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Dieses vampirische Zwischenleben

■ Ein Gespräch mit Elfriede Jelinek über Theater und alles andere Zur österreichischen Erstaufführung von „Krankheit oder Moderne Frauen“

Drei Jahre nach der Uraufführung in Bonn erlebte dieses Stück im Wiener Volkstheater seine österreichische Erstaufführung. Abgesehen von einer Inszenierung der „Clara S.“ im Schauspielhaus ist dies der erste Versuch eines großen österreichischen Theaters, sich einem Stück Jelineks zu nähern.

Mit einem Schauspiel, in dem eine Hausfrau bei der Geburt ihres sechsten Kindes stirbt, anschließend von einem Facharzt für Kiefer- und Frauenheilkunde ausgeweidet, daraufhin von einer Krankenschwester, die Verlobte des Arztes, Vampir und Schriftstellerin ist, ausgesaugt und in eine lesbische Beziehung entführt wird, bis die beiden Frauen am Ende von ihren Männern gejagt und abgeknallt werden - mit einem solchen Stück, das noch dazu nicht als Geschichte abläuft, sondern sich als artifizielle Sprachmaschine erweist, wollte Emmy Werner die Abonnenten nicht vor den Kopf stoßen. So stellte sie „Krankheit oder Moderne Frauen“ ins Gehege „Volkstheater frontal“, wo eine Aufführung außerhalb der Abonnements sein Publikum finden muß.

Die Inszenierung wurde von dem aus der DDR stammenden, zuletzt in Zürich, Köln und Bonn arbeitenden Piet Drescher besorgt. Die Dialektik von Komplexität und Leichtigkeit nämlich daß Jelinek ihre Figuren einerseits um ihr Leben reden läßt, und andererseits fordert, daß die Schauspieler die artifiziellen Texte mit einer Leichtigkeit sprechen sollen, als läsen sie nebenbei aus einer Zeitung vor - bekam Piet Drescher und sein Ensemble nur teilweise in den Griff. Trotzdem war der Schlußapplaus am Erstaufführungsabend für Gertrud Roll als Krankenschwester, Cornelia Lippert als Hausfrau, Johannes Terne als Arzt und Roger Murbach als Ehemann durchaus verdient.

D.E.

Dieter Bandhauer: Sie haben angeblich einmal gesagt, daß Sie das Theater nicht lieben. Dies müßte aber nicht bedeuten, daß es Ihnen gleichgültig ist. Interesssieren Sie sich für die Wiener Theaterszene?

Elfriede Jelinek: Ich muß gestehen, überhaupt nicht. Ich glaube, ich war seit Jahren nicht mehr im Theater. Im Fernsehen habe ich den „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard gesehen und auch „Ritter, Dene, Voss“, das mir sehr gut gefallen hat. Es war wirklich toll.

Ich war sehr überrascht, als Peter Handke in einem Radiointerview gesagt hat, daß er nie eine Aufführung des „Heldenplatzes“ im Burgtheater gesehen hat. Wie erklären Sie sich diese Gleichgültigkeit von Autoren, die selbst fürs Theater schreiben, dieser Institution gegenüber?

Bei mir ist es so, daß ich immer, selbst wenn es gut gemacht ist, wahnsinning enttäuscht bin von dem, was ich dann auf der Bühne sehe. Ich habe bewußt immer Stücke geschrieben, die sich nicht an die Theaterpraxis richten. Ich gehöre ja nicht zu den Autoren wie zum Beispiel Botho Strauß, die das Theater wirklich bedienen können, weil sie es kennen. Ich habe mir bewußt diese Theaterferne erhalten, weil ich mir gedacht habe, man kann nur frei arbeiten, wenn man sich nicht an irgendwelche Bühnenzwänge oder Bühnenwirksamkeiten hält. Aber das führt natürlich dazu, daß es einen zwar befriedigt, die Stücke zu schreiben, aber daß man im Grunde nicht wahnsinnig scharf darauf ist, sie auch zu sehen.

Sie sind also an der Produktion Ihres Stücks „Krankheit oder Moderne Frauen“ im Wiener Volkstheater in keinster Weise beteiligt?

