: „Frei“ war verboten
■ Ein Gespräch mit Peter Kahane, dem Regisseur des wohl letzten Vor-Wende-DEFA-Films „Architekten“, der morgen das DDR-Spielfilmfestival in Berlin eröffnet
Morgen wird im Ostberliner Kino „International“ das sechste und gewiß letzte DDR-Spielfilmfestival mit „Architekten“ eröffnet. Regisseur Peter Kahane, der auch am Buch von Thomas Knauf Anteil hatte, Jahrgang 1949, studierte an der Filmhochschule in Babelsberg und drehte nach seiner Assistentenzeit im DEFA-Spielfilmstudio den kurzen Film „Weiberwirtschaft“, danach „Ete und Ali“, der in der DDR auf die stattliche Besucherzahl von 600.000 kam, und „Vorspiel“
-beide über und für junge Zuschauer. Zwei internationale Preise brachte er vom Max-Ophüls-Wettbewerb aus Saarbrücken nach Berlin mit. Vor der „Architekten„-Uraufführung sprach Constanze Pollatschek mit Peter Kahane.
Constanze Pollatschek: In „Architekten“ zeichnen Sie analytisch und scharf, aber auch emotional anrührend und aufregend ein sehr lebendiges Bild von den Zuständen in der DDR vor den Veränderungen im Herbst '89. Zuvor drehten Sie zwei unterhaltsame, relativ harmlose Filme; waren diese Debüts ein Zugeständnis, weil Sie als Anfänger erst einmal ohne Komplikationen arbeiten wollten, oder waren das Stoffe, die Ihnen am Herzen lagen?
Peter Kahane: Ete und Ali, auch Vorspiel waren Komödien. Vorspiel war nicht einfach nur als Liebesgeschichte aus der Provinz gedacht. Es sollte ein bestimmtes Lebensgefühl erzählt werden: Enge und Träumen. Ein ernstes Thema des Films war der Umgang mit Niederlagen. Und das war auch mein Problem.
Es gibt Niederlagen, aus denen man nichts lernen kann, weil sie durch äußere Beidnungen verursacht wurden und diese sich nicht verändern. Wenn man weiß, daß man immer wieder zu Kompromissen genötigt wird, die man nicht mehr tragen will und kann, dann ist das eine Situation, die eine Entscheisung verlangt. Und das war genau meine Situation vor Architekten.
Zuvor konnte ein Film, den ich bei der DEFA machen wollte, nicht produziert werden. Das Projekt war schon sehr weit fortgeschritten, Motivsuche und andere wichtige Vorarbeiten hatten begonnen; dann wurde es gestoppt. Ein Jahr hatte ich an dieser Sache gesessen, mit verschiedenen Autoren daran gearbeitet. Ein Jahr Lebenszeit. Die Leitung des Studios sprach mir die Kompetenz ab, einen Stoff aus den vierziger Jahren zu realisieren. Es sollte ein Film werden nach der Erzählung Jules von Friedrich Wolf, die 1940 in einem Internierungslager in Frankreich spielt.
Heute ist es schwer auseinanderzuhalten, welche politischen ideologischen oder künstlerischen Probleme es waren, die den Abbruch der Arbeit verursachten. Man muß auch immer mit der eigenen Unfähigkeit rechnen. Ich weiß aber, daß da ein Punkt war, an dem die Studioleitung ganz eindeutig den recht unpathetischen Umgang mit einem kommunistischen Helden ablehnte.
Und danach griffen Sie nach „Architekten“...
Mit Architekten wollte ich unanfechtbar sein, auf einem Gebiet arbeiten, auf dem ich mich auskannte, mit Leuten, die mir vertraut waren, Probleme behandeln, die auch die meinen waren. So wurde dieser Film für mich der letzte Versuch, in dem ich alles, was ich erfahren hatte, loswerden wollte. Architekten sollte im Grunde für mich die Entscheidung werden, ob ich bei der DEFA überhaupt noch Filme machen kann oder nicht. Und ich war auch nicht zur geringsten Form von Selbstzensur bereit. Das war die Verabredung in unserem Team - eine neue Konsequenz.
