilder, erlesene Ornamente, spiralige, gewundene Strukturen; bildgewordene Formeln sind es aus seiner, der Fraktalen Geometrie. In München, erzählt er und gluckst schon vorauseilend, da hatte er mal eine lecture, mit Bildern, und hinterher stand in der Zeitung: ach, diese Bilder, sehr schön, aber keine Kunst. Was denn, fragt er sich nun, in diesem Lande Germany unter Kunst sonst verstanden werden müsse?

Dabei haben, sagt er, wie die Natur so auch die Kunst schon immer gemacht, was nun theoretisch beschrieben werden kann, nämlich fraktale Werke haben sie geschaffen, Natur und Kunst. Barocke cathedrals und Wolken aller Art, Farnwedel und die Sonatenhauptsatzform, ja die Musik überhaupt, alles ist ihm Beispiel für die Großstruktur, die sich selber im Kleinen enthält, sich in Variation wiederholt oder, wie die Chaostheorie besagt, selbstähnlich eingebettet ist. Seine Geome trie stellt nur, sagt er, neue Mittel bereit, Mittel der Beschreibung und der Darstellung, eine technology der Natürlichkeit.

Während er noch plaudert, überfüllt sich schon der KITO -Boden, Publikum quillt von unten her aus der Luke; und bald müssen ich und die Weltpresse einpacken, weil Mandelbrot nun, die Dias sortieren muß für seinen Vortrag.

Eines der ersten Bilder zeigt ein Gebäude: glatter Kubus, Rechteckslöcher, mit Zirkel und Lineal zu konstruieren. Solches, sagt Mandelbrot, solches kann die euklidische Schulgeometrie konstruieren. Der Projektor klickt, und dann sehen wir ein himmel

hohes Gebirgsmassiv, von Klüften zersägt und lichtumglänzt, Wolken kumulieren am Firmament und werfen weiche Schatten; allein es sind nicht die Alpen, sondern es war ein Graphik -Computer, den man angewiesen hat, ein paar recht einfache Formeln

der neuen, der Fraktalen Geometrie darzustellen.

Diese, weil sie der wirklichen Welt nah sind, können eine zweite, visuelle Welt erzeugen, die von der ersten kaum mehr zu unterscheiden sein wird. Wir sehen Bilder von strahlender Ästhetik, nur wie poliert, wie eigens gereinigt muten sie noch an. Man wird sie, falls erwünscht, bald auch aufrauhen können.

Ein Dia zeigt den platten, metallenen Rücken eines monströsen Insekts. This beast, Mandelbrot kichert, es war nicht geplant, just a failure in the program. So ist das, sagt er, die Bilder der Formeln, sie verblüffen oft, sie enthüllen Unvermutetes. Ohne sie gäbe es die Fraktale Geometrie gar nicht - sie, die wiederum die Bilder erzeugt. Er, Mandelbrot, fragt er, was tut er schon, als Mathematiker? Erfinden tut er nicht, er entdeckt.

Wir sehen Fotografien einer mathematischen Landschaft, einer reinen, visuellen Welt, der Letzten Welt des Abenteuers und des Geheimnisses. Wir sehen sie nur, wenn in der Ersten Welt alles mit rechten Dingen zugeht. Wenn nicht, wie immerzu im KITO, der Diaprojektor klemmt.

scha

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