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In vino Eutypas: der Pilz im Allerheiligsten

Ein bislang unheilbarer Rebenbefall macht den Winzern in Bordeaux und Cognac zu schaffen / Erste Vergleiche mit der Reblausplage Der Basler Chemiekonzern Sandoz kommt mit der chemischen Schere zu Hilfe / „Safer-cutting“ und eiserne Hygiene im Weinberg gefordert  ■  Von Alexander Smoltczyk

Bordeaux (taz) - Heiliger Boden. Eine Gegend, in der auf Landkarten verzichtet werden kann - die Weinkarte eines Vier -Sterne-Restaurants reicht zur Orientierung völlig aus. „Chateau d'Issac“, „Mouton Rothschild“, „Chateau Margaux“, „Chateau Latour“. Das sind die weltberühmten Landmarken im Medoc, der legendären Weingegend zwischen Bourdeaux und Soulac, am Südufer der Gironde. Wohlbeharkt und kiesbepudert stehen hier die „Grands Crus“ nebeneinander, keine schlichte Nutzflora, sondern önologische Kunstwerke, hochgezüchtet von Generationen emsiger Bordeaux-Winzer und ermöglicht durch die einmalige Dialektik von Mikroklima und karstem Kiesboden. Was hier wächst hat Adel - bis auf eine Ausnahme: der Eutypa lata, jenem ebenfalls ungemein gut gedeihendem Mikropilz, der seit einiger Zeit das Medoc -Ländchen in Unruhe, ja Schrecken versetzt.

„Eine Katastrophe“, meint etwa Monsieur Godin, Rebenmeister des „Chateau de Pichon“ der Comtesse von Lalande (Kenner wissen: Gran Cru classe deuxieme). „Seit vier Jahren müssen wir jede Saison fünf Prozent unserer Weinstöcke ausreißen. Wir haben alles ausprobiert: Es gibt kein wirksames Mittel gegen den Pilz. Das wird noch so werden wie damals mit der Excoriose...“ Horribile dictu: Ende des vorigen Jahrhunderts raffte die Reblaus den gesamten Rebstockbestand Frankreichs hinweg und löste Hungerrevolten der Winzer aus. Erst der Import der resistenteren Rebe Vitis labrusca, ebenso wie die tückische Laus aus den USA stammend, gebot dem Kerbtier Einhalt. Seither werden alle französischen Rebenarten einem US-Stock aufgepropft.

Und nun also die Eutypiose - eine Art „Weinkrebs“, wie Monsieur Godin angesichts der Symptome menschelt: Im Inneren der Zweige bilden sich dunkelbraune, Verknorpelungen, die den Säften ihren Weg durch die Kapillaren versperren und zur sichtbaren Folge haben, daß die Blätter an den Rändern bräunlich werden und sich kräuseln, als wären sie mit Unkrautvernichtern besprüht worden.

„Aids“ im Weinberg?

In den Versammlungen, zu denen das Winzersyndikat des Medoc in diesen Tagen ruft (Erscheinen ist Pflicht), hat sich ein Vokabular eingebürgert, das aus anderen Zusammenhängen bekannt ist. Von „positivem Befund“ ist die Rede, von „Kontaminierung“ und „kollektiver Prophylaxe“, um die Ansteckungsgefahr zu senken. Der Pilz, soviel ist bislang bekannt, gehört zur heimtückerischeren Art der Parasiten. Eutypa überwintert im alten Rebenholz. Sobald es stärker regnet oder windet, werden die Sporen des Pilzes befreit. Ein Quadratzentimeter Holz kann innerhalb von 24 Stunden eine Milliarde Pilzsporen verbreiten - in einem Umkreis von bis zu 60 Kilometern. Das Nationale Agrarforschungsinstitut (INRA) errechnete für einige Weinbaugebiete eine Sporenkonzentration von 50.000 bis 1.000.000 pro Kubikmeter Luft. Wiederum durch Regen kommen die Sporen in Berührung mit den frischen Schnittstellen von Weinstöcken (aber auch Obstbäumen) und machen es sich in der Pflanze bequem. Deshalb sind die Wintermonate, in denen der Wein beschnitten wird, am kritischsten für eine Infizierung. Erst 60 Tage nach dem Schnitt sind die Reben wieder resistent gegen Eutypa.

Sind die Weinstöcke befallen, führt der Pilz zum stellenweisen Absterben des Holzes und scheidet eine giftige Flüssigkeit ab, die vermutlich für die Verfärbung der Blätter verantwortlich ist. Zwischen Infektion und Symptomäußerungen können, so fanden die Weinpathologen heraus, zwischen sechs und zehn Jahren vergehen.

„Die Lage ist ernst, aber es wird auch viel hochgespielt vor allem von der Presse anderer Weinländer“. Godins Kollege vom Edel-Keller „Clos d'Estournel“ (vis-a-vis von der Spitzen-Lage „Lafite-Rothschild“) weist darauf hin, daß auch früher ein gewisser Prozentsatz von Stöcken ausgerissen werden mußte, nur habe man dafür bisher keine Krankheit verantwortlich gemacht. Sein Wort in Bacchus Ohr. Die Önologen des Bordelaisgebiets sind anderer Auffassung. Sie schlagen schon seit längeren Alarm: „Seit die Eutypiose 1977 in den französischen Weingebieten entdeckt wurde, hat sie eine epidemische Entwicklung gezeigt, die mit der Ulmengraphiose vergleichbar ist.“ (Die Ulmengraphiose ist eine unheilbare Pilzkrankheit, die dazu geführt hat, daß es in Europa praktisch keine gesunde Ulme mehr gibt - d.Red.). „Es ist absolut sicher, daß diese Krankheit die pflanzenhygienische Geschichte des Weins bis zum Ende des Jahrhunderts beherrschen wird“, resümiert Bernadette Dubos, vom pflanzenpathologischen Institut der INRA in Villenave d'Ornon. Ihre Forschungsgruppe mußte kürzlich feststellen, daß durch die Eutypiose „ein Drittel des Anbaugebiets von Cognac in seiner Produktivität beeinträchtigt ist“. Im Medoc und im angrenzenden Weingebiet von Graves weist ein Fünftel der 15 bis 25 Jahre alten Weinstöcke einen positiven Befund auf - also gerade diejenige Weinstockgeneration, die dem Bordeaux seine Qualität verschafft. Und, so die Studie von Bernadette Dubos weiter: Gegenüber 1988 hat die Symptomhäufigkeit um zehn Prozent zugenommen. Betroffen sind - so das Fachblatt 'Phytoma‘ - außerdem die Anbauregionen Beaujolais, Languedoc-Roussillon, Elsaß, und in besonderem Maße Gaillac.

Was tun, fragen sich also nicht allein die Winzer des Bordeauxgebiets. Die regionale Forst- und Landwirtschaftsdirektion weiß nur einen Rat: safer intercourse zwischen Mensch und Pflanze. „Vermeidet zu tiefe Schnitte und verbrennt unverzüglich alle abgestorbenen Triebe!“, appelliert sie an die Winzer. Die zunehmende Mechanisierung des Rebenschneidens, die weitaus tiefere Verletzungen hinterläßt als der sorgsame Handbetrieb, wird mitverantwortlich gemacht für die rasche Verbreitung des üblen Pilzes. Auch ausgerissene Rebstöcke müßten im Interesse der Hygiene sofort vernichtet werden. „Schon wenige Stapel unachtsam beiseite gelegter alter Rebstöcke können ein Risiko für eine kleine Weinregion bedeuten. Überzeugt Eure Nachbarn: Vorbeugende Maßnahmen helfen nur, wenn sie kollektiv eingehalten werden!“

Bisher, so die einhellige Meinung von Rebmeistern und -forschern, habe die Solidarität funktioniert. Die Rebenholzhaufen am Rande der Hänge sind heute verschwunden, und die meisten Chateaux achten auf Safer-cutting und die Sauberkeit ihrer Weingärten. Vereinzelt wird versucht, Schnittstellen mit pilzabtötender Paste zu verschließen. Auf der Spitzenlage „Clos d'Estournel“ experimentiert man seit einigen Wochen mit einer Spezialschere, die vom Schweizer Chemieunternehmen Sandoz - bekanntlich der Ausrottung von Pilzen und sonstigen Lebewesen sehr verpflichtet - auf den Markt gebracht hat. Die Schere versprüht beim Schneiden ein Pilzgift, eine Mischung auf Benzimidazolbasis. Weil das Produkt im Winter aufgetragen wird, wenn weder Frucht noch Blatt zu sehen sind, stelle es, so die INRA, angeblich keinerlei Gesundheitsrisiko für den Weintrinker dar. Allerdings, so der Rebenmeister von „Clois d'Estournel“, dringe die Flüssigkeit nicht tief genug in die Rebe ein. Und: „Wenn die Schere falsch gehalten wird, geht alles daneben.“ Auch sei das Sandoz-Mittelchen rein prophylaktisch: Sobald eine Rebe einmal infiziert ist, muß sie auf jeden Fall ausgerissen und vernichtet werden. Im Medoc kommt dies einer blasphemischen Tat gleich. So hoffen die Winzer insgeheim auf eine neue „Boille Bordelaise“, jene berühmt gewordenen Bordelaiserbrühe, die - nicht zu verwechseln mit der Bouillabaisse - 1882 in den Laboren der späteren INRA erfunden wurde und seither weltwelt als Wunderwaffe im Weinbau zum Schutz der Rebe gilt. (Die Winzer hoffen nicht allein - der Sezza und die gesamte Redaktion.)

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