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Das Siebeneinhalb-Minuten-Spektakel

■ Bei der ersten offenen DDR-Mehrkampf-Meisterschaften trafen Zehnkämpfer-Generationen aufeinander: Von Guido Kratschmer über Torsten Voss bis hin zu Senkrechtstarter Torsten Dauth

Neubrandenburg (taz) - Ein Zehnkampf dauert zwei Tage. Das stimmt nicht. Er dauert rund siebeneinhalb Minuten. Der Rest ist Pause, Ausruhen und Warten. Böiger Wind und peitschender Regen auf dem flachen Land von Neubrandenburg machten diese elfte Disziplin am Wochenende besonders bedeutsam. Dabei waren die ersten offenen DDR-Titelkämpfe der Mehrkämpfer ein Treff zehnkämpferischer Generationen.

Da war zum Beispiel Guido Kratschmer, der die größte Erfahrung in der Pausengestaltung haben müßte. Niemand hat mehr Zehnkämpfe bestritten als der Ex-Weltrekordler, der sich heute mit Vorträgen über die Philosophie seiner Sportart oder mit der Anleitung von Frühsportlern auf Kreuzfahrtschiffen beschäftigt.

Nach Neubrandenburg folgte er einer Einladung an ehemalige deutsche Zehnkampf-Meister aus Ost und West und konnte miterleben, wie einer DDR-Meister wurde, den er schulterklopfend als Kollegen aus gemeinsamer Zeit begrüßte.

Torsten Voß verbrachte zumindest die regenfreien Wettkampfpausen auf dem mitgebrachten Campingstuhl und betrachtete gelassen die Mühen seiner Kontrahenten. Vor 20 Monaten in Seoul zum letzten Mal als Olympiazweiter den Zehner-Test überstanden, feierte der Weltmeister von 1987 ein gelungenen Comeback. Vor den Augen der Familienmitglieder und weniger Zuschauern erreichte er 8.275 Unwetter-Punkte, und meinte, daß bei sonnige Wärme noch 300 Punkte mehr möglich gewesen wären. Die internationale Konkurrenz von Plaziat bis Wentz wird jedenfalls zur Kenntnis nehmen, daß aus der DDR wieder zwei Vielseitigkeits -Athleten zu erwarten sind.

Der Mann neben Voß ist Olympiasieger Christian Schenk, in Neubrandenburg nach einem Berg-und-Tal-Zehnkampf Zweiter mit 8.065 Punkten. Da der Rostocker Klub ihm keine angemessenen Angebote hinsichtlich seiner sportlich-familiären Zukunft unterbreitet, verweigert Schenk die blau-weißen Klubfarben und trat ganz in Schwarz an. „So krieg ich wenigstens alle Sonnenstrahlen ab.“ Eigentlich möchte er gerne an der Ostsee bleiben. Noch lieber aber will er einer der dominierenden Zehnkämpfer der Zukunft sein. Klug, pfiffig und locker ist der Medizinstudent Schenk, der Übertyp für die Medien. Und für die Medienvertreter: Als er sah, wie am Wochenende die Journalisten froren, versorgte er sie kurzerhand mit wärmenden Pullovern. Schenk, ein Mann, der leicht zum Idol gemacht wird, wenn er seine Ausstrahlung mit sportlichen Triumphen verbinden kann. Sportlich hat er allerdings für die Europameisterschafts-Saison noch einiges offen gelassen.

Für Torsten Dauth aus der BRD ist die EM in Split im August noch kein Thema. Trotzdem wurde der dritte Zehnkampf des 22jährigen Naturburschen zu einem Medienereignis. Noch vor zwei Wochen stand er für die Kerbener Kicker im Fußballtor der Landesliga, dann mußte er sich entscheiden: Dritter Torwart beim 1. FC Köln oder Neuling im Lager der Zehnkämpfer. Er wählte den Zehnkampf. Und wuchtete sich in Neubrandenburg mit ungestümer Kraft durch den Wettkampf, schraubte sogleich seine Bestmarke um 300 Punkte auf 7.591 Punkte hoch.

Währenddessen überboten sich die Fachleute am Rande in Prognosen. Auf jeden Fall scheint der Newcomer der größte Rohdiamant zu sein, der seit langer Zeit in der Zehnkampf -Szene aufgetaucht ist. Nun folgt der Feinschliff.

In Neubrandenburg nutzte Torsten Dauth deshalb auch jede Chance, sich etwas von den Cracks abzuschauen. Und dazu hatte er in zwei Tagen genügend Zeit, denn, wie gesangt, in Wahrheit dauert der Wettkampf nur siebeneinhalb Minuten.

Hagen Boßdorf Zehnkampf: 3. Robert Smelik (CSFR) 7.983, 4. Thomas Fahner (Potsdam) 7.864, 5. Sten Egberg (Schweden) 7.669; Siebenkampf: 1. Heike Tischler (Neubrandenburg) 6.430 Punkte, 2. Peggy Beer (Berlin) 6.326, 3. Birgit Gautzsch (Chemnitz) 6.209, 4. Monika Westen (Schweden) 5.936, 5. Maria Kamrowska (Polen) 5.710, 6. Helene Friberg (Schweden) 5.606.

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