piwik no script img

Jüdischer Friedhof geschändet

■ In Carpentras wurden Leichname aus Särgen geholt, Grabsteine zerschlagen

Paris (taz) - Nach dem jüdischen Osterfest soll vierzig Tage lang Ruhe herrschen auf den Friedhöfen der Gemeinde. So will es der Brauch. Und nun dies, in der Nacht zum Donnerstag. Auf dem jüdischen Friedhof von Carpentras, 24 Kilometer von Avignon entfernt, wurden 34 Gräber geschändet, Grabsteine zerschlagen, sechs Leichname aus den Särgen gezerrt und der Kadaver eines vor zwei Wochen beigesetzten Achtzigjährigen buchstäblich gepfählt. Am Tatort: Fußspuren von vier Männern. Keine antisemitischen Schmierereien wie noch Montag nacht an den Schaufenstern von Avignon, keine Hakenkreuze wie gestern morgen in Rambouillet, kein Bekennerschreiben außer einem dubiosen, ostentativ arabischen Anruf am Freitag vormittag.

Es handelt sich um die vierte Schändung eines jüdischen Friedhofs seit 1988, doch niemals sind Ausmaß und Brutalität der Zerstörung vergleichbar gewesen. Die ersten Ermittlungen gehen davon aus, daß es sich nicht um einen blinden Akt der Gewalt gehandelt haben kann. Wer wuchtet ohne festen Willen zur Tat die schweren Grabdeckel aus Granit und Marmor zur Seite, wer wäre in der Lage, den Ekel gegenüber Verwesung zu überwinden, wenn er nicht eine vorgefaßte Absicht gehabt hätte? Zudem gilt Carpentras als eine der Ursprungsstätten des französischen Judentums.

Nachdem die Morgenpresse gestern von der „Barbarei“ (Humanit'e“) von Carpentras sprach, ist die Stadt zu einem Pilgerort geworden. Jüdische StudentInnen demonstrierten gemeinsam mit antirassistischen Organisationen vor dem Friedhof. Die meisten Stellungnahmen legen eine mehr oder weniger große moralische Mitverantwortung eines Mannes nahe, der zur mutmaßlichen Tatzeit gerade damit beschäftigt war, im Fernsehen von einer „jüdischen Übermacht“ in den Medien zu schwadronieren: Jean-Marie Le Pen. Durch seine „Banalisierung des Hasses“ (Michel Rocard) sei ein Klima geschaffen worden, das derartige Verbrechen zur Folge habe. Der Führer der Front National lehnte es gestern ab, nach Carpentras zu fahren, und bezeichnete die Tat als gegen seine Partei gerichtete „Provokation“. Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel zeigte sich gestern empört darüber, daß Le Pen auch die Friedhofsschändung noch indirekt den Juden in die Schuhe zu schieben versuche.

Alexander Smoltcyk

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen