: Mozart, erotisch
■ Einen der wichtigsten Beiträge zum Mozartjahr '91 lieferte die niederländische Kammeroper „Transparant“ schon jetzt: Das Fragment „L'oca del Cairo“
Die Zeit eilt auf den 200. Todestag des unsterblichen Mozart zu. Wir können uns anläßlich des 1991 „anstehenden“ Jubiläums auf einiges gefaßt machen: Musikerzunft und Konditorinnung, Hotelgewerbe und Musikforschung, Staats- und Stadttheater, Transportunternehmen und Medienmarkt stehen in den Startlöchern. Die Boutique „Wolfgang Amadeus“ gehört in Salzburg so selbstverständlich zum Stadtbild wie in Gent. Den Kork der Rotweinflasche vor mir auf dem Schreibtisch, „Trentino Marzemino D.O.C.“, schmückt ein Konterfei des Götterlieblings; zwei Notensysteme mit vier Mozart-Takten im Hintergrund. Zum Wohl, Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus! Deine Zauberflöte hielt zuletzt in einem englischen Badeort die Aufbereitung aus dem Geist des fast food durch Peter Sellers aus - was wird also noch groß passieren, nach all dem, was in Mozarts Namen die letzten Jahre gezeigt, gegeigt und gesagt wurde?
Es ist ja nur zu verständlich (und rührt nicht nur aus Sensationslust, Profilierungszwang oder Profitgier her), daß die reproduzierenden Künstler gerade die Gedenktagschwemmen zum Anlaß für Aufbruch zu Neuem nutzen wollen. Und solche Versuche können gelingen - zum Beispiel der einer freien Operntruppe aus Antwerpen, die jetzt in Gent L'oca del Cairo präsentierte. Die „Kameropera Transparant“ konzentrierte ihre Suche nach Neuem und Unverbrauchtem auf die mozartschen Opernfragmente der Jahre 1782/84, auf die gescheiterten Werke zwischen der Entführung aus dem Serail und dem Figaro: auf Lo sposo deluso (Der enttäuschte Verlobte), Die Gans von Kairo und ein paar andere Einzelteile aus mißratener Opernproduktion. Im Fall der Gans hatte Mozart mit Emphase zu komponieren begonnen, bemerkte aber schon während der Arbeit am ersten Akt, daß das so nicht gehen könne. Er verlangte vom Textdichter Varesco drastische Änderungen. Der aber lieferte nicht. Das Stückwerk blieb liegen.
Zweifellos versuchte das Libretto am Erfolgsmodell der Entführung aus dem Serail anzuknüpfen. Es spielte mit orientalischen, also exotischen Motiven. Man wartete mit Schrecken aller Arten und glücklicher Rettung auf, gedachte die Zuschauer im Besonderen durch ein Wunder der Maschinenkunst zu erfreuen: eine mechanische Gans sollte den alten Herrn, der die jungen Frauen gefangen hält, letztlich überlisten, die Befreiung ins Werk setzen und das mit den Wunschpartnern angestrebte Glück ermöglichen.
Als „geschlossenes“ Werk wäre diese Rokoko-Oper wohl kaum mit höherem Sinn zu rekonstruieren, auch wenn fehlende Teile dazukomponiert und das von Mozart nur Skizzierte en detail ausgearbeitet würde. Deshalb beließen es die Transparant -Leute beim Fragmentarischen. Sie reihten die erotischen Situationen im Stück von der Gans, soweit sie Mozart ausgeführt hatte, zusammen mit denen aus Lo sposo deluso zu einem provisorischen Gebilde, zusammengehalten nur durch ein paar Dialoge.
Die Geschichte spielt heute: Ein von den Fragmenten begeisterter Regisseur versucht, eine skeptische Theaterdirektorin von der Qualität der Einzelteile zu überzeugen; ihre Zwischentexte sind nicht mehr als Kitt; sie stören nicht weiter oder sind sogar witzig, ermöglichen den singenden und handelnden Personen jedoch über den einzelnen Auftritt hinaus das Ausstellen und die Entwicklung von Charakteren, also Inszenierung. Mit zunehmender Beschäftigung an der Sache verwandeln die in heutiger Straßenkleidung auf der Bühne erscheinenden Protagonisten sich in Figuren des 18. Jahrhunderts, überzeugen sich und uns von der theatralischen Qualität der mozartschen Szenen. Auch das von Hans Rotman geleitete Orchester des Konservatoriums Gent stellt unter Beweis, daß Mozart sich nicht irrte, als er seiner Umwelt mitteilte, daß er die im Entstehen begriffene Musik zu L'oca del Cairo für rundum gelungen halte.
Auch Genie schützt vor Mißgriffen nicht - der Griff zu Varescos Libretto, dessen Schwächen Mozart bald begriff und formulierte, ließ ihn eine Menge Arbeit „umsonst“ machen. Ganz offensichtlich aber war die Beschäftigung mit diesem Stoff, mit diesem Gefüge der Gefühle und Zwänge, mit der angemessenen Musik zu erotisch brisantem Theater kein Umweg für den knapp dreißigjährigen Mozart, sondern ein notwendiger Schritt auf dem Weg zum Gelingen des Figaro, des Don Giovanni und vor allem von Cosi fan tutte. Und die „Reste“, die da durch den Prozeß des Erfolgswillens und der Änderungsnotwendigkeiten anfielen, sind bemerkenswert genug, daß sie beachtet, gehört und gesehen werden. Die „Kameropera Transparant“, die ohne Ausstattungsaufwand und mit Liebe zum Detail inszeniert hat, läßt sogar die von Mozart verschmähte Gans schließlich zur Geltung kommen: Sie darf eine Ehrenrunde durch den Genter Luftraum drehen. Die Produktion, die auch im Theatre Royal du Parc in Brüssel gezeigt wird und in der Stadsschouwburg Amsterdam (29.8. bis 2.9.), sollte auch in Deutschland gezeigt werden.
Frieder Reininghaus
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