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Ost-Berlin erlebt einen Brotkaufrausch

■ Statt subventionierter Ostware füllen immer mehr teure Westprodukte die Kaufhallenregale / Fleisch wird langsam, aber sicher zur Mangelware / Das Backwarenkombinat kommt mit dem Brotbacken nicht mehr hinterher

Ost-Berlin. Lange Schlangen in Kaufhallen und Fleischerläden ist der Ostberliner ja eigentlich gewöhnt; im Anstehen hat er ein jahrzehntelanges Training hinter sich, da bringt ihn so schnell nichts mehr aus der Ruhe. Und daß es vor diversen Feiertagen in den Eingangszonen der sogenannten „Versorgungseinrichtungen für Waren des täglichen Bedarfs“ zu größeren Rückstaus kommt, ist normal. Was sich jedoch derzeit in den Geschäften und Kaufhallen der Hauptstadt abspielt, übertrifft vieles bisher dagewesene.

Während einerseits viel Buntverpacktes aus westlichen Landen aus den Regalen quillt, ist bei solch profanen Dingen wie dem täglichen Brot oder einem einfachen Stück Schweinefleisch meist schon zwei Stunden vor Ladenschluß totale Ebbe.

In der für derzeitige Verhältnisse gutsortierten Kaufhalle Leninplatz im Stadtbezirk Friedrichshain versucht die Leiterin vom Dienst, das Chaos so gut wie möglich zu verwalten. „Dabei sind wir hier noch in der glücklichen Lage, dem Centrum-Warenhaus am Hauptbahnhof anzugehören“, meint die resolute junge Frau, „da gibt es einen eigenen Fuhrpark, mit dem dann immer noch das Notwendigste herangefahren werden kann. Da sind die Hallen von der HO oder vom Konsum viel mieser dran. Trotzdem bekommen wir längst nicht alles, was auch tatsächlich benötigt wird.“ So sei der Mangel in der Fleischversorgung einfach nicht mehr zu überspielen - Woche für Woche werden mindestens zwei Tonnen Kernfleisch zuwenig angeliefert. Und dann der ebenfalls seit Wochen anhaltende Ärger mit dem Brot: „Jetzt haben wir zwar gerade eine Ladung bekommen - aber fragen Sie mich bitte nicht, wie lange die reicht.“

So bleibt dem gebeutelten Ostberliner dann nur noch übrig, zum folienverpackten West-Brot zu greifen (zehn Scheiben zu 3,20 DM) oder die Wurst ohne Stulle zu sich zu nehmen sofern er abends noch Wurst bekommt. Es wurden schon Gerüchte laut, das Backwarenkombinat habe die Produktion gedrosselt, das Mehl würde für die Zeit nach der Währungsunion gehortet etc. Jürgen Scherdin, Leiter des Büros des Kombinatsdirektors im Ostberliner Backwarenkombinat (bako), winkt ab: „So schnell, wie wir derzeit liefern müßten, können wir gar nicht backen!“ Bako stellt 85 Prozent des Ostberliner Brotes her - die restlichen 15 Prozent werden nach alter Art und Weise von zumeist privaten Bäckermeistern hergestellt. „Das ganze System ist durcheinandergeraten“, klagt Scherdin und holt die Tabellen mit den aktuellen Produktionszahlen hervor. „Die langjährigen Erfahrungswerte sind keinen Pfifferling mehr wert - man kann sich praktisch an nichts mehr orientieren. Hatten wir an den Donnerstagen vor Pfingsten stets eine Abnahmemenge von zirka 140 Tonnen Laibbrot, so gab es in diesem Jahr Bestellungen von sage und schreibe 200 Tonnen. Pfingstfreitag ist das Verhältnis auf 177 zu 226 gestiegen, und bei den anderen Brotsorten sieht es nicht anders aus.“

Woher kommt der hohe Bedarf? Jürgen Scherdin zuckt ratlos mit den Schultern: „Da kann ich bloß raten. Sicher ist, daß wir nach den ersten West-Importen auf unseren Produkten sitzenblieben und dann folgerichtig weniger produzierten. Dann jedoch erhöhte sich - wohl auf Grund des noch vorhandenen Preisvorteils - der Absatz wieder, und der Vorrat in den Verkaufsstellen war schnell aufgebraucht. Dadurch gibt es keine 'alten‘ Bestände mehr, und unser Brot kommt so frisch wie selten auf den Ladentisch. Ofenwarmes Brot aber mögen die Leute besonders und kaufen deshalb mehr davon - es ist ein Teufelskreis!“

Natürlich sei es auch nicht auszuschließen, daß besonders Pfiffige sich größere Mengen dieser preisgestützten Backware einfrieren - um so auch nach dem 2. Juli von subventionierter Nahrung leben zu können. Und während die bako-Leute backen wie noch nie und die VerkäuferInnen mit dem Einsortieren nicht mehr nachkommen, geht der run auf die Brotregale weiter. Und es steht zu befürchten, daß er erst mit der Währungsreform ein Ende hat.

Olaf Kampmann

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