Nein, Piet Drescher ist ein sehr netter Regisseur, der mich auch eingeladen hat, zu den Proben zu kommen; im Gegensatz zu den meisten anderen Regisseuren, die ich kenne, die einen mit nassen Fetzen rausjagen, wenn man es auch nur wagen würde, sich in einer so frühen Probenphase etwas anschauen zu wollen. Aber ich fürchte, ich bin irgendwie verdorben dafür. Und ich meine auch, daß die Regisseure diese Kreativität haben sollen, daraus etwas Eigenes zu machen. Und wenn mich überhaupt noch etwas daran interessiert, dann das, daß sie womöglich etwas ganz anderes daraus gemacht haben als das, was man sich vorgestellt hat.

Bei ihren Stücken ist es fast unerläßlich, sie dramaturgisch zu bearbeiten. Sie sind erstens, sehr lang...

...Vor allem sind sie so sprach-, so wortintensiv. Die Leute reden ja buchstäblich um ihr Leben. Es ist, glaube ich, das größte Manko meiner Stücke, daß einfach so viel geredet wird. Die Figuren existieren ja faktisch nur durch das, was sie über sich aussagen, und haben eigentlich sonst kein Leben. Das ist für Schauspieler oft ein Problem, weil die natürlich erstens sich selbst einbringen wollen, und zweitens auch psychologisch irgendetwas schaffen wollen. Meine Figuren aber sind, so lang sie reden, und wenn sie nicht mehr reden, sind sie wie ein Heißluftballon, dem die Luft ausgeht, sie verschwinden oder schnurren zusammen.

Haben Sie nicht genaue Vorstellungen, wir Ihre Texte gesprochen werden sollen?

Sie sollten meistens eigentlich - im Gegensatz zu ihrer sehr starken Künstlichkeit - eher leicht gesprochen werden, wie Heiner Müller das ja auch will. Ich finde schon, daß ich mit Heiner Müller eine gewisse Ähnlichkeit habe. Leicht bedeutet: als ob man jemanden einen Zeitungsartikel so ganz nebenbei vorliest. So stell ich mir das vor, aber so wird das nur selten gemacht, nach meiner Erfahrung.

Am Theater ist ohnehin die Sprache das Wichtigste.

Finden Sie? Das finden aber nur wenige. Ich habe manchmal das Gefühl, daß die Sprache des Autors die Regisseure am wenigsten interessiert. Hans Hollmann, der zwei Stücke von mir uraufgeführt hat, ist da eine Ausnahme. Er ist ein Sprachregisseur, der ein Gefühl für die Künstlichkeit meiner Sprache hat und für die Marionetten- oder Schablonenhaftigkeit meiner Figuren. Er ist wahrscheinlich ähnlich unmenschlich wie ich, und daher passen wir ganz gut zusammen. Aber ansonsten habe ich eher den Eindruck, daß die meisten Regisseure eine Psychologie um jeden Preis aus den Sachen herausmelken wollen. Ich will nicht sagen, daß meine Sachen frei sind davon, aber es ist nicht wichtig.

Hat es mit Peymann oder mit der Burgtheaterdirektion einmal Gespräche über eine mögliche Aufführung Ihrer Stücke am Burgtheater gegeben?

Nein, niemals.

Wäre es für Sie nicht interessant, wenn sich ein Regisseur und Theaterdirektor um Ihr Werk ähnlich bemühte, wie dies Claus Peymann mit Thomas Bernhard gemacht hat?

Gewiß. Ich würde mich vielleicht dagegen wehren, wenn es dann irgendein Regisseur wäre, von dem man nur schlechte Sachen gesehen hat. Ich würde mich schon informieren. Ich habe - eben weil ich nicht ins Theater gehe - einige Leute, denen ich in Aufführungsangelegenheiten sehr vertraue. Das ist schon ähnlich wie bei Brecht, der immer mit Thomas Mann über dessen Romane gestritten hat, die er aus den Kurzfassungen kannte, die ihm Hanns Eisler unterwegs zu Mann schnell erzählt hat. So ungefähr ist mein Verhältnis zu den Regisseuren. Aber gegen einen guten Regisseur würde ich mich natürlich niemals wehren.

