18 Quadratmeter Westdeutschland

■ Der Medienrummel um die DDR-ÜbersiedlerInnen ist abgeebbt - doch die Probleme sind längst nicht gelöst / Ein Besuch im Wohnheim

Kreuzberg. „Interessiert das denn überhaupt noch jemanden, was mit uns ist?“ Die ehemalige Ostberlinerin Birgit Viola ist skeptisch. Zwar wohnt sie erst seit einem halben Jahr im westlichen Teil der Stadt, doch das themenverschleißende Mediensystem hiesiger Breitengrade hat sie längst durchschaut. „Im letzten Herbst ist doch so viel über die Übersiedler gekommen, jetzt interessiert wieder nur noch die große Politik“, meint die 32jährige Mutter von zwei Söhnen resigniert. Dabei fingen die eigentlichen Probleme der meisten Übersiedler erst nach dem in Turnhallen und Wohnheimen inszenierten Medienrummel an. Wohnungssuche, Behördendschungel und die Tücken eines unbekannten Alltags zerren an dem ohnehin schon oft angeknacksten Nervenkostüm.

Birgit Viola ist erstaunlich guter Dinge. Seit sechs Monaten muß sie sich ein kleines Zimmer im Kreuzberger Wohnheim an der Zeughofstraße mit ihren beiden Kindern teilen. „Ich bin mit dem Gedanken rüber, erstmal eine Weile in einer Turnhalle zu wohnen.“ Für sie ist die Minimalbehausung immerhin ein Fortschritt und keineswegs so schockierend wie für den fremden Besucher.

In die 18 Quadratmeter Wohnfläche sind drei Betten, eine Kochnische, zwei Schränke und ein Tisch hineingequetscht. Letzterer dient je nach Bedarf als Rennstrecke für die Spielzeugautos oder als Eßtisch. 250 Mark Miete kostet die Behausung monatlich. Klos und Duschen befinden sich zur gemeinschaftlichen Benutzung mit den Nachbarn auf dem Gang.

Auf Dauer sei das keine Lösung, findet die alleinerziehende Mutter, vor allem wegen der Kinder. „In Ost-Berlin hatten wir eine schöne Vier-Zimmer-Wohnung.“ So eine hätte sie jetzt auch gerne in West-Berlin. Ein utopischer Gedanke angesichts der katastrophalen Wohnungsnot. Vierzig Wohnungsbaugesellschaften habe sie schon angeschrieben, jedesmal vergeblich. „Wenn man da keinen Bekannten hat, der was weiß, läuft da gar nichts.“ Erschwerend kommt hinzu, daß sie alleinerziehend und zudem auch noch arbeitslos ist. Ihre Hoffnung: Entweder versorgt die Familie das Bezirksamt mit einer Wohnung oder eines der zahllosen Bewerbungsschreiben hat Erfolg. „Jedenfalls hoffe ich nicht, fünf Jahre so weiterwohnen zu müssen.“

Erfahrungen mit den Behörden habe sie gesammelt. Und auch das Kennenlernen des hiesigen Schulsystems und Rechtsgefüges hat sie viel Zeit gekostet. „Ich lese alles an Broschüren, was mir unter die Finger kommt, um das System hier kennenzulernen.“ Dazu kommt sie meistens erst, wenn die Kinder in ihr Doppelstockbett verschwunden sind. „Aber sogar abends um zehn Uhr ist hier oft noch soviel Krach in den Fluren, daß man überhaupt keine Ruhe findet.“ 130 Aus- und Übersiedler wohnen in dem Heim, davon allein 50 Kinder. „Viele Eltern lassen ihre Kinder einfach raus auf den Flur und kümmern sich dann nicht mehr drum“, beschwert sich Birgit Viola.

Persönlich hat sie das ihren Nachbarn aber noch nicht gesagt. „Der Kontakt untereinander existiert fast nicht.“ Über Probleme, die durch das beengte Zusammenleben entstehen, herrscht Stillschweigen. „Wer sich hier andauernd kracht, das sind die Kinder.“ Spielzeug gehe in Windeseile zu Bruch. Erst vor kurzer Zeit sei im Keller ein Spielzimmer von der Heimleitung eingerichtet worden. „Das war schon nach einem Tag fast ganz demoliert“, erzählt die Mutter. Kinder verkraften den lebensverändernden Umzug oft noch weniger als ihre Eltern und wehren sich auf ihre Weise. „Meine beiden haben das zunächst auch nicht kapiert, die wollten ihr Kinderzimmer wieder.“

Mittlerweile hätten sie die neue Umgebung aber akzeptiert. Als die Mutter jedoch kurz ihr Zimmer zeigen will, und ihren Söhnen beim Spielen im Weg ist, ruft der Jüngste: „Mama, geh doch mal raus, wir wollen spielen.“ Ungerührt macht die Mutter die Tür wieder von außen zu.

Auf dem Gang, der an das Interieur einer alten Kaserne erinnert, hallen die Schreie tobender Kinder. „Nee, bereuen tu ich das nicht, daß ich hergekommen bin“, meint Birgit Viola und guckt gedankenverloren aus dem Fenster in den düsteren Hinterhof. „Mein Ziel ist doch, mich selbst zu finden und daß es den Kindern gut geht.“ Und das klappe für sie nach wie vor nur im Westen.

Christine Berger