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Walen wissenschaftlich ein Ende machen

Island, Norwegen und Japan werden auf der Konferenz der Internationalen Walfangkommission darauf dringen, die Meeressäuger wieder zum kommerziellen Abschuß freizugeben / Angeblich zu Forschungszwecken kamen in den 80ern 11.000 Tiere der dezimierten Bestände vor die Harpune / Nun „belegen“ Professoren gar eine Walschwemme  ■  Aus Reykjavik Reinhard Wolff

Zum ersten Mal seit 43 Jahren haben die Wale rund um Island Ruhe. Im Juni beginnt eigentlich die traditionelle Walfangsaison, aber dieses Jahr hat die isländische Regierung die Walfangflotte an die Kette gelegt. Daß die Schiffe im Hafen bleiben, wird damit begründet, man wolle die Ergebnisse der Konferenz der Internationalen Walfangkommission (IWC) vom 2. bis 6.Juli in Nordwijk bei Den Haag abwarten. Der Wahrheit wesentlich näher kommt sicher die Vermutung, daß der Boykott isländischen Fisches in den USA und Westeuropa zunehmend spürbar wurde.

Was immer neue alarmierende Untersuchungsberichte nicht vermochten, bewirkte ein mehrjähriger, vor allem in den USA, aber auch in der Bundesrepublik (unter anderem Tengelmann, Aldi, Nordsee) äußerst erfolgreicher Verbraucherboykott. Und der, so scheint es, muß fortgesetzt werden. Auf der IWC -Konferenz nächsten Monat wollen nämlich vor allem die Walfangnationen Island, Norwegen und Japan alles daran setzen, den Walfangstopp aufzuheben.

Ein richtiger Stopp freilich war es gar nicht. Das 1982 unterzeichnete Moratorium kam nur aufgrund eines Kompromisses zustande: Erlaubt blieb der „wissenschaftliche Walfang“. So wurden weiterhin jährlich Tausende von Walen harpuniert, obwohl keiner der Walfangexperten schlüssig erklären kann, welche wissenschaftlichen Zwecke eine solch breite Blutspur rechtferigen. Das Interesse am Fang zu wissenschaftlichen Zwecken jedenfalls stieg gewaltig. Wurden in den siebziger Jahren nur 1.000 Wale „wissenschaftlich bejagt“, waren es in den achtziger Jahren plötzlich 11.000. Daß da ganz andere als wissenschaftliche Gründe eine Rolle spielten, ist bei einem Kilopreis für Walfischfleisch von umgerechnet etwa 400 bis 500 DM einleuchtend. Das Fleisch der wissenschaftlich erlegten Wale wurde meistbietend versteigert und schmeckte vor allem den JapanerInnen ausgezeichnet. Die Walfangflotten hatten, wenn auch verkleinert, ihr Auskommen.

Auf längere Sicht soll es damit aber offensichtlich nicht sein Bewenden haben. Wenn sich die Delegationen der 35 IWC -Mitgliedsländer versammeln, sollen ihnen Forschungsberichte vorgelegt werden, die geradezu auf eine Walschwemme hindeuten: „68.000 Tiere sind das absolute Minimum, das sich aufgrund unserer Berechnungen ergibt“, beteuert beispielsweise Professor Arnoldus Schytte Blix vom Fachbereich Arktische Biologie der nordnorwegischen Universität Tromsö. Er ist Verfasser einer der „passenden“ Forschungsberichte, auf die die Walfänger nur gewartet haben. Ergebnis seiner Studie: Ohne Gefahr für den Bestand könne die norwegische Walfangflotte von nun an jährlich wieder 2.000 Tiere abschießen.

Als die IWC vor acht Jahren ihr löchriges Fangverbot erließ, geschah dies aufgrund von Zählungen, wonach der Bestand der Zwergwale im Nordatlantik auf alarmierende 18.000 Tiere reduziert worden war. Fünf Jahre vergingen dann noch, bis sich beispielsweise die norwegischen Walfänger 1987 dem Fangstopp anschlossen und nur noch „wissenschaftlich“ weiterjagten. Vor zwei Jahren wurden dann Zählungen vorgenommen, die auf einen Bestand von 19.000 bis 23.000 Tieren schließen ließen. Wie es innerhalb dieser kurzen Zeit zu einer Verdreifachung des Zwergwalbestands gekommen sein soll, ist für viele Meeresbiologen geradezu ein biologisches Wunder.

Der wunderbaren Vermehrung der Wale in der Blix-Studie müßte mehr als ein ungeahnter Fruchtbarkeitsschub zugrundeliegen: Bislang war die Walforschung davon ausgegangen, daß jede Walkuh in der Regel jedes zweite Jahr ein einziges Kalb zur Welt bringt. Dieses gesicherte Wissen kann und will auch Professor Blix nicht in Frage stellen: „Ich habe aufgrund von Stichprobenzählungen hochgerechnete Bestandszahlen, die ich für sicher halte. Dann müssen eben die früheren Messungen ungenau gewesen sein.“ Das waren sie nach Ansicht von Umweltforschern auch, aber genau in anderer Richtung: Die IWC-Zahlen von 1982 seien allenfalls noch zu hoch gewesen.

Wenn die Zahlen aus der fischfangfreundlichen Universität Tromsö mittlerweile von einem Kollegen Blix‘ mit 77.000 im weiten Nordatlantik gezählten Tieren noch übertroffen worden sind, ist dies vermutlich noch nicht das letzte Wort vor der IWC-Tagung. Eine weitere Untersuchung soll noch der Veröffentlichung harren, die auf 100.000 Zwergwale kommt. Der Vorsitzende der IWC, der Schwede Sture Irberger, gibt sich deshalb auch diplomatisch zurückhaltend: „Es ist unerhört schwer, zu diesen Zählungen Stellung zu nehmen. Ich will nur soviel sagen: Die Geschichte der IWC ist auch eine Geschichte falscher, zum Teil katastrophal falscher Zahlen. Bei den Zählungen des Blauwalbestandes hat die IWC solange falsch gerechnet, bis der Bestand faktisch ausgestorben war. 200.000 Tiere waren es, bevor ein organisierter Walfang begann, nur noch 1.000, als er 1965 verboten wurde. Der Bestand hat sich seither nicht mehr erholt, sondern gerade auf dem Niveau von 1965 gehalten.“

Sture Irberger, im Alltag beim Umweltministerium in Stockholm beschäftigt, ist kein Freund der Aufhebung des Fangstopps. Zum Vorsitzenden der IWC wurde er gewählt, weil pikanterweise die aktiv Walfang treibenden Länder in „ihrer“ Kommission schon lange keine Mehrheit mehr haben. Sie war 1935 als „Internationale Konvention zur Regulierung des Walfangs“ ins Leben gerufen worden, um den Walfang zu steuern, vor allem, um ein profitdrückendes Überangebot auf dem Markt zu vermeiden. Mitglieder wurden alle Länder, die damals Walfang betrieben. Die Gründerländer haben diese Mitgliedschaft behalten, können sie solange behalten, wie sie ihre Mitgliedsbeiträge pünktlich zahlen. Auch wenn nach und nach immer mehr Länder den eigenen Walfang einstellten, ihr Stimmrecht können sie weiter ausüben. „Heute bestimmen Länder das weitere Schicksal unserer Walfangflotte, die gar nichts mehr damit zu tun haben“, grollt daher auch Jakob Strand, Mitglied der norwegischen IWC-Delegation. „In Wirklichkeit vertreten die doch nur noch die Interessen irgendwelcher idealistischer Tierschützer.

„Es wird eine heiße Debatte geben“, mutmaßt auch Sture Irberger. „Ich sehe die Gefahr, daß die IWC gesprengt wird. Wenn sich eine Mehrheit für die Haltung der USA abzeichnet, ist die Gründung einer „Gegenkommission“ zur IWC schon fast sicher.“ Die Linie der USA scheint bereits festzuliegen: Verbot jeglichen Walfangs bis zum Jahre 2000. Auf diese grundsätzliche Linie werden vermutlich auch die meisten westeuropäischen Staaten einschwenken. Umwelt- und Tierschutzgruppen - 50 bis 60 sind als „Beobachter“ mit beratender Stimme vertreten - werden versuchen, eine noch weitergende Forschung durchzusetzen: Aus ethischen Gründen habe der Mensch kein Recht, ein Säugetier zu töten, das annähernd über seine eigene Intelligenz verfügt.

Doch gerade die USA sitzen für Professor Blix in dem sprichwörtlichen Glashaus, in dem man besser nicht mit Steinen werden sollte: „Die USA sind zur Zeit faktisch die größte Walfangnation. Beim Fang von Thunfischen durch US -Fischer verenden jährlich 70.00 Delphine aufgrund der Fangmethoden. Im US-Staat Alaska wird darüberhinaus die einzige Walart gejagt, die wirklich akut vom Aussterben bedroht ist, der Grönlandwal.“ Auch wenn man Blix sicherlich darin zustimmen muß, daß auch diese Probleme nicht unter den Teppich gekehrt werden dürfen: Der Versuch eines Entlastungsangriffs ist zu durchsichtig, wird schon fast routinemäßig von Norwegens Delegation seit 1986 in Malmö ständig aufs Neue hervorgeholt.

Doch gerade die hochgradig vom Fischfang abhängigen Länder Norwegen und Island, in abgeschwächter Form auch Kanada und Japan stehen unter einem kräftigen Druck von innen. Angesichts der allgemeinen Krise der Fischerei, des Leerfischens der Meere drängt die Fischereiwirtschaft auf neue, oder wie beim Walfang eben alte Betätigungsfelder. „Ihr Binnenländler seit zu gefühlduselig, ihr versteht uns nicht: Der Walfang ist nichts anderes als die Viehzucht oder das Jagen im Wald“, meint schon fast resigniert Islands Fischereiminister Halldor Asgrimsson. „Und in Den Haag wird es sicher auch wieder mehr um Gefühle als um Fakten gehen.“ Womit er möglicherweise recht haben könnte. Aber Gefühle sind eben auch Fakten.

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