Und vom Volkstheater aus gibt es keine Absicht, mehrere Stücke von Ihnen zu spielen?

Wir haben nicht darüber gesprochen. Das ist jedenfalls das erste. Es ist eigentlich in Wien - bis auf diese kleine Aufführung von „Clara S.“ in Hans Gratzers Schauspielhaus nie etwas von mir gespielt worden. Bei „Burgtheater“ ist das auch klar. Ich weiß, daß man das nicht spielen kann, das ist ein Sonderfall.

Haben Sie „Burgtheater“ mit dem dezenten Hinweis - nämlich daß die Rolle des Burgtheaterzwerges, am besten von Fritz Hackl selbst gespielt werden soll - ans Burgtheater gefesselt?

Ja, „Burgtheater“ darf in Österreich nur am Burgtheater oder überhaupt nicht gespielt werden. Aber in absehbarer Zeit ist daran nicht zu denken. Ich habe mir da nie Illusionen gemacht, und ich glaube die Situation hier richtig einschätzen zu können. Selbst in diesem entfernten Provinznest Bonn hat die Uraufführung des Stücks ein Getöse verursacht. Das hat mich dann doch erstaunt, weil Bonn doch weit weg von Wien ist. Es geht in dem Stück auch um ganz andere Dinge als um die, an denen man es dann aufgehängt hat. „Burgtheater“ kommt literarisch aus einer sehr österreichischen Tradition, die von Raimund und Nestroy bis Konrad Bayer reicht. Ich würde sagen, daß es mehr mit „Kasperl am elektrischen Stuhl“ zu tun hat als mit irgendwelchen politischen Agitationsstücken - gerade das ist eigentlich mein abstraktestes Stück. Es ist kein Schlüssellochdrama. Das hätte ich dann wirklich anders geschrieben. Das wäre vielleicht eine Sache für Heiner Kipphardt oder für Rolf Hochhuth.

Es gibt in Ihren Stücken immer Bezüge zu literarischen oder historischen Figuren. Im Stück „Krankheit oder Moderne Frauen“ aber erscheint mir die Beziehung zu Emily Brontes Roman „Sturmhöhe“ eigentlich nur angedeutet?

Ja, es ist ein Zitat, mehr ist es nicht. Es ist eine Hommage an Emily Bronte, die ja unter ganz besonderer Lebensverleugnung gelebt hat, die eine unglaublich sinnliche und vitale Literatur geschrieben hat unter fast völligem Lebensverzicht. Dies scheint mir stellvertretend für viele weibliche Künstler, nicht nur ihrer Generation. Aber eine mußte ich halt nehmen, und bei ihr ist diese Diskrepanz zwischen Nicht-leben-Wollen und einem Leben, schon seit frühester Kindheit, in einer vollkommenen Phantasiewelt vorhanden. Das erscheint mir eben - deswegen habe ich auch diese kleine Zitat von Eva Meyer dem Stück vorangestellt eine Metapher für die weibliche Existenz zu sein: dieses Nicht-ganz-da- und Nicht-ganz-weg-Sein, dieses vampirische Zwischenleben; die Krankheit - ich bin krank, daher bin ich, oder ich bin krank, daher geht es mir gut - als Kreativität der Frau, die eben keinen anderen Ort hat, wo sie Subjekt sein kann. Deswegen also Emily als kleines Zitat und ihr Verlobter Dr.Heidkliff noch dazu, der natürlich eine Karikatur des Heathcliff ist.

Bevor ich an „Krankheit“ zu schreiben begonnen habe, hatte ich lediglich die Idee, einen Vampir als Krankenschwester arbeiten zu lassen, da eine Krankenschwester jederzeit an Blut herankommen kann. Als ich damals Christa Wolf erzählte, daß ich aus diesem Stoff eine heitere und unproblematische Komödie machen wolle, hat sie das aber überhaupt nicht heiter und unproblematisch gefunden. Christa Wolf ist ein guter und mitleidiger Mensch. Ein Vampir als Krankenschwester hat ihr irgendwie widerstrebt. Aber in der DDR war das Leben wahrscheinlich etwas geruhsamer, da war schon ein Vampir als Krankenschwester ein Monster, eine Monströsität.

Haben Sie bezüglich der Volkstheateraufführung vor voreiligen Aktualisierungen Angst? Man könnte Ihr Stück ja als Kommentar zu den Ereignissen im Krankenhaus Lainz vor zirka einem Jahr verstehen beziehungsweise mißverstehen.

Ich bin das bereits gefragt worden, als das damals in Lainz passiert ist. Ich selbst hätte daran gar nicht gedacht, weil mir das so logisch, auf schrecklichste Weise logisch erscheint, was dort passiert ist. Weil man sieht die latente, entsetzliche Gewalttätigkeit der Gesellschaft ja immer nur so, wie bei einem Dampfdruckkochtopf der Dampf durchs Ventil herauszischt.

Deswegen interessierte ich mich ja für Kriminalromane. Und auch in meinen Arbeiten stirbt immer irgend jemand oder wird umgebracht. Mich beschäftigt diese Konzentration von Abhängigkeits- und Machtverhältnissen, die sich einfach gewalttätig entladen müssen. Und da ich meine Sachen immer auf die Spitze treibe, kommt es natürlich dann zu solchen Übereinstimmungen.

Sie haben das Ihrem Stück vorangestellte Zitat von Eva Meyer bereits erwähnt, in dem es heißt, daß das Verschwinden der Frauen nie vollkommen ist. Georges Bataille wiederum hat einmal geschrieben: „Sich fortpflanzen heißt verschwinden.“ Was sagen Sie zu diesem Satz im Verhältnis zu dem von Eva Meyer?

Bataille hat in seinem erotischen Werk die Frauen sehr wohl zu Subjekten ihrer selbst und ihrer Lust vor allem gemacht. Aber in meinen Augen sind das eben keine Frauen. In meinen Augen sind das männliche Projektionen. Deswegen hat es mich, bevor ich „Lust“ geschrieben habe, sehr gereizt, dieser Fiktion des Weiblichen etwas entgegenzustellen. Dieser Satz von Bataille ist ein kurzes Zitat, das vieles bedeuten kann: Es kann ein allgemeiner Pessimismus sein, daß man sowieso schon verloren ist, bevor man überhaupt geboren ist. Aber es kann auch diese Angst vor der Frau sein, die im Grunde bei Bataille natürlich vorhanden ist in dieser übersteigerten erotischen Obsession zur eigenen Mutter - also hier ist wieder der Kreis, der sich schließt - in dieser Obsession, die Mutter zu töten und dann noch die tote Mutter zu vögeln. Das kommt ja immer wieder bei ihm vor. In der Psychoanalyse bei Lacan hat er diese Vorstellungen nicht nur herausgelassen, sondern sich offenbar obsessiv damit beschäftigt. Also das gleichzeitige Kommen und Verschwinden, Kommen und Verschwinden, im Grunde wieder die Metapher des Vampirs. Aber ich habe damit eher gemeint, daß Frauen nie ganz da sind und nie ganz fort sind, daß sie keinen Ort haben zum Existieren und sich nicht selbst zum Subjekt machen können. Und besonders dieser männlichen Ordnungsmacht unterliegen, die das aus ihnen macht, was sie eben sind. Und dann flüchten sie davor in ein Zwischenreich - in „Krankheit“ groteskerweise eben in die Damentoilette, wo dieses lächerliche Tabu besteht, daß die Männer nicht die Tür eintreten und hineingehen und den Frauen den Pflock ins Herz stoßen, sondern eben warten, bis sie wieder herauskommen, und sie dann wie einen Wehrwolf mit der geweihten silbernen Kugel erschießen.

Warum werden am Schluß die Männer dann auch Vampire?

Das werden sie nicht. Sie sind Jäger, die mit ihren Hunden unterwegs sind. Sie beginnen zu bellen, aber deswegen sind sie keine Vampire.

Sie saugen aber den beiden erschossenen Frauen das Blut aus.

