: Wind gibt die Sonne frei
■ betr.: "Grüne treten auf der Stelle", taz vom 13.5.90
betr.: „Grüne treten auf der Stelle“, taz vom 13.5.90
Für die Daheimgebliebenen, die Nur-Zeitungsleser, hat die Grünen in Dortmund wenigstens der ökologische Kleister nicht im Stich gelassen. Über die „Verhütung des Schlimmsten“ auf der Bühne, vor der zuschauenden und prüfenden Wählerschaft kann „man“ schon froh sein, nach all den Jahren des Mißverständnisses untereinander und zwischen grünen Parteitagsschauspielen und Presse.
Vordenker braucht das Volk, so scheint es, um das Auf-der -Stelle-Treten zu beenden. Eine Qualität von Menschen, die die ratlosen Regierenden zum Aufhorchen bringen. Wo stecken denn die Ideen, die das Wort vom „Umbau der Industriegesellschaft“ vom Reißbrett auf den Boden stellen? Bedeutet das Infragestellen, ja der Beseitigungsversuch des Altgewordenen schon den Neugbeginn? So fragen sich auch die Verunsicherten aus der Riege der Fortschrittsgläubigen. „Bewußtseinsoffensive“ heißt das Zauberwort von Lothar Späth im Hinblick auf Europa.
Egal ob von rechts oder links, wie es Ferenc Fejtö zwei Tage später („Wessen Schuld, wessen Verdienst?“, taz vom 15.6.90)beschreibt: Gegen das Altwerden ist im Gewölk der Meßdaten und Materieverteilung kein Kraut in Sicht. Hier hilft nur ein befreiender Wind, der die Sonne freigibt. Ferenc Fejtö stellt die Frage nach dem gesellschaftlichen und individuellen Unterbewußtsein und nähert sich damit dem Umstand, daß es offenbar noch ein anderes Sein gibt, das das Bewußtsein „bestimmt“.
Erich Fromm und seinesgleichen weisen darauf hin, daß die Symptome in den nördlichen Zivilisationen des allgemeinen Drogenkonsums auf eine Art von Hunger und Durst hinweisen, die weder durch Kaffee noch Tabletten gestillt werden können. Ivan Illichs Forschungen zeigen, daß die Motivation und Ausdauer der Indios zur Schaffung des Lebensunterhalts noch bis 1960 nicht vom Sold stammten, sondern aus der gleichen Quelle, wie der übrige Teil ihrer Kultur, verkörpert in Kleidung, Bauweise, Techniken: aus ihrem gekonnten Umgang mit dem „Unterbewußten“.
Auf einer wirtschaftspolitischen Tagung der Ökologen-Creme rief er den versammelten Newcomern zu: „Bedenkt zuerst, welchen Wert die Freizeit immer hatte. Bis auf unsere Tage machte sie ein Drittel des wachen Tageslebens aus. Wartet nicht ab, bis euch das Leben einen Bein- oder Nervenzusammenbruch beschert.“ Ökologie sei der Versuch, die reduzierten Sinne wieder zu erweitern, man solle den Gedanken- und Sprachsinn dabei nicht vergessen. Sie bedeuten in der Tat für den Umbau der Industriegesellschaft mehr, als nur „Agens“ zu sein. Sie könnten aus leerem Stroh Gold spinnen, weil sie den real existierenden Namen der Dinge, wie zum Beispiel Ökonomie und Ökologie wieder zu erkennen geben. Muß uns erst das „Klima“ am Hirn vorbei über die Tatsachen aufklären?
Gisela Canal, Ulm
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen