Jetzt spricht der Dinosaurier

■ Ein Gespräch zwischen Fritz Lang und Jean-Luc Godard, geführt im französischen Fernsehen im November 1964.

Morgen läuft im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes der neue Film von Jean Luc Godard, „Nouvelle Vague“ mit Alain Delon. Außerdem widmet das Festival Fritz Lang zu seinem 100sten Geburtstag eine große Retrospektive. Vor 25 Jahren, im November 1964, war Godard 34 Jahre alt, hatte bereits ein Dutzend Filme gedreht, und sein letzter, „Die Verachtung“, mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli, war ein großer Erfolg. Fritz Lang war 74 Jahre alt und weltberühmt. In „Die Verachtung“ spielt er sich selbst.

Godard und Lang trafen sich damals im Rahmen der Fernsehserie „Cineastes de notre temps“ zu einem langen Interview, das diese Woche noch einmal von den französischen Fernsehsendern „La Sept“ und „FR3“ ausgestrahlt wird. Im folgenden Auszüge davon:

Jean-Luc Godard:Sie heißen Fritz Lang und ich Jean-Luc Godard. Sie haben viel mehr Filme gedreht als ich... Wissen Sie, wieviele?

Fritz Lang: Nein.

Godard: Aber ich. Sie haben 42 Filme gedreht.

Lang: Mein Gott!

Godard: Und im Lauf dieser 42 Filme haben Sie sehr viel gesehen, viele Umwälzungen miterlebt, europäische Geschichte und amerikanische. Wenn man Ihnen heute die Frage stellen würde, wenn jemand, der das Kino nicht kennt, Ihnen, Fritz Lang, die Frage stellen würde: „Wie kann man diese Person definieren, die sich Regisseur nennt?“ Ist das ein Arbeiter? Was ist das Besondere an ihm?

Lang: Sie wissen, daß ich die Bezeichnung Künstler nicht mag. Was ist ein Künstler? Das ist ein Mensch, der viel arbeitet, der sein Metier kennt. Ein großer Chirurg ist ein Künstler, finde ich. Ich bin jemand, der viel arbeitet, der sein Metier liebt.

Godard: Ich denke da etwas anders. Meiner Meinung nach ist van Gogh bedeutender als der Schreiner, der die Staffelei hergestellt hat, auf der van Gogh malte, selbst wenn es eine sehr schöne Staffelei war.

Lang:: Sie haben natürlich recht, das ist ein extremes Beispiel. Vielleicht habe ich nicht recht, mag sein...

Godard: Aber Sie betrachten sich lieber als Schreiner denn als...

Lang: ...nein, nicht als Schreiner, aber als Arbeiter. Das Publikum glaubt, daß das, was man tut, einem zugeflogen ist, daß das ein Vergnügen ist. Es weiß nicht, daß das harte Arbeit ist... Ich glaube, daß wir etwas gemeinsam haben. Ich glaube, daß Sie ein Romantiker sind, und ich bin es auch. Ich weiß nicht, ob es gut ist, heutzutage ein Romantiker zu sein.

Godard: Heuzutage ist das schlecht, glaube ich.

Lang: Warum?

Godard: Romantisch, das ist sentimental...

Lang: Ich meine nicht sentimental. Das ist überhaupt nicht sentimental. Aber ich denke, wenn man kalt wird wie die Technik, hat man nichts mehr zu sagen...

Godard: ... ja eben, die Technik ist nicht romantisch.

Lang: Kein bißchen. Ich betrachte mich nicht als Maschine, als Automaten. Aber da ist noch was. Sie haben mich gefragt, was ein Regisseur ist. Ich glaube, daß er ein Analytiker sein muß. Er muß auf der Haut des Schauspielers spazierengehen. Er muß wissen, warum seine Darsteller das machen, was sie machen... Einmal hat jemand zu mir gesagt: „Ich weiß genau, was Sie gedacht haben, als sie M - Eine Stadt sucht einen Mörder gemacht haben.“ Darauf sagte ich: „Wie können Sie das wissen?“ Ich weiß nicht mehr, was er mir geantwortet hat, aber mir ist der Gedanke gekommen, daß wir vielleicht in alle unsere Filme unser Herz, unsere Wünsche, alles, was wir lieben und hassen, hineingeben. Wenn uns eines Tages jemand analysieren könnte, Sie und mich, würde er es herausfinden? Ich weiß nicht, warum ich meine Filme gemacht habe. Wissen Sie es?

