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Henker als Dissidenten getarnt

■ Vaclav Havels „Vanek-Trilogie“ in Darmstadt

Als letzten Herbst in Zürich die nicht sonderlich überzeugende Uraufführung von Vaclav Havels neuestem Stück „Sanierung“ über die Bühne ging - eine Persiflage auf das Nullsummenspiel stalinistischer Planwirtschaft - waren auch dem Stück Schwächen anzusehen (taz vom 2.10.). Dieser Eindruck verstärkt sich, sieht man heute die „Vanek -Trilogie“, die drei zusammenhängenden Einakter „Audienz“, „Vernissage“ und „Protest“, die der Staatspräsident und Dramatiker Mitte der 70er Jahre schrieb.

Denn siehe da, die „alte“ Trilogie wirkt wesentlich frischer als das jüngste Stück Havels, da er damals noch viel entschiedener den absurden Aspekt der psychischen Deformationen aufzeigte, die ein totalitäres Regime erzeugt: Anpassungsdruck treibt wahnwitzige Blüten in den Seelen der Angepaßten. Ein auch heute aktueller Befund, den der Demokratisierungsprozeß im Osten nicht aus der Welt geschafft hat. Im Gegenteil. Mit dem „Wendehals“ hat eine weitere Variante des immerwährenden Duckmäusertums die Bühne betreten. Im Zentrum der Trilogie steht Ferdinand Vanek, Havels aufrechter Intellektueller. Er sagt wenig und erreicht viel: Sein Schweigen läßt die anderen reden und sie rechtfertigen sich, als stünde ihnen ihr schlechtes Gewissen leibhaftig gegenüber. Durch ihr Arrangement sind sie in einen Teufelskreis geraten.

Selbst im intimsten Bereich stehen sie unter Rechtfertigungszwang, retten sich in Sprach-Schablonen und ritualisierte Handlungen. Dagegen steht Vanek. Er schreibt nicht, wie es die Machthaber gerne hätten, verdient nichts und muß in einer Brauerei Fässer schieben. Für seinen Chef, den trinkfesten Braumeister, ist er ein wortkarger aber bunter Vogel, der mit Schauspielerinnen und Karel Gott verkehrt. Das befreundete Ehepaar - ein in Darmstadt schrecklich-schön geschmackloses Gespann - versteht nicht, warum er sich zu solch niederer Arbeit hergibt, wäre insgeheim aber doch gerne wie er.

Am Ende kommt Vanek zu seinem erfolgreichen Schriftsteller -Kollegen Stanek, ein sich windender Möchtegern-Dissident. Eigentlich will er schon und im Verborgenen hat er sowieso schon immer - so ähnlich mag es Markus Wolf und Egon Krenz ergangen sein, den als Henkern getarnten Dissidenten. Havels Stücke haben eine psychologisch-naturalistische Grundtönung, in der sich Regisseure leicht verlieren können. Paul Adler hat in Darmstadt mutig auf den absurden Kern von Havels kreisenden Dialogen gezielt. Wenn Vanek auf den Braumeister trifft, hat man zuweilen gar den Eindruck, Becketts Wladimir und Estragon stünden unter ihrem Bäumchen.

Jürgen Berger

Vaclav Havel: „Vanek-Trilogie“. Staatstheater Darmstadt. Regie: Paul Adler. Nächste Aufführungen: 13., 15., 18., 22. u. 24. Mai.

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