Ja, ganz am Schluß, nachdem sie ihre eigene Existenzgrundlage vernichtet haben, indem sie die Frauen konsequent auf ihre Biologie fixiert und ihnen die Teilhaberschaft an der Macht verweigert haben. Wenn nämlich die Frauen ausgerottet sind, wird für die Männer auch nichts mehr übrig bleiben.

Benno Hundekoffer, Carmillas Mann, meldet einmal den Wunsch an: „Ich will eine winzige Kleinigkeit noch: Bitte gebären können.“

Das ist das Einzige, was sie nicht können, was sie aber auch bald erreicht haben. Seit ich das Stück geschrieben habe, hat ja die Gentechnologie große Fortschritte gemacht. Wenn sie die Frauen dann in ihrer Funktion, auf die sie sie bisher fixiert haben - die einzige gesellschaftlich sanktionierte Erscheinungsform der Frau ist nämlich letztlich die Mutter; das ist nicht die Künstlerin, nicht die Helferin, die Krankenschwester, es ist die Mutter - also wenn sie die Frauen als Mütter mit einem medizinisch -biologischen Akt abschaffen, dann werden sie uns vielleicht ausrotten. Sie haben es ja auch immer wieder versucht im Lauf der Geschichte. Zumindest werden wir irgendwie einfach nicht mehr nötig sein. Ich habe einmal vor Jahren ein Science-fiction-Hörspiel mit dem Titel „Die Bienenkönige“ geschrieben, das sich mit dieser Utopie und deren Konsequenzen beschäftigt. Jetzt können sie endlich Leben schaffen, jetzt haben sie's erreicht, jetzt sind sie nicht nur ein bißchen beteiligt daran.

Es gibt in der Frauenbewegung, in der Frauenforschung eine Diskussion bezüglich des Begriffs der Täterin; daß die Frau nicht immer nur auf die Rolle des Opfers fixiert werden soll, sondern gewissermaßen ein Anrecht hat, Täterin zu sein. Ich würde gerne wissen, was Sie von dieser Diskussion halten. Ich habe nämlich den Eindruck, daß Sie in Ihrem Stück „Moderne Frauen“ auf eine sehr schöne Weise diese Ambivalenz von Täterin und Opfer thematisiert, und ich würde auch sagen, gelöst haben.

Nun ja, die Täterin bei mir, die Mutter, die ihre eigenen Kinder verschlingt, also im Grunde die Medea, verhält sich bei mir nicht mehr so, um einen Mann zu halten oder zu bestrafen, sondern ist eben wirklich plötzlich ein autonomes, wenn auch nicht ganz lebendiges, so doch autonom gewordenes Geschöpf. Diese Täterschaft hat ja eine Vorgeschichte. Gezeigt wird nur der Endpunkt einer Entwicklung, nämlich der konsequente Ausschluß der Frauen von der Macht. Denn wenn Frauen heute Macht haben, dann sind das absolute Einzelerscheinungen. Es ist gerade umgekehrt wie in der Pornographie. Wenn in der Pornographie Männer gequält werden, dann bleiben sie dabei Individuen und sind eben einzelne, die sehr genau und sehr bewußt dabei vorgehen und sich, durch Verträge abgesichert, einer Frau unterwerfen. Während die Frauen in der Pornographie suggerieren, daß alle Frauen faktisch eine einzige sind, die dazu da ist, gedemütigt und geschlagen zu werden und nur dadurch Lust empfinden kann. Umgekehrt ist es eben in der Machtfrage, wo die Männer einfach als Vertreter der Macht Macht haben, auch wenn sie jetzt im einzelnen vielleicht keine haben; während die Frauen alle machtlos sind und wenn eine einmal Macht hat, ist das ein Einzelfall.

Die von Ihnen angesprochene Figur der Medea ist ja derzeit auf den Wiener Bühnen in verschiedenen männlichen Interpretationen anzutreffen (von Grillparzer im Volkstheater und Hans Henny Jahnn im Burgtheater). In „Moderne Frauen“ taucht sie als Zitat auf, wenn Benno Hundekoffer zu seiner Frau Carmilla sagt: „Eine Medea wirst du trotzdem nicht!“

Ja, ja, das ist einer meiner Lieblingssätze, übrigens auch einer von Eva Meyer. „Eine Medea wirst du trotzdem nicht. Du bist und bleibst eine Hausfrau.“ Das große Schicksal ist für Frauen eben nicht vorgesehen. Die Reste in der griechischen Mythologie, wo sie das große Schicksal noch bekommt, sind matriarchale Reste.

In „Moderne Frauen“ begehen die beiden Frauenfiguren eine ganze Reihe von Untaten. Die Taten scheinen aber nicht einem unmittelbaren Zweck zu unterliegen, im Unterschied zu denen der Männer, die - in ihrer Gewalttätigkeit - ganz zweckrational eingestellt sind; denn diese wollen eigentlich nur wieder die Gesellschaft in Ordnung bringen. Und das scheint mir auch ein wesentlicher Bezug zu Bronte zu sein, zumindest in der Intrerpretation von Bataille, nämlich daß im Roman „Sturmhöhe“ das Böse thematisiert wird - das Böse, das sich nicht so einfach in einen moralischen Diskurs einbinden läßt.

Ja, das Böse als ein anarchisches Prinzip, also ein die Ordnungswelt sprengendes. Im Grunde wäre das Böse dann weiblich, denn die Ordnungswelt ist männlich. Also die Welt des Fleißes und der Industrie, der hierarchischen Ordnung, der Sauberkeit, der analsadistischen Tugenden, das ist eine männliche Welt. In diesem Sinn ist es folgerichtig - obwohl natürlich Männer viel häufiger Täter werden als Frauen und vor allem an den Frauen zu Tätern werden - das Böse schlechthin als eine weibliche Kraft zu verstehen. Nur ist die wirkliche Kraft, das Potential der Frauen immer eingedämmt worden, und vielleicht haben die Männer auch geahnt, was - auch an sexueller Potenz - bei den Frauen vorhanden ist. Also das Böse als anarchische Kraft finde ich nicht von ungefähr in meinem Stück gut durch Frauen vertreten.

Karl-Heinz Bohrer hat in einem Essay geschrieben, daß in der österreichischen Literatur der fünfziger bis siebziger Jahre - in „sprechender Differenz“ zur deutschen, die vom „Syndrom des gesellschaftlich Guten“ geprägt ist - das Böse durchaus thematisiert wird. Als Repräsentanten dieser Literatur nannte er Oswald Wiener, Thomas Bernhard und Sie. Fühlen Sie sich tatsächlich mit Thomas Bernhard verwandt?

Ohne jeden Zweifel.

In Ihrem Stück „Clara S.“ haben Sie Zitate aus Ria Endres kritischem Bernhard-Buch „Am Ende angekommen“ verwendet. Haben Sie damit nicht auch die kritische beziehungsweise negative Haltung der Autorin Thomas Bernhard gegenüber übernommen?

Nein, überhaupt nicht. Nur weil ich eine Autorin in ihren Ansätzen zitiert habe, heißt das nicht, daß ich eine Gegnerin von Thomas Bernhard bin. Ganz im Gegenteil - ich meine nur, daß es interessant ist, sich aus feministischer Sicht mit den dunklen Wahngebilden des Thomas Bernhard auseinanderzusetzen, mit den riesigen Kegeln, die im Wald entstehen, mit diesen wahnwitzigen Junggesellenmaschinen. Die ganze Sprache des Thomas Bernhard ist eine einzige Junggesellenmaschine. Also etwas, das läuft und läuft und eine sirenenhafte Faszination ausübt, einfach durch diese Perseveratorik, die ja ihre Spannung daraus bezieht, daß es zwar immer dasselbe ist, aber eben doch nicht immer dasselbe.

Und abgesehen davon, daß uns die Musikausbildung und daher eine gewisse musikalische Strukturierung unseres Sprachmaterials verbindet, verbindet uns vielleicht auch der Moralismus. Nur, daß ich einen dezidierteren politischen Standort habe, während Bernhard nach dem Muster eines Räsoneurs eben gegen alles ist; was aber - das muß ich gestehen - je länger ich mir die Verhältnisse in diesem Land anschaue, umso mehr komme ich darauf, daß es hier sogar wirklich ein politischer Standpunkt ist, tatsächlich gegen alles zu sein. Eine Zeitlang habe ich mit Bernhard, obwohl ich ihn immer bewundert habe, auch gehadert wegen dieser Standpunktlosigkeit. Aber je mehr sich die Verhältnisse hier zuspitzen, oder sagen wir nicht zuspitzen, sie werden ja nicht schlimmer, aber sie treten klarer zu Tage, umso eher würde ich Bernhards Literatur als eine politische bezichnen. Auch Handke sagt im „Versuch über die Müdigkeit“, mit Österreich haben wir es mit dem einzig absolut unbelehrbaren Land zu tun. Also selbst Handke, ein Dichter des Positiven, verzweifelt hier wirklich.

Ist der Pessimismus, wie er in Ihrer Literatur und in diesem Gespräch zum Ausdruck kommt, derselbe? Oder könnte man sagen, daß er im Gespräch eher Ausdruck einer persönlichen Betroffenheit ist, während der Pessimismus in der Literatur ein kunstimmanenter ist?

Wenn man halbwegs intelligent ist, kann man nur pessimistisch sein. Die bedeutendsten Leute haben Aussprüche in der Weise getan, daß es das größte Unglück ist, überhaupt geboren zu werden.

Aber deswegen muß man ja nicht verbittert sein.

Haben Sie den Eindruck, daß ich es bin.

Nein.

Ich glaube, daß sich ein Mann in der Tat wenig Vorstellungen davon macht - selbst ein politisch oder auch feministisch sehr bewußter Mann -, was das bedeutet, plötzlich als Frau erkennen zu müssen, daß man von vornherein, was man auch tut, zu den Unterlegenen gehört. Das ist im Grunde schon eine verbitternde Sache, und bei mir hat sich diese Verbitterung oder dieses Erkennen des Unterlegenseins in einer aggressiven Literatur, also in einer Literatur, in der es immer wieder gewalttätige Ausbrüche gibt, niedergeschlagen; bei anderen halt mehr in Larmoyanz. Wobei ich mich wirklich frage, wieso eigentlich aus der Frauenliteratur nicht mehr das Blut herausspritzt. Es mußte auch einmal sein, daß eine Frau ein Stück über Blut schreibt - ich meine damit nicht, daß ich über die weibliche Biologie verbittert bin, das wäre lächerlich. Ich bin fern davon, die Frauen zu mythologisieren und einer Menstruationsmythologie zu unterliegen - aber es gibt schon diese Erdigkeit, dieses Am-Boden-festgenagelt-Sein der weiblichen Existenz und diese große Mühe, sich vom Boden abzuheben.

Ich möchte nochmals auf Thomas Bernhard zurückkommen und darauf, daß pessimistische Literatur und ein pessimistischer Charakter nicht dasselbe ist. Mir erscheint nämlich, daß sich Bernhards Werk gerade diesbezüglich im Laufe der Jahre verändert hat. Der Pessimismus blieb notwendiger Bestandteil seiner Kunst, aber er wurde spielerischer, lockerer in gewissem Sinne unpersönlicher. Und ich meine, daß dies auch mit dem Erfolg, den er gehabt hat, zusammenhängt - und den haben Sie ja auch.

Ich glaube, Erfolg ist schon sehr wichtig. Ich will das nicht leugnen, nur was Bernhard und mich in der Tat - jetzt, wo Sie's sagen, komme ich auch darauf - unterscheidet, ist die viel größere Souveränität von Bernhard, das ist dieses Sich-zum-Herrn-Machen. Über alles als seinen Gegenstand zu gebieten, das steht den Männern natürlich jederzeit frei, während man als Frau nicht einmal frei ist, sich einen Gegenstand zu wählen, weil man natürlich zwanghaft wie jedes Mitglied einer unterdrückten Gruppe erst einmal seine eigene Unterdrückung reflektieren muß. Und so ist es eine wahnsinnige Ungerechtigkeit und auch eine Einengung, daß Frauen eigentlich immer wieder manisch um ihren Zustand des Zurückgesetzt-Seins kreisen müssen, in allem, was sie machen. Vielleicht würde ich auch mit einer anderen Souveränität schreiben, wenn ich nicht immer diese Verpflichtung spüren würde; und die nimmt einem keiner ab, oder ich kann sie mir halt selbst nicht abnehmen. Vielleicht ist das aber eine Manie von mir.

Was meinen Sie mit Verpflichtung?

Eine Verpflichtung, jetzt für andere mitzuschreiben. Also nicht nur sich seinen Gegenstand zu suchen und souverän damit umzugehen, sondern den anderen, die sind wie man selbst, verpflichtet zu sein, und sich vor allem als eine von vielen zu betrachten.

Bataille zitiert in dem bereits vorhin angesprochenen Buch „Die Literatur und das Böse“ zustimmend folgenden Satz Jacques Blondels: „Daß diese Befreiung (und zwar von Moral und Gesellschaft) eine Notwendigkeit für jeden Künstler ist, läßt sich nicht bestreiten; sie kann von jenen intensiver erlebt werden, in denen die ethischen Werte am stärksten verankert sind.“ Würden Sie sagen, daß in Ihnen ethische Werte stark verankert sind?

Ja. Das ist natürlich oft störend. Im Grunde ist das auch wieder eine Verpflichtung zu einer moralischen Haltung beim Schreiben, über die sich andere vielleicht leichter hinwegsetzen können. Ich habe halt diesen Anspruch, etwas zur Verbesserung oder zur Emanzipation der Gesellschaft zu tun - auch wenn es dann immer in negativer Form ist, letztlich. Wenn ich schon keine positive Utopie liefern kann, so doch eine Analyse des Bestehenden.

Wenn man das Zitat Blondels interpretierend ergänzt zu: die Befreiung von männlicher Moral und Gesellschaft - dann könnte man den zweiten Teil des Satzes so verstehen: daß die Notwendigkeit zur Befreiung von jenen intensiver erlebt werden, in denen die männlichen Werte am stärksten verankert sind.

Sie meinen, das Ethos ist immer männlich?

Ich will darauf hinaus, daß die in Ihrer Literatur zum Ausdruck kommende kritische Haltung dem Männlichen gegenüber, bedeuten könnte, daß Sie die männlichen Prinzipien verstehen, wenn Sie diese nicht überhaupt verinnerlicht haben, damit Sie dagegen anschreiben können.

Das Letztere mag stimmen, aber ich würde nicht sagen, daß ich Männer verstehe - also überhaupt nicht. Die sind mir wirklich furchtbar fremd. Also ich kann mir nicht einmal männliche Sexualität vorstellen zum Beispiel. Das ist für mich das Fremde. Meinen Sie, daß die Anmaßung des Schreibens überhaupt, des Aktes der schöpferischen Produktion auf jeden Fall eine männliche Anmaßung ist? Freud hat ja zum Beispiel in seiner Kulturtheorie der Frau überhaupt die Möglichkeit und die Fähigkeit abgesprochen, einfach weil sie ein minder -schwaches Über-Ich hat und daher weniger zu Simulation fähig ist. Ich glaube, daß das Gegenteil der Fall ist, aber es scheint den Frauen keinen Zuwachs an Macht gebracht zu haben. Aber freudianisch argumentiert, müßte man sagen, daß ich mich, in dem ich schreibe, faktisch zum Mann gemacht habe - vielleicht kommt daraus meine Desorientierung, weil ich eigentlich ein Mann bin, aber nicht weiß, was ein Mann ist, und daher nicht weiß, was ich bin. Es wird wahrscheinlich ein Drittes sein, das man aus sich herauskatapultiert. Wahrscheinlich ist das das Schicksal derer, die an einem äußeren Punkt, an der Peripherie gefangen sind und gezwungen sind, aus großer Entfernung mit arrogantem Blick auf die Dinge zu schauen. So aber vielleicht klarer sehen als die, die sich fürs Leben entschlossen haben und die halt mitten im Leben stehen, wie man so schön sagt.

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