Godard: Nein.

Lang: Dieser Mensch wird wissen, warum wir dieses oder jenes gemacht haben...

Godard: Irgendetwas fasziniert mich immer an einem - wenn Sie mir erlauben, Sie so zu nennen - alten Regisseur...

Lang: Einem Dinosaurier!

Godard: Was bei einem wie Abel Gance oder auch bei Renoir fasziniert, ist, daß sie so außergewöhnlich jung bleiben. Sie interessieren sich immer für neue Probleme. Denken Sie, daß...

Lang: Ich glaube, daß unser Metier, das Kino, nicht nur die Kunst unseres Jahrhunderts ist. Es ist auch die Kunst der jungen Leute.

Godard: Sie glauben, das ist die Kunst der Jugend? Ich glaube es auch.

Lang: Ich habe einen Film geschrieben, den ich nie gedreht habe, in dem ich die Jugend von heute mit meiner vergleichen wollte. Ich glaube, daß man heute viel schneller lebt. Die Stummfilme sind viel langsamer als die Filme, die man dreißig Jahre später gedreht hat. Jetzt spricht der Dinosaurier. Als ich 1919 oder '18 begann - das ist jetzt 45 oder 46 Jahre her -, waren die Filme viel langsamer. Als das Leben dann zunehmend schneller wurde, sind auch unsere Filme schneller geworden... Aus jener Zeit lebt heute fast keiner mehr.

Godard: Es gibt Dreyer, Gance und Sie.

Lang: Ja... Zu der damaligen Zeit verfügten wir noch nicht über den Ton wie Sie heute. Ich glaube, für uns damals war es einfacher als heute für Sie. Wir waren Entdecker. Damals forderten die Geldgeber von uns, einen Film innerhalb von vier Wochen fertigzustellen. Und mit diesen Filmen machte man viel Geld. Ich dachte damals, Filme sind wie frische Brötchen. Sie waren für den sofortigen Verzehr bestimmt. Ich weiß nicht, wie das heute ist.

Godard: Aber ein Film, der in Erinnerung bleibt, ist mehr als ein frisches Brötchen.

Lang: Ich glaube, daß nur das Publikum darüber entscheiden kann, ob ein Film in Erinnerung bleibt. Beispielsweise Napoleon von Abel Gance.

Godard: Ja, Napoleon ist wahrscheinlich ein Film, mit dem Abel Gance in Erinnerung bleiben wird.

Lang: Dann ist es ein Kunstwerk. Aber wie viele Filme sind so? Von wievielen Filmen kann man erwarten, daß das Publikum sie heute noch mag?

Godard: Bei Ihnen ist es meiner Meinung nach M - Eine Stadt sucht einen Mörder. Glauben Sie das auch?

Lang: Ja, natürlich. Ich glaube nämlich, M ist ein Dokumentarfilm... Hören Sie, Sie sind ein Baby...

Godard: Oh ja, ich bin ein Baby. Man gibt Babys immer eins auf den Po. Die Kinder werden immer bestraft.

Lang: Aber nein, wieso denn?

Godard: Wenn das Kino die Kunst der Jugend ist, dann maßregelt man es vielleicht wegen seiner Jugend. Man ist mit ihm strenger als mit anderen. Ich würde gerne von Ihnen erfahren, wie wir uns verhalten sollen gegenüber... sagen wir nicht Zensur, nennen wir es Tyrannei. Müssen wir, wie die Kinder, alles zerstören, alles kaputt machen, oder sollte man sie eher austricksen?

Lang: Ich verstehe nichts von Kindern.

Godard: Und von der Tyrannei?

Lang: Man muß natürlich immer gegen die Tyrannei kämpfen. Ich war immer ein Feind der Zensur. Ich habe einen Film gemacht, der heißt Woman in the Window...

