: Litauen berät Dialogangebot
■ Parlament in Vilnius debattiert über Kompromiß / Die Präsidenten von Estland und Lettland in Moskau
Moskau (afp/ap) - Während das litauische Parlament gestern erneut über konkrete Vorschläge für einen Dialog mit Moskau beriet, hielten sich die Präsidenten Estlands und Lettlands, Arnold Rüütel und Anatolis Gorbunovs, gemeinsam in Moskau auf. Sie wollten dort nach Angaben von Journalisten auch den sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow treffen. Rüütel und Gorbunovs waren am Montag abend in Moskau eingetroffen, um an der Sitzung des Föderationsrates teilzunehmen, dem sie beide als Präsidenten von Unionsrepubliken angehören. In Vilnius kursierten am Montag Gerüchte, auch Litauens Präsident Vytautas Landsbergis werde sich nach Moskau begeben.
Das Parlament in Vilnius sollte am Dienstag ein von der Regierung vorgelegtes Dokument verabschieden, das nach Angaben der litauischen Ministerpräsidentin Kazimiera Prunskiene „konkrete Vorschläge“ zur Ermöglichung eines Dialogs mit Moskau enthält. Den Inhalt des Dokuments wollte Prunskiene auf einer Pressekonferenz am Montag abend jedoch nicht bekanntgeben. Die Frage einer Aussetzung der Unabhängigkeitsakte vom 11. März werde darin angeschnitten.
Bereits am Samstag hatte das litauische Parlament über Gorbatschows Forderungen debattiert. Dieser hatte am Donnerstag bei einem überraschenden Treffen mit Prunskiene in Moskau bekräftigt, daß er von Vilnius eine „Annulllierung oder Aussetzung“ der Unabhängigkeitserklärung verlange. Die litauischen Abgeordneten waren sich zwei Tage später in dieser Frage nicht einig. Sie verabschiedeten einerseits einen Text, in dem sie die Unabhängigkeit für nicht verhandelbar erklärten. Andererseits beschlossen sie weitere Beratungen für gestern.
Unterdessen hat sich die Lage in Litauen nach über einem Monat Wirtschaftsblockade von seiten Moskaus verschärft. 27,2 Prozent der Industrieaktivitäten und 60 Prozent der Landwirtschaft seien lahmgelegt, hieß es in einem Dienstag in Moskau eingetroffenen Kommunique des litauischen Parlaments. Parlamentssprecherin Rita Dapkus, erklärte, wegen des sowjetischen Energie- und Rohstoffembargos seien mehr als 12.000 Beschäftigte im Bau- und Verkehrswesen entlassen worden. 60 Prozent der Unternehmen im Landwirtschaftsbereich hätten schließen müssen. In Tallin, Estland, weitete sich der am Montag begonnene Streik russischer Arbeiter auf 22 Betriebe aus. Die Arbeiter fordern den Rücktritt Rüütels und die Wiedereinführung des sowjetischen Rechts. Der estländische Ministerpräsident Edgar Savisaar sagte im Rundfunk, der Streik werde die Wirtschaft der Republik nicht ernsthaft beeinträchtigen.
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