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„Also, der Mümin, der konnte das nicht“

Nach Ablehnung seines Asylantrags wegen politischer Verfolgung in der Türkei beging Mümin Kurt Selbstmord / Schwere Depressionen und eine klinische Behandlung waren vorausgegangen / Angst vor weiterer Folter plagte den Oppositionellen, der 1979 erstmals in die BRD floh  ■  Aus Leverkusen B. Markmeyer

Ein kopiertes Foto, auf dem er nur undeutlich zu erkennen ist, und darunter ein kleiner, mit Rosen und Fresien geschmückter Kranz hängen an der Wand. Gegen die blendende Sonne sind an den Fenstern die Jalousien heruntergelassen. In dem verqualmten Raum sitzen die Freunde.

„Im städtischen Krankenhaus haben die Ärzte zu ihm gesagt: Du bist kein Fall für ein normales Krankenhaus. Er müßte nach Langenfeld oder nach Hause gehen“, erzählt sein Freund E. Mümin Kurt ging. Das war am Donnerstag, dem 26.April. Vermessungsarbeiter fanden ihn am frühen Freitag morgen. Er hatte sich in der Nacht an einem Baum erhängt. Nicht weit von seiner Wohnung in Leverkusen-Opladen.

Es war nicht das erste Mal, daß Mümin Kurt Hilfe bei Ärzten gesucht hatte. Letztes Jahr verbrachte er zwei Monate in der Rheinischen Landesklinik Langenfeld. Freiwillig hat er sich einweisen lassen, bei seiner Aufnahme zeigt sich der damals 43jährige, wie ein Psychologe notiert, „stark depressiv und ängstlich“. Dabei handele es sich „offenbar um eine Reaktion auf die bei ihm besonders schwierigen Migrationsbedingungen (laufender Asylantrag, Familie in der Türkei, Selbstmord des Bruders vor einigen Jahren)“. Als es Kurt etwas besser geht, entläßt man ihn. Heike Schrempf, Sozialpädagogin bei der Leverkusener Arbeitwohlfahrt kümmert sich um ihn: „Ich konnte ihn aber nur beraten. Ich habe 330 Flüchtlinge zu betreuen.“ Für eine psychosoziale Betreuung von AsylbewerberInnen, kritisiert sie, „fehlen die Mittel“. „Mümin“, sagt sie „baute schnell wieder ab.“

„Er zog den Tod der unmenschlichen Asylsituation in Deutschland vor.“ Das durften seine FreundInnen nicht in die Todesanzeige schreiben, die am vergangenen Montag in der Leverkusener Ausgabe des 'Kölner Stadtanzeigers‘ erschien. „Er ging den Weg Kemal Altuns“, schrieben sie daraufhin. Für den heutigen Samstag ist eine Gedenkdemonstration gegen die bundesdeutsche Asylpolitik in Leverkusen geplant.

Gelebt hat Mümin Kurt in den letzten beiden Jahren in einer vollgestellten Einzimmer-Paterre-Wohnung in Opladen. Der Blick aus dem Fenster geht auf wohlgeordnetes Grün. „Die Nachbarn haben mich für verrückt erklärt, daß ich so einen Asylbewerber hier wohnen lasse“, erzählt die Vermieterin. „Doch das ging an mir vorbei. Sollten die reden.“ Sie hatte, auf ihre Weise, ein Herz für Mümin Kurt. Hat ihm Sachen besorgt, das Zimmer miteingerichtet, „ist doch besser als vorher, wo er im Heim mit fünf Leuten auf der Bude gehockt hat“. Er müsse sich in Deutschland integrieren, hat sie ihm gesagt, seine Wohnung in Ordnung halten, auch mal die Mülltonne rausstellen, wie die anderen Mieter. „Aber der Mümin, der konnte dat nich. Dat hat den nicht interessiert.“ Anfangs sei er lebhaft gewesen, habe Freunde eingeladen. „Aber in letzter Zeit war er nicht mehr ansprechbar, blieb immer in seiner Wohnung, hat auch gar nichts mehr gegessen. Ich dachte, der verhungert noch.“ Und auch sein Deutsch habe er wieder vergessen, „sprechen konnte man gar nicht mehr mit ihm“.

Die Freunde wußten um Mümin Kurts panische Angst, in die Türkei abgeschoben zu werden. Er sprach öfters davon, sich umzubringen. Er fürchtete sich vor erneuter Verhaftung und Folter, fürchtete, die Namen politischer Gesinnungsgenossen preiszugeben. Er war bereits zum zweiten Mal in der BRD. 1979 floh er erstmals aus der Türkei und beantragte hier Asyl. Er war wegen seiner Unterstützung der linksgerichteten Organisation Halkin Kurtulusu verfolgt worden. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Dann beging sein Bruder, Ali Kurt, der 1980 in die BRD geflohen war, im Herbst 1982 Selbstmord. Ali Kurt lebte mit Frau und Kind in Sulzbach am Main. Sein Asylantrag war, trotz massiver politischer Verfolgung in der Türkei, ebenfalls abgelehnt worden.

Nach dem Selbstmord seines Bruders flog Mümin Kurt zurück in die Türkei. Unmittelbar nach seiner Ankunft auf dem Istanbuler Flughafen wurde er festgenommen und verhört. Man warf ihm vor, sich auch in der BRD politisch betätigt und einen Asylantrag gestellt zu haben. In den folgenden Jahren arbeitete er in Samsun, wo seine Frau und seine beiden Kinder leben, wieder in seinen kleinen Laden. Erneut nahm er Kontakt zu seinen politischen Freunden auf. „Mümins Laden war Anlauf- und Treffpunkt. Er war keiner, der sich profiliert, aber einer von denen, ohne die es nicht geht, ohne die oppositionelle Arbeit in der Türkei nicht möglich wäre“, sagt Mümins Freund E. Nachdem ihn die Polizei zunächst in Ruhe gelassen hatte, verhaftete sie ihn 1983 erneut, hielt ihn drei Wochen fest und folterte ihn. Fortan wurde Kurt, bis zu seiner erneuten Flucht im Frühjahr '86, immer wieder festgenommen, geschlagen, verhört. Kurz zuvor waren Bekannte von ihm festgommen worden, und er mußte befürchten, daß sie unter Folter gegen ihn aussagen würden. In der BRD engagierte er sich bei vielen Aktionen weiter für Demokratie und Menschenrechte in der Türkei.

Sein erneuter Antrag auf Asyl wurde im Herbst 1988 abgelehnt. Die Furcht vor Verfolgung habe er in seiner Anhörung nicht ausreichend begründen können. Sein Anwalt führt in der Klage gegen den Ablehnungsbescheid an, Mümin Kurt habe nicht nur wegen seiner politischen Aktivitäten in der Türkei, sondern auch aufgrund seines Engagements hier bei einer Abschiebung „mit sofortiger Verhaftung und langjähriger Haftstrafe zu rechnen, da die türkischen Behörden durch ihre umfassende Spitzeltätigkeit in der Bundesrepublik... auf ihn aufmerksam geworden sind“.

Bis die Klage nicht entschieden war, bestand keine unmittelbare Gefahr, daß Mümin Kurt abgeschoben werden würde. Doch er hielt den Schwebezustand nicht aus. „Auch nicht das Leben hier, das ihn zum Bittsteller machte“, sagt ein Freund. „In der Türkei werden wir verfolgt, hier werden wir von oben herab behandelt, dürfen nicht arbeiten, viele wohnen in Heimen. Das ist für uns alle schwer. Wir haben versucht, ihm zu helfen. Er hatte Sehnsucht nach seinen Kindern. Ich weiß nicht, wieviele Menschen in diesem Zustand hier leben, manche halten es nicht aus. Mümin war depressiv, aber er hat aus der Asylsituation heraus Selbstmord begangen. Das ist für uns das Wesentliche.“

Am Donnerstag voriger Woche wurde Mümin Kurt auf dem Leverkusener Reuschenberg-Friedhof begraben. Eine Überführung war zu teuer. Der Name auf dem Holzkreuz, das ein Friedhofsgärtner aufgestellt hat, bis der Grabstein geliefert wird, ist falsch geschrieben. „Muemin Kurt“ steht da. „Mu-emin hieß er nicht“, sagt sein Freund E. „Er hieß Mümin, Mümin Kurt.“

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