Godard: Ja, La femme au portrait

Lang: Und es gab darin eine Traumszene, in der eine Frau einen Mann zu vergiften versucht. Diese Szene wurde geschnitten, zwar nicht in ganz Amerika, aber in Oregon, da es in diesem Staat eine Frau gegeben hatte, die ihren Mann vergiftet hatte. Ich denke, daß ein heute gedrehter Film immer ein dokumentarisch sein sollte.

Godard: Er ist zwangsläufig dokumentarisch. Wenn er gut ist, muß er dokumentarisch sein.

Lang: Ich sage Ihnen was. Wir hatten in Hollywood eine Zensur. Aber man konnte mit den Leuten reden.

Godard: Das war besser, weil...

Lang: Kann man hier diskutieren?

Godard: Nein, man kann nicht.

Lang: Wer macht die Zensur? Eine Gruppe von Leuten?

Godard: Ja, eine Gruppe von Leuten, die man nicht kennt.

Lang: Früher, angesichts der Zensur, geschah es oft, daß ich mir nicht wie ein Mann vorkam, der mit seinen Mitarbeitern etwas realisiert, sondern wie ein kleiner Junge, der etwas angestellt hat.

Godard: Vielleicht ist ja auch das Publikum ein bißchen so. Die Zensur sieht die Dinge nicht mit dem Herzen, sondern mit...

Lang: Romantiker, was? Aber ich denke, Sie haben recht.

Godard: Es gibt einen Satz von Carlo Ponti, der mich immer frappiert hat. Er sagte: „Das Publikum sieht nicht mit den Augen, es betrachtet die Filme mit dem Bauch.“ Denken Sie, daß das stimmt?

Lang: Das ist schwierig. Ich glaube nicht, daß das Publikum weiß, ob es die Filme mit den Augen oder dem Bauch sieht. Aber es weiß sehr gut, ob ein Film gut oder schlecht ist. Aber ich glaube ans Publikum, ich arbeite fürs Publikum. Das Kino ist eine Kunst für die Massen. Wenn ich nicht überzeugt wäre, daß das Publikum einen Film richtig beurteilen kann, dann hätte ich nicht das Recht, Filme zu machen.

Godard: Wenn Sie aber einen Film für die Massen machen und die Massen ihn nicht mögen? Wenn Sie dennoch denken, daß der Film nicht schlecht ist, ändern Sie dann...

Lang: Was? Den Film oder mich selbst?

Godard: Den Film.

Lang: Nein. Keinesfalls. Vielleicht habe ich nicht recht. Vielleicht bin ich im Unrecht. Normalerweise... aber ich fürchte, das klingt ein wenig prätentiös... ich habe so gut wie nie das erlebt, was man in Amerika einen Flop nennt.

Godard: Einen Mißerfolg.

Lang: Die Filme, die ich einmal beendet habe, entwickeln ein Eigenleben. Und wenn ich sie nach zehn oder zwölf Jahren wiedersehe, finde ich, daß sie so schlecht nicht sind...

Godard: Als ich Sie vor sechs oder sieben Monaten in Cannes getroffen habe, wußten Sie nicht, ob Sie nochmal einen Film machen würden, und jetzt haben Sie anscheinend Lust dazu. Können Sie mir sagen...

Lang: Muß man die Wahrheit sagen?

Godard: Ja, die unwahrscheinliche Wahrheit.

Lang: Wenn man älter wird, hat man Angst, den Kontakt zur Jugend zur verlieren, das ist in allen Berufssparten so. Ich jedenfalls hatte Angst davor. Ich wollte keine Filme mehr machen. Wissen Sie, als ich mit Ihnen für Die Verachtung gearbeitet habe, sagte ich mir: Das ist das Ende. Aber vor einigen Wochen kamen im Palais Chaillot, in der Cinematheque fran?aise, zwei oder drei junge Leute auf mich zu und sagten: „Herr Lang, Sie haben uns so viel Freude bereitet, so viel Vergnügen, Sie haben uns soviel beigebracht, machen Sie weiter Filme!“ Ich war sehr gerührt, und ich denke, ich werde noch einen Film drehen.

Godard: Wie wird er heißen?

