Albaniens KP mit Reform auf Rettungskurs

■ UNO-Generalsekretär in Tirana / Justizreform und Reisepässe für Albaner / Interesse an diplomatischen Beziehungen zu USA

Berlin (taz) - Mit weitgehenden Reformen hatte die albanische Führung die Welt überrascht, zwei Tage bevor der UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar gestern in Tirana landete. Sicherlich wurden die Reformen nicht nur in Gang gesetzt, um das Klima für den hohen Besuch günstig zu gestalten. Denn es ist schon seit Monaten zu beobachten, daß Albanien aus den Negativschlagzeilen oder - was noch schlimmer ist - aus der Nichtbeachtung heraus will. Doch der Besuch stellt endlich die Gelegenheit dar, vor aller Welt zu dokumentieren, daß auch die albanischen Kommunisten die Zeichen der Zeit erkannt haben.

Die Kommunisten, die sich in den letzten Jahrzehnten mit ihrer puristischen, „antirevisionistischen“ Politik nicht nur mit Tito überwarfen, sondern auch mit Chruschtschow, Breschnew und nach dem Sturz der Viererbande mit China, können das Land nicht mehr in der Isolation halten. Und es erscheint symbolhaft, wenn die politische Führung des Landes am Mittwoch als eine der wesentlichen Reformen neue Paßgesetze einführen will. Zwar sind die genauen Ausführungsbestimmungen noch nicht bekannt, doch werden in Zukunft Albaner ins Ausland reisen können.

Auch die anderen Reformen deuten auf eine grundsätzliche Kurskorrektur. So wurden das seit 1965 aufgelöste Justizministerium wiedergegründet, Anwälte zugelassen, die Strafen für Religionsausübung aufgehoben. Deportierung und Internierung von Menschen seien „heute“ nicht mehr gerechtfertigt, hieß es in Tirana. Die Zahl der Kapitalverbrechen, auf die Todesstrafe steht, wurde von 34 auf elf reduziert. Sogar auf Republikflucht steht jetzt nur noch ein dreimonatiger Aufenthalt in einem Umerziehungslager (!).

Betriebe solen zukünftig über mehr Spielraum und die Bauern über 1.500 Quadratmeter Privatland verfügen dürfen. Selbst ausländisches Kapital, zwar nur in der Form von „Wirtsschaftshilfe“, soll jetzt ins Land dringen können ein bisher für Albanien undenkbares Zugeständnis, war doch gerade die Entwicklung aus eigener Kraft eine der Säulen der albanischen Staatsdoktrin.

Die Zugeständnisse der Partei an die Bevölkerung deuteten sich schon auf dem 9. Plenum des Zentralkomitees der albanischen Arbeiterpartei im Januar an. Damals hatte der 1. Sekretär in der Partei, Ramiz Alia, zwar den Unabhängigkeitskurs des Landes und den Sozialimus ausdrücklich verteidigt, doch in Partei, Politik und Gesellschaft Korrekturen angekündigt. Die lokalen Parteikomitees, so hieß es in einem zehn Tage später veröffentlichten Dokument, bekämen größere Selbständigkeit und die Grundorganisationen könnten Nichtmitglieder aufnehmen, um ihre Basis zu verbreitern. Kritiker wandten damals allerdings ein, dieser Passus sei nur geschaffen worden, um die führende Rolle der Partei zu verfestigen. Von einer Diskussion über ein Mehrparteiensystem kann bisher auch noch nicht die Rede sein. Aufsehen erregte auf dem Plenum auch die Rede des Vizeaußenministers Sokrat Plaka, der eine Annäherung an den KSZE-Prozeß andeutete und Bereitschaft zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den USA bekundete.

Doch trotz aller Ankündigungen aus Tirana ist nicht zu übersehen, daß der Prozeß der Reform von oben bisher begrenzt und unter der Kontrolle der Partei und Staatsführung bleibt. Noch gibt es keine Anzeichen für parteiunabhängige Perestroikabewegungen.

Erich Rathfelder