Bomben, Waffen, Explosionen

■ Diestels Weltbild: Bedrohungen lauern an jeder Ecke / Schizophrene Vorliebe für ehemalige Stasi-Waffenträger und ein Faible für Autorität und Disziplin

Peter-Michael Diestel ist mit Leib und Seele Innenminister im wortwörtlichen Sinne. „Der Schutz der Demokratie ist eine wichtige Aufgabe, die den Einsatz des Verstandes und möglicherweise auch des Körpers erfordert“, vertraute der passionierte Jogger und Bodybuilder der 'Berliner Zeitung‘ an. Auch nach seinem Amtsantritt verwandte der 38jährige Ex -Melker und -Bademeister weiter viel Arbeit darauf, seinen Körper zu stählen: am Morgen gemeinsames Laufen mit seinen Leibwächtern, am Abend Hantelnstemmen im hauseigenen Krafttrainingsraum.

Dahinter steckt nicht nur sportliches Vergnügen, sondern offenbar auch das Gefühl ständiger Bedrohung. Trotz ministereigener Bodyguards läuft der ehemalige DSU -Generalsekretär nur noch mit Pistole herum. Jeden Tag, zitiert ihn der 'Spiegel‘, bekomme er „bis zu sechs Morddrohungen“.

Schaut man sich die gesammelten Presseäußerungen des Innenministers an, so tauchen ständig die gleichen Bilder auf: Anschläge drohen, Sprengsätze, Bomben, Explosionen. Bilder der Lustangst, denn Diestel scheint von ihnen nicht wegkommen zu können, und wenn er den Panzer seines Körpers und den Panzer des Staates noch so sehr verstärkt. „Da hat einer eine Bombe gebastelt, und die Bombe liegt da. Ich habe einen wirklich Sachverständigen gebeten, die Bombe zu entschärfen“, verteidigte er beispielsweise sein umstrittenes Vorhaben, Stasi-General Markus Wolf als Berater einzusetzen.

Welche Gefühle und Verdrängungen es denn sind, die den Muskelmann so existentiell bedrohen, ist letztlich nur auf der Psychoanalytikercouch herauszufinden. Und es wäre auch durchaus sekundär, wenn es nur einem schlechten Drehbuch entstammen würde, daß so einer Innenminister wird. Eine politische Katastrophe aber ist Diestels schizophrene Vorliebe für den alten autoritären Staatsapparat. Einerseits erklärte er - seine eigene Vergangenheit als angepaßter Landwirtschaftsberater verdrängend - die Stasi in der Tradition von Reagans „Reich des Bösen“ schon mal zum „Bösen an sich“, andererseits ließ er gerade gegenüber den waffentragenden Abteilungen der Stasi mehr als Fürsorge walten. Der Regierung Modrow warf er vor, sie habe 100.000 Stasi-Mitarbeiter „rückhaltlos ins soziale Nichts gestoßen“, und er könne jetzt nicht zulassen, „daß so viele gut ausgebildete, an Disziplin gewöhnte Menschen, die mit Waffen umgehen können, völlig perspektivlos herumirren...“.

Innenminister Diestel fühlt sich offenbar solchen Leuten psychologisch verwandt. Und dies ist ja auch verständlich: Wie viele haben sich ohne fühlbaren inneren Bruch von überzeugtesten SED-Anhängern zu Befürwortern des rigidesten Kapitalismus gewandelt.

Ute Scheub