Aber das heißt ja nicht, daß die Filme, die ich vorher gemacht habe, für mich jemals angepaßte Filme waren. Es war eine andere Zeit damals und da war es noch sinnvoll, den leuten Mut zu machen. Bei Architekten erschien es mir nur noch sinnvoll, den Leuten ihre Ohnmacht zu zeigen am Beispiel von Daniel, unserer Hauptfigur. In 80 Prozent des Films geht es ja nur darum, wie ein Projekt einer Architektengruppe verhindert wird, immer weiter reduziert, mickrig gemacht. Das ist keine spannende Dramaturgie - aber es ist so furchtbar, wie das Leben war.
Im Frühjahr 1988 wurde der letzte ordentliche Kongreß des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden vorbereitet - das war lange vor der „Wende“. In der Arbeitsgruppe „Künstlerischer Nachwuchs“ haben wir ein Manifest geschrieben, in das auch meine Erfahrungen mit Jules einflossen. Wir haben die Probleme recht deutlich benannt. So zum Beispiel, daß sich der DEFA-Film in einer Krise befindet und daß diese ein Ausdruck dafür ist, was in der Gesellschaft passiert. Darüber gab es enorme Erregung. Wir schrieben, daß die Arbeit im DEFA-Spielfilmstudio durch Tabus behindert wird - Tabus, die sich auf Themen, Sicht oder Erzählweisen bezogen. Bei Jules war es doch kein Problem, einen Film über ein Internierungslager in Frankreich zu machen. Aber wie ich es machen wollte, wurde nicht akzeptiert.
Das Manifest der Nachwuchs-gruppe hat noch etwas Wichtiges beschrieben: Die Auswirkung der Tabus, die Auswirkung der Verbote - das war die Selbstzensur. Und dieses Leben mit der Selbstzensur, der eigenen Gängelung, hat zunehmend unsere Arbeit bestimmt. Intuitiv hat jeder, der einen Stoff oder eine Idee hatte, von vornherein gewußt, ob sie funktioniert oder nicht. Wir haben versucht, Projekte zu realisieren, die irgendwie möglich waren. Das ist schon eine Form von Anpassung.
Es wird viel über die Verbote, die Zensur der sechziger und siebziger Jahre gesprochen. Wie funktionierte das in Ihren achtziger Jahren?
Bei meinen ersten Filmen waren die eigentlichen Eingriffe belanglos. Ich mußte kleine, lächerliche Korrekturen vornehmen. Ein Beispiel: Ete und Ali sind aus der Armee entlassen. Text: „Wir können machen, was wir wollen; seit drei Stunden sind wir frei.“ Das Wort „frei“ mußte umsynchronisiert werden: „Seit drei Stunden sind wir fort.“ Das war albern, daß es sich nicht lohnte, wegen solch einer Kleinigkeit Theater zu machen. Später ging's um mehr.
Gab es bei „Architekten“ auch Versuche der Zensur?
Bei den Gesprächen mit den Leitungen des Studios und der Hauptverwaltung Film gab es eine merkwürdige Duplizität. Wir beschreiben im Film, wie durch Verbote und Einschränkungen eine Arbeit kaputt gemacht wird. Unsere Verantwortlichen wollten den Vorgang natürlich nicht doppeln. Man wollte uns nicht zwingen. Man wollte uns nur eindringlich warnen. So kamen zum Beispiel in unserem Film zu viele Ausreisen vor Daniels Frau verläßt mit der Tochter die DDR, einer aus der Architektengruppe sagt am Ende, daß er einen Ausreiseantrag gestellt hat, und ganz am Anfang wird erwähnt, daß ein ehemaliger Kommilitone jetzt in Köln ist. So groß war die Zahl aber nicht, in Anbetracht der Tatsache, daß viele meiner Freunde in Richtung Westen gegangen waren. Es gab unter anderem auch die Befürchtung, daß die Funktionäre zu negativ überhöht gezeichnet seien. Über vieles wurde hart gestritten. Aber man muß sich einfach auch daran erinnern: Der Film wurde zur Produktion freigegeben. Das Szenarium ist im Dezember 1988 abgenommen worden, die Freigabe für die Produktion erhielten wir im April 1989. Natürlich hätte ich mir mehr Tempo gewünscht.
Sie sprachen von der Ausreise Ihrer Freunde. Sie sind nicht gegangen - warum nicht?
Sicher war das Leben hier ausgesprochen widersprüchlich. Aber ich kann doch nicht so tun, als ob die 40 Jahre, die ich mit diesem Land älter geworden bin, nur eine tragische Zeit gewesen wäre. Es war auch eine produktive Zeit, es gab auch Freiräume und gute Arbeitsmöglichkeiten.
Ich glaube, was mich am meisten hier gehalten hat, war die vielleicht blödsinnige Hoffnung, daß dies irgendwann ein Land der Vernunft wird, in dem vernünftige Leute und vernünftige Ideen eine Chance haben werden. Vielleicht war diese Hoffnung blauäugig.
Waren Sie Mitglied der SED?
Nein, niemals, obwohl es mir angetragen wurde.
So wie es der Parteisekretär im Film Daniel anträgt?
So direkt war es nicht. Aber ich wurde gefragt und wollte nicht. Aber vielleicht sollten wir nicht so viel über Politik reden.
Erzählen Sie von Ihren Dreharbeiten...
Drehbeginn war am 3.Oktober 1989 - Mitte Januar '90 waren wir fertig. Die Irritationen und Spannungen dieser Zeit waren groß. Und wenn nicht jeden Tag eine Disposition vorgelegen hätte und man so zur Arbeit gezwungen war, hätte es auch nicht geklappt. Jetzt bin ich froh, daß ich in der Zeit auch noch einen Film gedreht habe - damals war es sehr hart.
Wir haben am Bahnhof Fredrichstraße die Ausreise von Daniels Frau und Tochter gedreht, das war Ende Oktober. Und da sind wirklich Leute ausgereist, und es war wahnsinnig depremierend. Oder am 9.November, da haben wir am Alex vor dem Fernsehladen gedreht. Und es kam die Pressekonferenz mit Schabowski, und es war von der Grenzöffnung die Rede. Die Stadt war ruhig und leer und ich dachte, ich hab‘ mich geirrt. Da war das Drehen verdammt schwer.
„Architekten“ sehe ich als einen Film, der die Situation, in der wir in der DDR lebten, so zeigt, daß es zwangsläufig zur Beseitigung der alten Macht kommen mußte.
Heute wird so getan, als sei dieser Herbst 1989 wirklich ganz überraschend gekommen. Aber so war es nicht. Allerdings erwarteten wir eine andere Form. Aber jeder in der DDR hat doch in den letzten Jahren diese immer stärker werdende Spannung gespürt. Und immer mehr Leute waren bereit, nicht nur darüber nachzudenken sondern auch etwas zu tun, um diese Spannung öffentlich zu machen und Konsequenzen für ihr Leben zu ziehen. Das wollten wir mit dem Film auch.
Hatten Sie eigentlich Angst vor Ihrem eigenen Mut?
Nein. Die Verabredung, unzensiert, ehrlich, offen, unkontrolliert durch die innere Vorzensur zu schreiben, gab uns Freude. Michael Kny, das Vorbild für unseren Daniel, der auch unser Fachberater war, erzählte uns von seiner Arbeit in Marzahn. Es war absurd, in vielem absurder als im im Film. Oft ging es um technologische und betriebliche Details - das wäre im Film langweilig. Michael Kny und sein Team haben zum Beispiel eine Post gebaut, die zwar origineller als das Standardmodell war, aber zu billig; damit hatte der Betrieb den Plan nicht erfüllt und es gab Schwierigkeiten das ist doch verrückt.
Sind Sie traurig, daß „Architekten“ nicht im Sommer 1989 in die Kinos gekommen ist?
Es wäre schon wichtig gewesen. Aber ich weiß nicht, ob er dann hätte aufgeführt werden dürfen.
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