piwik no script img

Böse Nachricht für Mieter

■ Sozialer Wohnungsbau aus den sechziger Jahren: Mieter machtlos gegen Sprünge bei Kreditzinsen für Wohnungen / Der Senat schaut bisher tatenlos zu

Charlottenburg. Familie Schmidt glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als der Brief von ihrer Hausverwaltung kam. Ihre Miete, so erfuhren sie, wird sich ab Juli mal eben verdoppeln: Von gut 800 Mark warm wird sie auf etwa 1.600 Mark steigen, und das für eine Sozialwohnung. Diese Mieterhöhung ist auch noch völlig legal.

Nicht nur Familie Schmidt, alle Hausbewohner mehrerer Charlottenburger Häuser in der Schillerstraße, der Krummen Straße und der Mommsenstraße fanden ein solches Schreiben in ihrem Briefkasten. „Hier wohnen fast nur Familien mit mehreren Kindern, da verdient der Mann alleine und die Frauen kümmern sich um die Familie. Die können das nie und nimmer aufbringen“, sagt Frau Schmidt. Sie selbst ist Erzieherin auf einer Halbtagsstelle und hat zwei kleine Söhne. Ihr Mann arbeitet als Pädagoge, aber auch bei Familie Schmidt würde das Einkommen nicht reichen, um eine Mieterhöhung von 100 Prozent zu bezahlen. „Mein Mann hat beim Wohngeldamt angerufen, aber die haben ihn abgewimmelt. Es gebe zwar prinzipiell Mietausgleich, haben die gesagt, aber das sei eine Kann-Bestimmung, und überhaupt sei die Rechtslage nicht geklärt.“

Die ungeklärte Rechtslage hat der Senat verschuldet. Nicht der jetzige, doch der tat bisher nichts, obwohl sich der Umfang des Problems seit Monaten immer deutlicher abzeichnet: 15.000 Westberliner Sozialmieter bekommen in diesen Monaten ähnliche Schreiben. Grund dafür sind die Förderungsbestimmungen für den sozialen Wohnungsbau aus den sechziger Jahren. Der Soziale Wohnungsbau wird langfristig über Kredite finanziert. Diese Kredite kosten Zinsen und den Zinssatz legte der Senat damals auf nur zehn Jahre fest. Nun machten gerade in den letzten zehn Jahren die Kreditzinsen einen merklichen Sprung hinauf zur heutigen Hochzinsphase. Und dies trifft nun die 15.000 Sozialwohnungen, deren Zehn -Jahres-Frist zu Ende geht. Und all dies schlägt sich auf die Miete nieder.

Für die komplizierten Bestimmungen des Sozialen Wohnungsbaus kann Familie Schmidt nichts. Sie wurde, wie viele andere, völlig überrascht. „Jetzt können wir auch nicht umziehen, denn man findet ja nichts. Man sitzt gefangen in einem goldenen Käfig“, meint Frau Schmidt. Verantwortlich ist auch nicht der Hauseigentümer, denn dem werden die Zinsen von der Bank diktiert. „Wir haben das nachgeprüft, das ist alles korrekt berechnet.“ Deshalb wandte man sich an Nagel mit einer Unterschriftenliste, übrigens nicht als erste. Schon vor zwei Monaten forderte der Berliner Mieterverein, der Senat solle die nun so plötzlich teurer gewordenen Hypotheken durch Darlehen der öffentlichen Hand ablösen. Doch bislang hört man vom Bausenator zu diesem Thema nichts.

esch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen