: Lafontaine als Dilemma der SPD
Die Sperre gegen einen Neuanfang sozialdemokratischer Deutschland-Politik ■ K O M M E N T A R E
Der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine wurde einmal als Hoffnungsträger für die Bundesrepublik gesehen - wegen seines Profiles in der Umwelt-, Friedens- und Sozialpolitik gehörte er zu den als „Enkel“ Willy Brandts apostrophierten, jüngeren SPD-Politikern, deren Deutschlandpolitik auf die Stabilisierung des DDR-Regimes baute. Der 9. November 1989 hat alles verändert - zwischen Willy Brandt und Lafontaine tat sich ein Graben auf, in dem die SPD-Politik nun zu versinken droht.
Während Willy Brandt, der alte Berliner Bürgermeister, geradezu auflebte, profilierte sich Lafontaine über die steigenden Belastungen der Kommunen. Heute ist es ihm ein Argument gegen frühzeitige gemeinsame Parlamentswahlen, daß danach zwei unterschiedliche Sozialniveaus in einem Staat existieren würden. Er hat keinen Vorschlag, wie das Sozialniveau der DDR anders und schneller anzuheben sei, keine politische Alternative. Deswegen kann Lafontaine auch nicht fordern, daß die SPD dort, wo sie die Mehrheit hätte (im Bundesrat), gegen den Staatsvertrag stimmt. Nur dort, wo die SPD nicht die Macht hat (im Bundestag), sollen die Abgeordneten ihr Oppositions-Händchen heben.
Wenn die SPD sich nicht schnell nach einem anderen Kanzlerkandidaten umsieht, manövriert sie Lafontaine ins Abseits. Seine Kanzlerschelte, Kohl behandle die deutsche Einheit als Privatsache, mutet wie eine Projektion an bei einem Politiker, der aus lauter Machtsucht und Eitelkeit die SPD-Politik wie seine Privatsache behandelt. Der Sinn des Manövers scheint sich auf den persönlichen Kotau der Abgeordneten vor dem Kandidaten zu reduzieren. Lafontaine hat sich mit seinem Politik-Stil schon innerhalb der SPD -Linken einsam gemacht.
Es sind aber nicht nur seine persönlichen Grenzen, die da deutlich werden. Die zwischenstaatlich angelegte Entspannungsdiplomatie der SPD wurde durch die „Wir sind das Volk„-Rufe jäh beendet, auch Lafontaine muß sich seiner nur wenige Jahre zurückliegenden Vorstöße zur Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft schämen. Die angeblichen „Enkel“ Willy Brandts, ausgenommen der neue (West-)Berliner Bürgermeister Walter Momper, schmollen gegen den Lauf der deutsch-deutschen Geschichte. Anstelle einer Debatte um einen Neuanfang der Europa-, Umwelt- und Sozialpolitik für ganz Deutschland gibt es einen Terminstreit um Währungsunion und Wahl. Lafontaine sucht den Konflikt mit seiner Bundestagsfraktion an einem Punkt, von dem er eines genau weiß: Er wird verlieren.
Klaus Wolschner, Berlin
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