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Philipp Jenninger kriegt sein Bonbon

■ Über Philipp Jenningers Rede zum 50. Jahrestag der „Reichskristallnacht“ hat sich genügend Geschichte abgelagert: Anfang nächsten Jahres geht er als Botschafter der Bundesrepublik nach Wien

Berlin (taz) - Der ehemalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger bekommt, was er schon lange verdient hatte: Eine standesgemäße Abfindung dafür, daß er am 9. November 1988 zum 50. Jahrestag der „Reichskristallnacht“ so sprach, wie es sein Ziehvater Helmut Kohl von ihm erwartet hatte. Nach einem internationalen Eklat mußte er ihn aber kaltblütig fallen lassen: Jenninger wurde zum „einfachen Abgeordneten“.

Anfang nächsten Jahres wird der eher phlegmatische Schwabe deutscher Botschafter in Wien. Bis zum wohlverdienten Ruhestand hat er noch acht Jahre vor sich. Aber nicht nur die Rede ('FAZ‘: „Das mildeste Urteil lautet: Gut gemeint, aber nicht gekonnt“) machte es für Helmut Kohl zwingend nötig, Jenninger abzufinden. Beschäftigungslos und frustriert hätte er womöglich anfangen können, seine Memoiren zu schreiben: Schließlich war Jenninger 1982 bis 1984 der Verbindungsmann zwischen Kohl und Honecker. Er hatte an dem ersten Milliardenkredit von 1983 für den maroden SED-Staat diskret mitgewirkt und die Einladung Honeckers zum Staatsbesuch in der Bundesrepublik entscheidend vorbereitet. Jenninger war Kohls Mann für einen durch „Nachrüstung“ zementierten Status quo - was könnte er alles erzählen...

Im übrigen hat der Mann recht behalten: „Manche wollen“, so hatte er gesagt, „daß die Deutschen bis in alle Zeit in der Anklagesituation stehen. Aus diesem Zustand müssen wir herauskommen...“ Das Ziel ist, zwar anders als es sich Jenninger vorstellen konnte, bravourös erreicht. Jenninger geht nach Wien, dorthin, wo man schon immer wußte, daß es einen Nationalsozialismus, Pogrome, Hitler oder Eichmann eigentlich nie gegeben habe, in ein Land, in dem die deutsche Verwaltung vor 52 Jahren schon einmal probte, wie sich ein „Anschluß“ schnell und billig organisieren läßt und wie man von Wien aus das „Tor nach Südosten“ aufstößt. Ob sich Jenninger wirklich aufs Altenteil begibt? Abwarten!

G.A.

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