EIN HUND REDET NICHT

■ Gespräch mit einem gesamtdeutschen Hundefriseur

H.A. war bereits fünf Jahre für die ostdeutschen Hunde zuständig, als er sich vor zwei Jahren den westdeutschen zuwandte. Heute betreibt er einen gut gehenden Hundesalon in West-Berlin. Über zweibeinige und vierbeinige Kundschaft, Berufsimage und -ehre gibt er nachfolgend Auskunft. Und darüber, wie er wurde was er ist.

H.A.: Ich bin ja eigentlich Pferdezüchter von Beruf und hab dann als Jockey gearbeitet. Als ich den Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte und weiterhin mit Tieren zu tun haben wollte, bot sich das einfach an. Eine Ausbildung als Hundefriseur kann man hierzulande nicht machen, man muß sich jemand suchen, der es einem beibringt.

taz: Wie bist du zu deinen Kunden gekommen?

Ich habe wie schon im Osten, so auch im Westen auf Mundpropaganda gesetzt. Leute, die Hunde haben, halten viel zusammen, treffen sich, reden miteinander, weil man beim Ausführen an bestimmte Zeiten gebunden ist: Wer macht denn Ihren Hund... Und da dieser Job keine Tätigkeit ist, bei der man die Hunde mit goldenen Schleifen versieht, sondern auch eine Notwendigkeit - auch Hunde brauchen Körperpflege - und die Leute einfach keine Zeit haben, ihre Hunde zu pflegen und zu kämmen... Hinzu kommt, daß es in der DDR sehr schwierig war, sich selbständig zu machen, so daß man aufgrund des Mankos an solchen Geschäften einen automatischen stetigen Kundenkreis hatte. Im Westen ist es auch härter, sich in der Hundeöffentlichkeit, in Hundekreisen durchzusetzen. Da hab ich mich erst mal schlau gemacht in allen Hundesalons, was da geboten wird, und bei guten Leistungen unter Preis gearbeitet, damit kriegst du erst mal die Leute. Trotzdem hat es erst nicht funktioniert, ich hing nur rum, hatte nichts zu tun, und nur total überspannte Leute, die alles in ihre Hundeseelen reinprojizieren, im Geschäft. Nach einem halben Jahr hat es plötzlich angezogen, die Leute haben die exakte Arbeit und die Preise genossen. Im Osten war das ganz anders: Wir haben eine Annonce in die Zeitung gesetzt, und innerhalb von einer Woche hatten wir für sechs Wochen Kundschaft aus allen Bereichen, alle Rassen.

Warum kommen die Leute und Hunde? Muß man zum Hundefriseur wie zum Zahnarzt oder ist das Eitelkeit und Luxus?

Nein, das ist ein völlig falsches Bild. Jeder Hundehalter erkennt irgendwann, wenn er dem Haarkleid nicht mehr Herr wird, daß er sich um die Pflege seines Tiers kümmern muß. Zum Beispiel muß man einen Pudel alle sechs Wochen zum Friseur bringen...

... weil er immer modisch ausgeschert werden muß?

Nein, du könntest ihn auch kahlscheren. Aber wenn du das tust... der ist dann einfach ein stinkhäßlicher Hund. Der ist schon auf die Frisur gezüchtet, das heißt die Wachstumsschwelle ist aus dem Hund rausgezüchtet, der wächst einfach zu, da wächst es aus den Ohren, den Pfoten, überall. Und dann verfilzt es und wird idealer Brutplatz für Ungeziefer. Bei anderen Rassen sind die Leute einfach zu faul, ihre Hunde zu kämmen. Drüben hatte ich die gar nicht nötig. Da hieß es, besorgen Sie sich ne Bürste aus'm Westen, dann kommen Sie wieder. Denn du arbeitest Stunden an so einem afghanischen Windhund, das lohnt sich nicht. Einmal hab ich zwei Tage lang so einen Riesenhund entfilzt und geschnitten, einen Tag die eine, einen Tag die andere Seite.

Hält der denn so lange still?

Das liegt an meiner Person. Ich bin ein ganz ruhiger Mensch mit starkem Durchsetzungsvermögen. In anderen Salons werden die Hunde in bestimmte Geschirre eingebunden, bei mir steht der Hund auf einem verstellbaren Tisch mit Anleinmöglichkeit. Wenn ich merke, daß er Vertrauen zu mir hat, nehm ich das Halsband ab. Manche Geschäfte haben große Schwierigkeiten mit den Hunden, wenn man da vorbeigeht, dann bellt es wie verrückt. Meine erste Amtshandlung war: Ich habe die Hunde zur Ruhe erzogen. Manchmal hab ich das Gefühl, als wenn die Tiere erkennen, je ruhiger sie sich verhalten, desto weniger Gegenwehr gibt's auch von mir. Denn ich laß mir das natürlich nicht gefallen: Wenn man so einen großen Bobtale in der Badewanne hat, der sich auf die Hinterbeine stellt und rausspringen will... Schläge ist wirklich das letzte Mittel, gerade große Hunde sind auf die Stimme fixiert. Bei kleineren Hunden kann man auch mit einem festen Griff einwirken, ohne ihnen weh zu tun. Die größten Schwierigkeiten hat man bei den Hunden, die zu Hause die Leittierfunktion übernommen haben, wo der Hund der Herr und der Halter ganz zerbissen ist, wenn er den Hund kämmen will. Solchen Hunden muß man einen Maulkorb aufsetzen.

Von welchen Hunden kann man am besten leben?

Das Geschäft lebt eindeutig vom Pudel. Der ist total beliebt, warum ist mir völlig schleierhaft, denn die meisten sind neurotisch überzüchtet. Aber da sie am regelmäßigsten kommen müssen, sind sie eine sichere Einnahmequelle. Die andere große Gruppe sind die Langhaarhunde, die müssen regelmäßig gebadet werden in der Großstadt. Wenn man sich vorstellt wie ein Auto aussieht nach vier Wochen, weiß man wie ein Hund nach vier Wochen aussieht. Da kommen manchmal Hunde, die waren jahrelang nicht beim Friseur, dreckig, verkeimt. Da muß man nicht nur die Rassen gut kennen, man braucht auch medizinische Kenntnisse, um zu wissen, ob der Hund krank ist, und um die Leute dann erst mal zum Tierarzt zu schicken.

Was machen die Hundebesitzer während der Sitzung?

Die meisten wollen nur beim ersten Mal dabei sein. Denn es ist ja doch ihr Liebstes, und das einfach so wegzugeben, und dann noch so einem jungen Menschen wie mir, bei den Vorurteilen, die hier in der Gesellschaft gegen junge Leute vorhanden sind... Das ändert sich, wenn sie merken, daß ich viel Erfahrung habe, oder spätestens, wenn sie ihren Hund wieder abholen, und er gern zum Hundefriseur geht. Ein großer Teil der Hunde kommt ziemlich gerne, da ist was los, da sind andere Hunde...

Gibt's da eine Wartebank für Hunde?

Nein, kurz bevor der eine Hund fertig ist, bestellen wir den nächsten. Die Leute gehen eben derweil einkaufen, zumal meine Kundschaft aus allen Bezirken, aus dem Kiez kommt oder sogar von sehr weit her, aus England, es kommen sogar welche aus Amerika, die unsere Arbeit schätzen.

Auch aus der DDR?

Schwer zu überprüfen. Die meisten schämen sich, es zu sagen oder sie betonen es, um es vielleicht noch 'ne Mark billiger zu kriegen, was ich auch tue. Seit dem 9. November hat sich jedenfalls die Zahl der Kundschaft erhöht.

Gibt's denn Unterschiede zwischen der Kundschaft hüben und drüben?

Überhaupt keine. Dieselben Leute haben dieselben Hunde. In der DDR war die Bereitschaft zur Kommunikation größer. Die Leute haben über tiefstes privates Leben geredet, aber das hat sich ja auch über Jahre hinweg entwickelt. Ich lehne ja so gut wie keinen Kunden ab, aber es gibt Leute, die sind so überspannt wie ihre Hunde, oder, was hier sehr oft passiert, sie wollen mir Vorschriften machen, ein Bein dicker und ein Bein dünner, hier mehr, hier weniger Haare. Prinzipiell kann man sagen: Je intelligenter die Leute, desto intelligentere Hunde legen sie sich zu. Sozial schwächere Schichten denken weniger über ihre Hunde nach und ob sie für ihre Hunde eine Belastung sind.

Wie hat sich der 9. November auf den Gesprächsstoff ausgewirkt?

Vorher ging es mehr darum daß die U-Bahn oder der Bus nicht gekommen ist, und daß die BVG ein Scheißhaufen ist. Heute ist die BVG immer noch ein Scheißhaufen, aber jetzt ein noch schlimmerer als vorher, weil sie das jetzt viel raumumgreifender sehen als vorher... die Veränderungen sind einfach viel gravierender und die Leute befassen sich sehr wohl damit. Aber in der DDR ist die Wut inzwischen viel größer und die Hilflosigkeit. Manche können es sich nicht mehr leisten, zu kommen, weil sie arbeitslos sind. Andere sind auf einmal Minister und kommen mit ihren Hunden. Da hast du auf einmal Minister in deinem popeligen Salon, und die reden natürlich mit dir noch genauso wie vorher, das ist ziemlich lustig.

Arbeitest du gerne mit Hundehaar?

Ich find's gräßlich! Ich finde es ein ganz übles Abfallprodukt. Ich schneide nicht deshalb das Haar ab, weil ich das Haar nicht mag. Aber ich habe mehr Bezug zum Gesamtbild des Tiers, ich versuche es zum Beispiel nicht zu entstellen oder Frisuren zu schneiden die nicht zum Hund passen. Wenn der Kunde sowas will, dann setz‘ ich mich dagegen durch. Ich sehe nur schlimme Pudel mit riesigen Beulen an den Seiten, Riesenbärte voller Dreck. Was ich mache, muß sich für den Hund als positiv herausstellen. Ich verstehe mich eher als Hundepfleger. Für den Hund läßt es sich leichter leben, wenn er aus den Augen gucken kann und keine Filzbeulen unter den Pfoten oder Krallen wie ein Vogel hat.

Würdest du auch Menschen frisieren wollen?

Nein, auf keinen Fall. Ich könnte es zwar, sogar besser, weil ich über spezielle Schneidetechniken verfüge, ich kann auch besser mit Maschinen umgehen, weil ich es ständig tue. Aber ich möchte bei der Arbeit nicht reden, vor allem nicht über diese Dinge, die man beim Friseur redet. Ein Hund redet nicht.

Schauen Hunde eigentlich beim Frisieren in den Spiegel?

Nein, für die Hunde ist der Spiegel einfach ein zweidimensionales Bild, die verwechseln das nicht mit der Wirklichkeit und können sich also auch nicht erkennen, sie nehmen es gleichgültig hin. Der Spiegel ist nur für mich da, damit ich den Hund nicht so oft umdrehen muß.

Dorothee Hackenberg