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ARE MUSEUMS SEXY?

■ „New York-Neukölln“ von Holly Jane Rahlens in der Grips-Probebühne

Zu einer Aufführung mit dem Titel „New-York-Neukölln“ gehe ich ja mit sehr gemischten Gefühlen. Vielleicht sollen da alle meine Wunden einmal durchgestochert werden? Schließlich wohne ich auch in Neukölln und nicht in New York, wie es sich eigentlich für mich gehören würde. Und ich würde heute auch lieber im Central Park spazieren gehen statt am Paul -Linke-Ufer. Holly Jane Rahlens, die Autorin und Selbstdarstellerin, vermißt mehr das Klitschige der 'New York Times‘, doch beim Kreischen der Subway in New York City sind wir uns wieder einig. Ach, und wie die heißen Pretzeln auf der Fifth Avenue riechen...

Nun, eine Frau, ganz privat im Morgenrock erwischt, plaudert uns eingeweiht werdenden aus ihrem Seelensammelsurium, was dann hinreicht bis zu einer schwierigen, nicht zu Ende verdauten Gegenwart. Doch da steht niemand über den Dingen. Sie hat's also mit Museen. Zuerst glaubte sie nämlich im Metropolitan Museum of Art (Was wirklich ein empfehlenswerter Ort ist) Dustin Hoffmann zu treffen, er hat sie frappierend angelächelt und dann schließlich mit deutschem Akzent gewispert, daß er Jürgen sei, und da ist sie also Jürgen hinterher bis nach Neukölln gereist, war sehr erstaunt über all die weißen Vorhänge hier und kann das Wort „Stores“ heute noch nicht aussprechen. Tja, mit Jürgen war es so eine Sache für sich und vor allem mit den WG-Genossen, wobei sie eine Kostprobe typischer Polit-Klischee-Moralisten erwischt zu haben scheint. Durch die Gehirnschleuder der Parolen hat sie sich drehen lassen, „USA-SS-SA!“ Dabei wachte sie dann auf, und pragmatisch -verräterisch genug sich selbst gegenüber war sie nicht, Deutsche zu werden. Als Jüdin bleibt ihre Wurzel fern. „Home is where you don't have to explain yourself“ hat ihr Hannes im Martin-Gropius-Bau gesagt, wo es wieder mal geschah. Direkt vor dem Antlitz von Marcel Reich-Ranicki, im Rahmen jüdischer Porträts also, „desert reptile's faces“, wie sie sehr bildhaft sagt, und wo sie sich stolz fühlte, „to be of that family“. Holly Janes Rahlens hält sich, vielleicht als Lebensanstrengung, an ihre Identität, und das gibt dem Theaterstück eine wunderbare Achse. Ihr Herz ist auf den Magen gerutscht, da hat sie ihm einfach die Zahnpastaspritzer von der Brille gekratzt, und er hat sie doch tatsächlich geküßt, der Gute!! Congratulations!

Doch auch Hannes war ein schwieriger Fall: Er war „friendly and outgoing“, was „very rare among German men“ ist... Holly steht sicher nicht allein mit solchen Erfahrungen da: Er war ein wandelndes Literaturlexikon - da hätte sie stutzig werden können -, und er liebte Doppelkopf. Na dann! Also, Hannes sprach den richtigen Satz zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und der Sommer war ein Sommer, der Kudamm ein Kudamm und die Icecream eine Icecream, wie eben jeder Frühling nur einen Mai hat und dann, und dann, und dann,... Ach, Hannes war eine Seifenblase, eines Tages hat ihr schlechtes Gefühl sie nicht getrogen, und er hatte keine guten Nachrichten. Doch ihre Freundin in New York sagt, es sei dort nicht besser, die Männer wären entweder verheiratet oder schwul. So bleibt ihr der „european provincial charm“ von Berlin...

Mit ein bißchen Musik und einer sehr gelungenen Umkleideszene, in der sie sich als Schatten hinterm Paravent räkelt, gestikuliert sich Holly Jane Rahlens lebhaft durch ihre Erinnerungen hindurch. Sie hat's gewiß nicht leicht gehabt hier mit den Leuten, wo sie alle mit garstigster englischer Aussprache, was sie sehr hübsch übermittelt, fragten, warum um Gottes willen sie hier lebe, und sie alle würden New York kennen. Doch aufgepaßt: „New York is everything but Manhattan!“ Eine jüdische Kindheit in den outskirts von New York ist sehr glaubhaft ein Ding für sich, in Far Rockaway (Final Stop of the A-Train) „the last place you want to be“ hing sie mit ihrer Schwester bei eisigem Wind aus dem Fenster, sie hörten ein gleichmäßiges Pochen und waren sicher, daß es von den Gefangenen im Gefängnis nebenan käme, die so versuchten auszubrechen. Am Strand von Coney Island lagen „Condomes, you can put your toes into“, nach dieser begrenzten Romantik zogen ihre Eltern nach Forest Hills, und da gab es „middle-class“. Sie lernte „how to make people laugh“ als einziges, was sie gegen die Angeberei der Andern zu halten hatte. Heute ist Holly Jane Rahlens ein etwas trauriger Clown geworden, ihr Lachen kommt in der Show ein bißchen angestrengt, und das Dilemma bleibt bestehen: New York „is programmed into my bones“, the city that never sleeps, „in New York I feel a part of the whole“. Ich kann's so gut verstehen.

Sophia Ferdinand

Bis 10.Juni & 20. bis 30.Juni, 20.30 Uhr in der Grips -Probebühne. Jeweils Mi, Fr. und So. in authentic NY -English, Do. und Sa. auf Deutsch.

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