Lang: Ich denke, ich werde ihn „Death of the Career Girl“ nennen: der Tod eines Mädchens, das nur an seine Karriere denkt. Aber kommen wir zum Dinosaurier zurück. Als wir begannen, Stummfilme zu machen und nicht über die Sprache verfügten, hatten wir nur die Handlung. Und als wir in Die Verachtung zusammenarbeiteten, fand ich, daß wir sehr verschieden sind. Ich möchte von dem Autounfall sprechen, in dem Bardot stirbt. Ich hätte das Anfahren des Autos gezeigt und wie es an Geschwindigkeit zulegt. Ich hätte die Handlung gezeigt. Sie zeigen die Handlung nicht. Sie zeigen nur den Moment, in dem sie sterben, zerquetscht zwischen zwei Lastwagen. Für Sie waren die Folgen wichtiger als der Unfall selbst.

Godard: Das ist es.

Lang: Ich denke, das ist sehr wichtig. Wenn ich vergleiche...

Godard: Man sagt mir, daß ich viel improvisiere. Denken Sie, daß das stimmt? In Die Spinnen(einer der ersten Stummfilme Langs) gibt es viel, was Sie gemacht haben und was ich auch gemacht hätte. Das war vor dreißig Jahren, das war ein wenig wie die Nouvelle Vague...

Lang: Ich freue mich, daß Sie das sagen. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen Ihnen und mir. Sie arbeiten anders als ich. Sie mögen die Improvisation, ich mag sie nicht. Ich denke, daß ein Regisseur ein Schöpfer sein muß. Jedenfalls darf ein Regisseur nicht reden. Er muß das, was er sagen will, durch den Film sagen. Wenn ein Regisseur sich der Worte bedienen muß, um zu erklären, was er sagen will, ist er kein guter Regisseur. Ein Regisseur, der zu dem Schauspieler sagt: „Komm hierher, du gehst durch diese Türe, du machst dies oder das, das ist dein Dialog, wenn du fertig bist, gehst du hier raus...“, der ist für mich ein traffic cop.

Godard: Ein Verkehrspolizist.

Lang: Ja, ein Verkehrspolizist. Kein Regisseur. Warten Sie... (Er nimmt ein Stück Papier und einen Stift) Wenn ich ein Drehbuch habe mit einer Szene in einem solchen Zimmer (er zeichnet den Plan eines riesigen Zimmers). Wenn ich zur Ausstattung komme, sage ich: Nein, das geht nicht, ich will vier solche Wände (er malt das Blatt voll). Ein Mann sitzt an diesem Schreibtisch (er zeichnet den Schreibtisch), hier ist der Schreibtisch. Man braucht auch ein Fenster (er markiert die Stelle auf der Zeichnung) und hier eine Tür (er markiert wieder). Wenn ich ins Studio komme, weiß ich genau, was ich machen will.

Godard: Weil Sie eine genaue Vorstellung von der Szene haben.

Lang: Ja... Das soll nicht heißen, daß ich nie etwas ändere. Aber nicht sehr oft.

Godard: Sie ändern im Rahmen der Idee.

Lang: Nein, nicht der Idee, aber manchmal sieht man etwas, was besser ist, einen Winkel, den man auf dem Papier schwer darstellen konnte. Ich hätte gern, daß Sie mir erklären...

Godard: Ich könnte nicht sagen, ob ich den Schreibtisch lieber hier hätte oder lieber dort. (Er markiert seinerseits zwei Stellen auf Langs Zeichnung.) Wenn nichts da ist, weiß ich auch nichts. Ich muß alles sehen. Ich muß es einfach sehen.

Lang: Warum denn das?

Godard: Wenn nichts da ist, weiß ich nichts. Ich muß alles sehen. Ich muß den Schreibtisch sehen, den Sessel, die Tür.

Lang: Hören Sie...

Godard: Wenn die Tür da ist, sage ich genau wie Sie: Ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich kann die Tür nicht ändern. Ich brauche es, daß alles da ist, daß die Wände da sind, daß es die Tür gibt. Und wenn alles da ist, sage ich: Ich kann es nicht ändern. Was ich ändern kann, sind die Leute. Oder, wenn mir die Tür nicht gefällt, suche ich mir eine andere Wohnung in einem anderen Viertel. Erinnern Sie sich an die Wohnung in Rom, in der wir Die Verachtung gedreht haben?

Lang: Ich muß was sagen. Als ich diese Szene sah - um die Wahrheit zu sagen - ich verstehe sehr gut, daß Sie improvisiert haben, ich finde diese Szene außerordentlich...

Godard: ...ich hatte zum Beispiel...

Lang: Lassen Sie mich ausreden! Ich glaube, das ist eine der besten Szenen, die ich je gesehen habe, und Sie wissen, daß ich nicht schmeichle. Sie wissen, was ich von Ihnen halte. Aber in dieser Szene habe ich verstanden, warum Sie manchmal improvisieren. Sie haben immer eine große Vision. Aber warum müssen Sie alles sehen, bevor Sie drehen? Das verstehe ich nicht ganz.

Godard: Also, vielleicht interessiere ich mich mehr für den Gesamtaspekt einer Sache als für eine Einzelheit...

Lang: Man könnte tagelang darüber reden. Wenn ich einen Film mache, überblicke ich das Ganze, sehe ich alles. Ich versuche eine Szene zu machen, damit hundert Szenen später... Ich beginne hier mit einer Idee, die dort kulminieren wird (er markiert zwei voneinander entfernte Punkte auf einem Blatt Papier). Wenn man improvisiert, wird das sehr schwierig.

Godard: Das ist schlecht, ja.

Lang: Ich sage nicht, daß meine Methode besser ist als Ihre.

Godard: Sagen wir, daß ich einen dokumentarischeren Ausgangspunkt habe als Sie, Sie haben eher einen fiktionalen Ausgansgpunkt. Und dann trifft es sich. Man braucht beide.

Lang: Sie haben recht.

Godard: Warum soll man heute Kino machen?

Lang: Man muß es machen. Ich werde Ihnen was sagen: Ich habe nichts gegen Entertainment...

Godard: ... gegen Zersteuung...

Lang: Zerstreuung. Aber wenn ich einen dieser für die Massen produzierten Filme sehe, habe ich sie alle gesehen. Ich habe also keine Gründe, mir Kleopatra anzuschauen oder etwas dergleichen. Es ist immer dasselbe. Ich glaube, ein Film muß heute kritisch sein. Er muß den Finger auf etwas legen. Er muß ein Thema haben, das die Jugend interessiert. Ich sage immer: Was ist ein guter Film? Das ist ein Film, den ich einmal, zweimal oder dreimal sehen kann. Er muß unterhaltsam sein, aber es muß etwas besagen. Wenn sie mir erlauben, von einem meiner Filme, von M - Eine Stadt sucht einen Mörder zu sprechen, dann denke ich, daß dieser Film mehrere Schichten der Gesellschaft angesprochen hat. Für den einen war dieser Film die Verfolgung eines Kriminellen, für den anderen zeigte es die Arbeit der Polizei, für den nächstenwar es eine Debatte über die Todesstrafe und darüber, daß man besser auf die Kinder aufpassen sollte, als es heutzutage geschieht. Viele Geldgeber sind gegen Filme, die ein Problem behandeln. Sie wollen das Entertainment... Ich glaube, daß ein Mann oder einer Frau, die hart arbeitet, daß ein Arbeiter ein Recht auf Zerstreuung hat. Wenn man jedoch gleichzeitig ein interessantes Problem berühren kann, werden sie sich darüber unterhalten und vielleicht Lust bekommen, den Film noch einmal zu sehen. Weiß man im Französischen, was das Wort box-office bedeutet?

Godard: ... Einspielquoten...

Lang: Der Geldgeber, der sich die Einspielquoten ansieht, sagt sich: Ich verliere Geld, ich bekomme mein Geld zurück oder ich gewinne Geld. Wenn ich die Einspielquoten sehe, freue ich mich, wenn der Film Geld eingespielt hat, aber es geht nicht um das Geld, sondern darum...

Godard: ... daß viele Leute den Film gesehen haben.

Lang: Ja. Es ist ein Zeichen, daß ich das Publikum erreicht habe, das ich mit meinen Ideen zu erreichen versuche. Man muß die Leute rühren...

Godard:... Ja, man muß sie rühren, die Herzen müssen höher schlagen ... und toi, toi, toi für den nächsten Film (Fritz Lang schlägt mit beiden Händen auf den Tisch).

Aus: 'Studio‘, Special Cannes '90

Aus dem Französischen von Michaela Ott